38.000 Arten, acht Beine und viele Augen. Sie sind überall und trotzdem unterrepräsentiert. Wer kümmert sich schon um Spinnen? Dabei ist der Einfluss der Spinnen auf unsere Sprache und Träume, unser Wissen und unsere Geschichte enorm. Die Spinne. Ein zoologisch wie symbolisch ergiebiges Tier.
Spinnen haben in unserer Gesellschaft nicht den besten Ruf. Vielen gruselt es schon bei dem Wort, dabei gibt es ganz wenige, die echt gefährlich sind. Die Achtbeiner, die nicht zu den Insekten gehören, sollen, so lautet das weitverbreitete Vorurteil, ihre Männer morden und ihre Kinder malträtieren. Das gibt seit Jahrtausenden Stoff für Geschlechterauseinandersetzungen: erotisch, gefährlich und garstig sind die Zuschreibungen patriarchal geprägter Männer für die doch meist recht selbständigen Frauen, die in Literatur und Film, Psychologie und Philosophie als „Spinnenartige“ bezeichnet werden, ihre verhängnisvollen oder rettenden Fäden ziehen. Die Spinne ist aber auch Ahnherrin all jener, die über ihre gesponnenen Fäden zu verbinden wissen. Die Philosophin Donna Haraway ersehnt das nach der kalifornischen Spinne: Pimoa cthulhu benannte Chthuluzän. Louise Bourgeois erweist ihr in einer der berühmtesten Skulpturen des 20. Jahrhunderts eine Reverenz. „Maman“ – eine ihrer Mutter gewidmete gebäudegroße Spinne etwa am Vorplatz des Guggenheim Museums in Bilbao. Bourgeois schreibt: „Meine Mutter war wie Spinnen sehr schlau. Spinnen sind freundliche Geschöpfe, die Mücken fressen. Wir wissen, dass Mücken Krankheiten verbreiten und daher unerwünscht sind. Spinnen sind also hilfreich und beschützerisch, genau wie meine Mutter.“ Wer wollte ihr widersprechen …
Diagonal 8.2.2025 gemeinsam mit Anna Soucek
„Hütet euch vor der geraden und vor der betrunkenen Linie. Aber besonders vor der geraden Linie. Die gerade Linie führt zum Untergang der Menschheit“, postulierte Friedensreich Hundertwasser 1963 und feuerte damit seinen Frontalangriff auf die Rigidität der Moderne an, den er mit seinem „verschimmelungsmanifest gegen den rationalismus in der architektur“ lanciert hatte und der in gegen Ikonen der Wiener Moderne wetternden Nacktreden Fortsetzung fand.
1928 als Friedrich Stowasser in Wien geboren, überlebte er den Holocaust gemeinsam mit seiner jüdischen Mutter Elsa. In der Nachkriegszeit stieg Hundertwasser zu einem der führenden Künstler seiner Zeit auf. Die Spirale als wiederkehrendes Motiv, die bunten Farben, die mäandernden Linien wurden zu seinen Markenzeichen und zieren heute noch so manches Merchandise-Produkt.
Mit dem Hundertwasserhaus in Wien konnte der Künstler seine architektonischen Ideen – etwa begrünte Dächer und das „Fensterrecht“ – in einem kommunalen Wohnbau umsetzen. Die Anlage in der Löwengasse wurde gleich nach Errichtung 1986 zum Anziehungspunkt für Touristen – 70.000 kamen zur Eröffnung – und ist heute noch eine der Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt. In Architekturkreisen galt Hundertwasser jedoch als Oberflächenbehübscher mit Hang zum Kitsch. Ist diese Ablehnung in informierten Kreisen heute noch gültig oder werden seine Ideen von einer jungen Architekten-Generation gewürdigt? Was macht Hundertwassers ungebrochene Popularität aus? Und welchen Stellenwert nimmt sein Schaffen international ein?
Anlässlich des 25. Todestages des Künstlers fragen wir bei Künstlerinnen, Architekten und Designerinnen nach, welche Strahlkraft Hundertwassers Vision von einem naturnahen Bauen heute hat; wir unternehmen Ausflüge nach Neuseeland, wo er 150.000 Bäume gepflanzt hat, in seinen Garten Eden auf der venezianischen Insel Giudecca und nach Tulln, wo das Schiff „Regentag“ vor Anker liegt. Zu hören sind aber auch Stimmen, die den Mythos Hundertwasser kritisch betrachten. Denn auch die gibt es nach wie vor.
Diagonal zur Person: Rutger Bregman, Historiker, Autor, Aktivist. Mit seinem Bestseller „Im Grunde gut“ (2020) widerspricht der niederländische Historiker Rutger Bregmann der gängigen abendländischen Denktradition, dass der Mensch des Menschen Wolf sei und leistet sich den Glauben an das Gute.
Zahlreiche Beispiele in dem Buch zeigen: auch, wenn es schwer zu glauben ist, der Mensch sei im Grunde gut, hilfsbereit, empathisch, kooperativ. Für den 1988 geborenen Bregman ist die Menschheit nicht durch das „survival of the fittest“ weitergekommen, sondern mit Rousseau durch das „survival of the friendliest“ und er gibt zahlreiche historisch belegte Beispiele dafür.
Er erzählt etwa über eine Gruppe von Jugendlichen, die es 1965 bei einem missglückten Segeltörn auf eine unbewohnte Insel im Pazifik verschlägt. Anders als im abendländischen pessimistischen Denken zu erwarten war und anders als in William Goldings Erzählung „Herr der Fliegen“ erzählt, zerfleischen sich die jungen Burschen aber nicht gegenseitig, sondern schaffen es, sich über ein Jahr lang gemeinsam bis zu ihrer Rettung am Leben zu halten. Als ein australischer Filmemacher die Geschichte verfilmen will, findet er dafür keine Finanzierung und das Abenteuer gerät in Vergessenheit. Bregmans Fazit: niemand interessiert sich für das Gute im Menschen. Medien, Filmindustrie, Literatur stürzen sich mit wollüstiger Wonne auf die Bösartigkeiten und werden dafür mit Clicks, Käuferinnen und Publikum belohnt. Schließlich ist Empörung die Währung der Stunde in der Aufmerksamkeitsökonomie.
Rutger Bregman versucht eine Ehrenrettung unserer Gattung und liefert in seinen anderen Büchern und Texten Ideen für neue Arbeitswelten, Steuergerechtigkeit und den Umgang mit der Umweltkatastrophe. „Wenn das Wasser kommt“ lautet sein Buch dazu aus 2021, „Moralische Ambitionen“ sein jüngstes Buch über Menschen, die ihre Ideale nicht nur hochhielten, sondern auch lebten. Nur eines kommt für ihn nicht in Frage: den Kopf in den Sand stecken und nichts tun.
Ein europäischer Freigeist. In Wien feiert das mumok zur Zeit einen Künstler, der als „Erfinder der modernen Skulptur“ gilt und doch den wenigsten bekannt ist: der Italiener Medardo Rosso war ein Zeitgenosse Rodins und der Impressionisten und galt lange als Geheimtipp. Jetzt wird er als Vordenker der Moderne gehandelt. Im Museum Moderner Kunst ist Medardo Rosso nun eine umfassende Retrospektive gewidmet. Seine revolutionären Skulpturen werden dabei Meisterwerken von damals und heute gegenübergestellt.
Jeder kennt seine Gemälde und Landschaften. Weniger wissen, dass er auch als Vorläufer und Wegbereiter von Abstraktion und der Moderne und gar als politischer Maler gilt. Caspar David Friedrich. Ein „Diagonal“ zum 250. Geburtstag des Malers.
Ein Mann hoch auf einem Felsvorsprung, unter ihm breitet sich eine Nebellandschaft aus. Caspar David Friedrich ist wohl der berühmteste Romantiker unter den Malern und einer der rätselhaftesten Künstler seiner Zeit. Sein 250. Geburtstag wurde und wird in diesem Jahr mit drei großen Ausstellungen in Hamburg, Berlin und Dresden gefeiert. Ganz besonders hat sich die sächsische Hauptstadt Dresden, wo Friedrich vierzig Jahre seines Lebens verbrachte, unter dem Titel „Wo alles begann“ der Zeichnungen und Gemälde des „deutschesten“ aller Maler angenommen. Der melancholische Seelenkundler revolutionierte mit seinen optischen Experimenten nicht nur unsere Sicht auf Natur und Landschaft. Erst allmählich setzte sich über die Zeit durch, dass es sich bei Caspar David Friedrich auch um einen eminent politischen Maler handelt. Und ebenso, dass er als Vorläufer von Abstraktion und der Moderne gilt. Der Schriftsteller Samuel Beckett konstatierte etwa, dass ihn Caspar David Friedrichs Bild „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ für sein Theaterstück „Warten auf Godot“ inspirierte. Allein Heinrich von Kleist, ein Freund und Zeitgenosse des Malers, wusste schon zu dessen Lebzeiten um das spektakuläre Potential seiner Bilder. Mit „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“ schrieb Kleist einen bis heute exemplarischen Kunstkommentar: „Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da und so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.“ (Text: Erich Klein)
Strada per Vienna, Dunajska Cesta, Wienerstrasse. Diese Mehrsprachigkeit lässt erahnen, dass eine Straße und insbesondere eine solch legendäre wie die Triesterstraße, die seit 1719 generalstabmäßig konzipiert wurde, nicht einfach nur mit Verkehr zu tun hat. Die historische Triester Straße strotzt nur so vor industriellen, religiösen, versorgungstechnischen, künstlerischen, geographisch vermessungstechnischen Aspekten. Ein Diagonal Radio Road Movie: Einmal Wien – Triest und retour von Ines Mitterer, Christian Scheib und Peter Waldenberger.
Ganz zu Beginn gerät gleich ein Wasserturm aus 1899 im Stile industriellen Historismus in das Blickfeld, unweit davon leuchtet eine frisch renovierte, original gotische Votivsäule, die „Spinnerin am Kreuz“. Bald erinnert ein kleiner Obelisk und auch ein größeres Denkmal an die erste reichsweite Landvermessung 1762, im anschließenden Tal sieht man den als „75er“ bezeichneten, ebenso viele Meter hohen, alten Fabriksschlot. Ein historischer, steinerner Meilenstein steht am Straßenrand, und schließlich, fast am Ziel des Radio Road Movie, ragt ein richtig hoher Obelisk am Abhang des Karstgebirges in den Himmel. Eine richtig große Kirche im besten Brutalismus-Stil der 1960er Jahre erhebt sich als Monte Grisa am selben Hügel. Dahinter glitzert und glänzt plötzlich das Meer. Unten im Hafen ragt noch etwas gen Himmel: Der riesige, alte, schwimmende Kran „Ursus“ firmiert heutzutage fast als Wahrzeichen jener Stadt, der wir uns in diesem Radio Road Movie genähert haben, der Stadt des alten Freihafens Triest.
All die erwähnten Säulen, Türme, Schlote und Obelisken stehen links und rechts der „Triester Straße“, die natürlich nicht überall so heißt, weil das in Triest nicht viel Sinn ergeben würde. Dort kann man dreisprachig lesen. „Diagonal“ am Ö1 Thementag „Triester Straße“ auf der Spur, um der Triester Straße facettenreich radiophone Bilder zu schenken.
Seit der italienische Journalist Roberto Saviano als 26-Jähriger sein erstes Buch „Gomorrha“ publizierte, ist sein Leben in Gefahr. Der minutiös recherchierte Roman über die neapolitanische Mafia, ihre Geschäfte und ihre Praktiken wurde weltweit mehr als 10 Millionen mal verkauft und erfolgreich verfilmt. Bisher konnte er den Mordplänen von Camorra und Co. entwischen.
Ein normales Leben schaut anders aus. Permanenter Polizeischutz, kein Spaziergang ohne Eskorte draußen, kein legeres Essen bei Freunden, öffentliche Auftritte nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Auch für unser Interview erfahren wir erst im letzten Moment, wo es tatsächlich stattfinden soll. Sein Leben in abgeschirmter Einsamkeit verbringt der 44-jährige Saviano damit, weiter zu recherchieren, den Dingen, die er nicht richtig findet, auf den Grund zu gehen: Mafia und Korruption, das Geschäft mit dem Kokain, die mageren Lebensperspektiven von jungen Männern in Süditalien oder der Mord an Antimafia Richter Giovanni Falcone, den er in seinem jüngsten Roman „Falcone“ schildert. Aber, Roberto Saviano, der auch für angesehene Zeitungen und Zeitschriften schreibt, schildert in Büchern auch, wie man ein Land liebt, „das einen zur Verzweiflung treibt“ oder was auch sein Leben in Dauer-„Quarantäne“ lebenswert macht: die überwältigende Aufmerksamkeit für das, was er zu sagen hat und ganz oben auf der Liste: Büffelmozzarella aus Aversa, am besten serviert mit Erdbeeren. „I’m still alive“ hält er triumphierend seinen Feinden aus der organisierten Kriminalität entgegen – das ist der Titel eines autofiktionalen Comics, das er gemeinsam mit dem israelischen Zeichner Asaf Hanuka 2023 gestaltet und veröffentlicht hat. „Ich lebe noch, ihr Bastarde“.
Wien (OTS) – Die Ö1-Reihe „Diagonal“ feiert mit zahlreichen Gästen 40. Geburtstag – am Samstag, den 25. Mai ab 17.05 Uhr live on Air und im ORF RadioKulturhaus. Und anlässlich des Jubiläums gibt es am 26. Mai ab 22.05 Uhr in Ö1 die erste „Diagonal“-Sendung zum Wiederhören.
Im Mai 1984 etablierte sich eine knapp zweistündige Sendung im Samstagnachmittagsprogramm von Ö1. Ein Radiofeuilleton, das die Farbe und die Identität des Senders sukzessive leicht verändern sollte. Der Titel „Diagonal“ war durchaus programmatisch: Diagonal sollte sie durch alle Wissensbereiche, Themenmöglichkeiten und Musikrichtungen führen und innovative Verbindungslinien schaffen. Zum 40. Geburtstag schaut „Diagonal“ nicht zurück – der Fokus der Ö1-Livesendung aus dem Großen Sendesaal am 25. Mai liegt auf dem Jetzt. Die Themen der Performances, der Livemusik und der Gesprächsgipfel werden so naheliegend und divers wie die Gäste sein: KI und alternative truths, Nachhaltigkeit und Ernährung, neue künstlerische Positionen, Applied Human Rights und Leitkultur und disruptive Prozesse. Zu Gast in der Sendung sind u. a. die Musikerin und Künstlerin Leonie Schlager, die Performance- und Installationskünstlerin Barbara Ungepflegt, die Autorin und Filmemacherin Iris Blauensteiner, der Philosoph, Kurator und Kunstkritiker Klaus Speidel, die Kunsthistorikerin und Kuratorin Renée Gadsden, der Autor und Senner Bodo Hell, der Nachhaltigkeitsexperte und Co-Founder von „unverschwendet“ Andreas Diesenreiter, die Publizistin Ingrid Greisenegger von der City Farm Augarten sowie die Musiker:innen Café Mondo, Christl, Ruhullah „Rui“ Aziz und Yigit Bakkalbasi and Cemgil Demirtas a.k.a. Zack Zack Zack.
Welche Mittel haben wir in der Hand, um uns jetzt, hier, in unserer heutigen Welt gegen
Ungerechtigkeit, Extremismus, Radikalisierung zu wappnen? Anna Jermolaewa hat da ein paar Ideen.
Der Film begleitet die österreichische Künstlerin Anna Jermolaewa bei ihren letzten Vorbereitungen für ihren großen Auftritt im österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2024. Wie in den meisten ihrer Arbeiten wird es dabei politisch und poetisch um gesellschaftlich relevante Fragen unserer Zeit gehen: das Ringen um Menschenrechte, die Verteidigung von Bürgerinnenrechten, das Drama der Flucht und wie geht Widerstand unter zunehmend repressiven und diktatorischen Regimen, was Anna Jermolaewa selbst als Kind und Jugendliche erlebt hat. Selbst 1989 aus der heimatlichen UdSSR geflüchtet, bildet die Künstlerin mit ihrer Arbeit Geschichte ab – aber vor allem, wie sich der Lauf der Geschichte auf den einzelnen Menschen und die Gesellschaft konkret auswirkt. Das Menschliche hat einen hohen Stellenwert in Jermolaewas Kunst, wenn nicht den höchsten. Und deshalb ist ihre Kunst auch so zugänglich, verführt mit Humor und Poesie und verleitet dann zum Eintauchen in komplexe gesellschaftliche und politische Verflechtungen.
Seit ihrer Flucht setzt sich die 1970 in Leningrad geborene Anna Jermolaewa immer auch mit dem Leben im heutigen Rußland und den Nachfolgestaaten der UdSSR auseinander. Stellt sich für das Foto „Selbstportrait mit Diktator“ selbstbewußt neben einen Putin aus Wachs, begleitet in Videos russische Präsidenten Lookalikes von Lenin über Gorbatchow bis Putin bei ihrer Arbeit am Roten Platz oder bereist für die Foto- und Videoinstallation „Chernobyl Safari“ das Gebiet der Sperrzone rund um das verlassene Atomkraftwerk, in dem das wilde Leben der Tiere prächtig gedeiht. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine setzt sie sich auch aktiv für die Geflüchteten aus der Ukraine ein. So verwandelt sie etwa in ihrer jüngsten Arbeit „Rehearsal for Swanlake“ gemeinsam mit der geflüchteten ukrainischen Tänzerin und Choreografin Oxana Serheieva das Ballett Schwanensee in ein Instrument des friedlichen Aufstandes. Wie das geht? Mit Klugheit, Witz und ganz viel Menschlichkeit. Sehen Sie selbst!!