Wiens wilder Wasserwald. Diagonal zum Thema: Lobau

Wiens wilder Wasserwald. Diagonal zum Thema: Lobau
25. Juli 2020
Moderation: Ines Mitterer Regie: Astrid Schwarz

Sign.:
ATMO: Ausymphonie
Mod.: Für diese Sendung sind wir alle früh aufgestanden. Denn die Tiere, die wir auch und unbedingt sehen und aufnehmen wollten, zeigen sich eher am Tagesrand.
ATMO Hirsch
Mod.: der Hirsch
ATMO Wildschwein
Mod.: die Wildschweine
ATMO: Laubfrösche
Mod.: die Frösche
ATMO: Weisstorchklappern
Mod.: die Weissstörche oder sogar er hier, der König der Lüfte:
ATMO: Seeadler
Mod.: der Seeadler. Nein, wir sind nicht im Zoo heute, wir sind in der Au. Und trotzdem hätten all die genannten Tiere, wollte man sie „adressieren“, eine Wiener Postleitzahl, nämlich 1220. Statt eines Stadtportraits gibt es heute ein Landschaftsportrait, vielleicht haben Sie ja auch Lust auf ein paar Häppchen frische Luft zwischen Grün und Blau.
ATMO: rudern
MK: Diagonal heute zum Thema: Lobau. Wiens wilder Wasserwald. Eine Radioexpedition begleitet von Ines Mitterer.
Zitat Doderer: Die silberbleichen Wipfel uralter Bäume … in die halben Schenkel steigend. 0.42
MUSIK: Mississippi
Mod.: Die Lobau. Seit langer Zeit ein Ur-Topos der Wiener. Wer sich da so gefreut hat, hineinsteigen und hindurchgehen zu dürfen, war stellvertretend für so viele Heimito von Doderers Held in der „Strudelhofstiege“……
Mod.: Zweibeinige Besucher gibt es zu Hauf in der Lobau, dem Augebiet am linken Donauufer, gleich angrenzend an die Stadtrandsiedlungen in der Wiener Donaustadt. Bis zu 32.000 sind es an so manchem Wochenende….. Im Freizeitdress, mit oder ohne Fahrrad, Hund, Picknickkorb oder Badetasche.
Da ziehen sich die Bewohner, vier- und zweibeinig dann lieber zurück: 30 Säugetier- und 100 Brutvogelarten, 8 Reptilien- 13 Amphibien- und 60 Fischarten sind in der Lobau beheimatet, die ein Viertel des Nationalparks Donauauen ausmacht, der wiederum zu den letzten großen Aulandschaften in Mitteleuropa gehört.
Bekannt ist die Gegend – 22 Quadratkilometer groß, vom Biberhaufenweg bis zur Mündung der March in die Donau – aber auch als beliebter Aufenthaltsort für die zweibeinige Spezies, die sich hier gern naturnah, also hüllenlos, am größten Nacktbadestrand der Region als die „Nackerten von Wien“ präsentiert.
Wir folgen für diese Sendung einem Weg durch diesen Dschungel von Wien und der schlängelt und mäandert, wie es sich für einen Urwaldweg gehört, durch Vergangenheit und Gegenwart, führt zu Förstern, Kolonisten, Kriegsherren, Zoologen, Tierfotografen, Historikern und natürlich Nackerten, zu Land und zu Wasser und quer durch die Botanik.
MUSIK hoch
Mod.: 22 Quadratkilometer Dschungel eingezwickt zwischen den Siedlungen der Großstadt, der intensivst betriebenen Landwirtschaft im dahinterliegenden Marchfeld und der Donau. Und mitten drin gibt es sogar noch ein Industrieareal: das Tanklager der OMV.
MUSIK: Ende Mississippi
Mod.: Bevor wir dann in aller Herrgotts Früh auf Biberschau gehen, lassen wir uns noch von Ernst Molden auf dieses Abenteuer einstimmen.
MUSIK: DIGAS: Molden / ganz en da frua ….
Mod.: Ganz en da frua – Ernst Molden hat mit „Schdrom“ dem Nationalpark Donauauen zu seinem 20-jährigen Bestehen 2016 ein feines Album gewidmet. Ganz en da frua ist der erste Song daraus. Um 4.00 Uhr früh sitzt Günter Walzer Förster und Revierleiter Untere Lobau schon auf dem Jägerhochstand. Es ist Wildschweinjagdzeit. 150 Wildschweine, 50 Rehe und an die 30 Stück Rotwild wird im Nationalpark Donauauen im Jahr erlegt. Der empfindlichen Städterin blutet das Herz – muss das denn sein?
OT Günter Walzer / muss gejagt werden 1.11
Mod.: Umso mehr geschützt und behütet werden da die Tiere, die hier teilweise schon ausgestorben waren. Wie der Seeadler oder auch der Biber.
ATMO: Biberkelle plus kauen
Mod.: So klingt es, wenn er frühstückt. Und so, wenn er abtaucht:
ATMO: Biberkelle
Mod.: Die Tierlaute in dieser Sendung wurden uns vom Nationalparkhaus Wien-Lobau zur Verfügung gestellt, wo man sie vor Ort auch anhören kann.
Es ist inzwischen 4.30. Dominique Gromes macht sich auf den Weg. Auf der Suche nach dem Biber.
DIGAS: Der Biber in der Au / Gromes 9.05
MUSIK: Bossa Lobao / Trio Lepschi (19” vorlauf)
Mod. drüber: Da haben wir Glück gehabt. Dominique Gromes hatte gleich 4 Biber vor dem Mikrophon …. Diagonal heute auf Streifzug durch die Lobau.
MUSIK hoch und fertig 2.45
Mod.: Das Trio Lepschi mit Bossa Lobao in astreinem wienerischem Brasilianisch. Und die Girls liegen eben nicht nur an der Copacabana verführerisch in der Sonne, man findet sie auch hier in den Donauauen. Seit mehr als hundert Jahren auch gern nackt.Thomas Mießgang mit einer kleinen Einführung in die Wiener Freikörperkultur und ihren Lieblingsplatz.
DIGAS: Nackerte / Miessgang 9.06
Mod.: Thomas Mießgang hat sich unter den Nackerten von Wien umgeschaut. Sich in seinem Körper so einzurichten, dass man sich hüllenlos wohlfühlt, das scheint den jüngeren Generationen nicht leicht zu gelingen, bemerkt Nada El-Azar und sie macht noch andere Entdeckungen in der Lobau.
DIGAS: Was bewegt sich da hinter’m Busch / Nada El-Azar 2.43
MUSIK: In the woods/ Yellow Bird 2.52
Mod.: Mit Yellow Bird waren wir „In the woods“ in diesem Diagonal aus Wiens wildem Wasserwald.
ATMO: gehen
Mod.: Günter Walzer, der Förster, der gerade früh aufsteht, um der Wildschweinüberpopulation den Garaus zu machen, schwärmt vom Artenreichtum des Auwaldes. Das Nebeneinander von trockenen und feuchten Lebensräumen bietet vielen Tieren und Pflanzen ideale Bedingungen.
OT Günter Walzer/Vielfalt, Pflanzen, Tiere 1.08
Mod.: Aber, man muss gut aufpassen auf das Areal. Auch das gehört zum Aufgabenbereich eines Försters in der Lobau. Die lustigen Besucher, die mit Pfeil und Armbrust auf lebende Zielscheiben schießen und andere Wildereiversuche im Keim zu ersticken.
OT Günter Walzer/ Schildkröte und Aufsicht 1.08
Mod.: Die Geschichten aus der Lobau erzählen eben nicht nur von Flora, Fauna und Umweltschutz, sie sagen auch viel über die Gesellschaft zur jeweiligen Zeit. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte der Biologielehrer Herbert Schneider die Idee Menschen zu dokumentieren, die die Donauauen östlich von Wien aus lange vergangener Zeit beschreiben können. Gemeinsam mit Gerald Navara, wurde daraus ein Dokumentarfilm für den Nationalpark Donauauen. Gerald Navara hat die Stimmen jetzt aus seinem Archiv geholt und gibt damit einen Einblick in das Leben der „Auzeugen“, wie er sie nennt, von den 1920er bis in die 1970er Jahre.
DIGAS: Auzeugen / Navara 9.42
Mod.: Gerald Navara, ein Aujünger, hat gemeinsam mit Reinhard Golebiowski auch das Buch „Naturerlebnis Donauauen“ herausgegeben. Erschienen im Styria Verlag. Und jetzt das berühmteste Lobau Lied in einer Interpretation aus der Zeit der Auzeugen: die Stimme werden sie erkennen. Drunt in der Lobau …
DIGAS: MUSIK: Drunt in der Lobau / O.Werner 1.49
Mod.: Oskar Werner interpretiert ein Lied von Heinrich Strecker und Fritz Löhner-Beda. Die Lobau war in ihrer Geschichte mehrmals von Zerstörung bedroht, haben wir vom Gründer des Lobaumuseums Anton Klein gehört. Jetzt setzen ihr die trockenen Sommer zu. Da die Au seit der Donauregulierung in den 1870er Jahren vom Fluß abgetrennt ist, lebt sie vom Grundwasseraustausch. Was da so trockene Sommer wie die zwei vergangenen mit der Au machen, kann man sich vorstellen. Wegen der beinahe täglichen Regenfälle im heurigen Sommer wiederum schaut es gerade gar nicht so schlecht aus. Trotzdem ist die Lobau kein ausreichend geschütztes Paradies vor den Toren der Stadt, sagen Umweltschützer und Kritikerinnen der Wiener Stadtpolitik. Denn Flugzeuglärm, Stadterweiterung und Besucherdruck setzen Flora und Fauna zu.
Thomas Mießgang und Roman Tschiedl machen sich jetzt zu einem Lokalaugenschein zu Wasser auf. Und zwar mit Zoologen und Dokumentarfilmer Manfred Christ und dem Fotografen Kurt Kracher vom „Lobaumuseum – Verein für Umweltgeschichte“, der sich für die Rettung der Lobau stark macht.
Bevor es losgehen kann, müssen aber noch die Zillen ausgeschöpft werden …
DIGAS: Austrocknung Nationalpark / Tschiedl 15.00
Mod.: Roman Tschiedl und Thomas Mießgang waren mit dem Zoologen Manfred Christ und dem Fotografen Kurt Kracher auf dem Wasser unterwegs. Drunt in der Lobau – von diesem Lied haben wir Dutzende Aufnahmen im Archiv – eine soll hier noch vorkommen, dieses Mal vorgetragen von einer weiblichen Stimme: sie gehört der Wiener Chanconsängerin Greta Keller.
DIGAS: Drunt in der Lobau / G.Keller 3.01
Mod.: Drunt in der Lobau. Makaber an diesem Wiener Musik Schlager ist ja, dass er einer langjährigen Zusammenarbeit zweier Künstler entspringt: von Fritz Löhner-Beda, der (und dessen Familie) dann im Nazi-Konzentrationslager ermordet wurde, stammt der Text, von seinem zeitweiligen Kompagnon Heinrich Strecker, der sich dann aktiv in der Nazi-Musikadministration einrichtete, stammt die Musik. Eine Wiener Geschichte ….. Wie das hin und her rund um den Bau eines Autobahntunnels unter der Donau und der Lobau. Seit 25 Jahren gibt es Pläne für den Bau dieses Tunnels der ein letztes Stück am Weg von Danzig bis zum Mittelmeer schließen soll. Die Grünen, Bürgerinitiativen und Umweltschützer waren von Anfang an gegen das Projekt. Der Start des Bauvorhabens hat sich deshalb immer wieder verzögert. Der Tunnel darf jetzt gebaut werden, der letzte Einspruch von Umweltschützern wird vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, hieß es im Mai 2018. Die Gegner des Tunnels sind in Revision gegangen, jetzt ist wieder alles offen. Mit einer rechtskräftigen Entscheidung für dieses knapp 2 Milliarden € teure Projekt rechnet man erst Mitte bis Ende 2021. Was die Wiener Grünen vom Projekt Lobau-Tunnel halten, kann man auf ihrer Website „Nobau – nein zur Lobau-Autobahn nachlesen. Da kommt auch „Herr Franz“ zu Wort, ein klassischer Wiener.
OT 1 nobau_herrfranz 0.33
Mod.: Ein Hin und Her seit den 1990er Jahren. Sonja Bettel hat die wichtigsten Für und Wider zum Lobau-Tunnel eingeholt.
DIGAS: Lobautunnel / Bettel 6.23
MUSIK: Stricker Drunt in der Lobau/ instr. ca 1 min.
Mod.: Der Tunnelbau gefährde auch das Trinkwasserreservoir, das unter der Lobau liegt, haben wir gehört, Förster Günter Walzer erzählt, wie man sich das vorstellen darf.
OT Günter Walzer / Trinkwasser 0.39
Mod.: Zurück zu den Viecherl. Biber, Seeadler, Karpfen, Schlangen, ja, die kennt man aus der Lobau, aber wer weiß schon, dass es hier laut Schätzungen hunderte verschiedene Molluskenarten, also Muscheln und Schnecken gibt? Helmut Sattmann. Er weiß das. Johanna Steiner hat ihn getroffen.
DIGAS: Molluskenforscher Sattmann / Steiner 6.28
MUSIK: Fennesz / Laguna 2.56
Mod.: drüber: Mit „Laguna“ schippert Fennesz zwar in anderen Wassergefielden, atmosphärisch passt dieser Song aber allemal.
MUSIK: hoch bis Ende
Mod.: Fennesz mit seiner Idee vom Leben mit dem Wasser: Laguna. Und wir machen jetzt einen großen Sprung in die Vergangenheit: Napoleonschanzen, Napoleonübergang, Napoleons Hauptquartier, Franzosenfriedhof heissen einige Ortsbezeichnungen in der Lobau. Das kommt natürlich nicht von ungefähr: im Jahr 1809 ging es hier heiß her. Zuerst im Mai: die Schlacht bei Aspern, am Rande der Lobau. Die allererste, die der, sich durch Europa schlagende Napoleon nicht gewonnen hat. Die erste Niederlage. Das war schon etwas!! Was für ein Triumph! Die Donau hatte mitgeholfen: sie führte Hochwasser und es war eine sehr mühsame Operation für die Franzosen, sie zu überwinden. Mehrere breite Stromarme waren zu überqueren und es gab keine Brücke.
Nach der Schlacht zog sich Napoleon mit seinen Truppen in die Lobau zurück, die damals noch eine Insel zwischen zwei Donauarmen war, und schlug hier für einige Wochen sein Hauptquartier auf. In der Nacht zum 5. Juli 1809 dann ließen die Franzosen mehrere Brücken errichten, über die Napoleon dann innerhalb weniger Stunden 150.000 Mann auf das linke Donauufer brachte, die österreichische Armee sofort angriff und in der Schlacht beim nahen Ort Wagram schlug. Seitdem heisst die auf den Triumphbogen in Paris zulaufende Strasse „Avenue de Wagram“ – aber auch die Rue de Lobau, der Ort der Niederlage, hat einen Platz im Herzen von Paris, weiß Erich Klein.
DIGAS: Napoleon und der Krieg / Klein 14.16 + 1.30 Musik
Mod.: Das Lied am Ende dieses historischen Abrisses von Erich Klein stammt von einem der berühmtesten sowjetischen Chansoniers der Zwischen- und Nachkriegszeit – von dem aus Odessa stammenden Pjotr Léschenko. Das Lied war eine Art inoffizielle Hymne der sowjetischen Donau-Flottille, die an der Befreiung von Wien beteiligt war.
ATMO: Biber
Mod.: Mit dem Biber haben wir angefangen und mit Bibern – auf dem Teller – gehen wir in die Schlußrunde. Die wurden in diesen Auwäldern östlich von Wien so fleißig illegal gejagt, dass sie schließlich für 100 Jahre ausgestorben waren. Das Wildern in den Donauauen war weder Sport noch Akt der Rebellion – dahinter stand – das blanke Elend. Bea Sommersguter über eine über Jahrhunderte weit verbreitete Spezies in der Lobau: die Wilderer. Ihr Gesprächspartner Robert Eichert ist ehemaliger Postbeamter und Hobbyhistoriker und war auch lange grüner Bezirksrat in Wien Donaustadt.
DIGAS: Wilderer / Sommersguter gek. 7.48
Mod.: Das werden wir jetzt nicht nachprüfen … in Diagonal waren wir heute fast 2 Stunden lang in Wiens wildem Wasserwald, der Lobau. Lektüreempfehlungen und Links zum Thema finden Sie auf unserer Seite im Netz: oe1.orf.at/diagonal. Und das Expeditionsteam heute bestand aus folgenden Kolleginnen und Kollegen:
Sign.:
Mod.: Studiotechnik: Stefan Wirtitsch, Georg Janser und Harald Landgraf. Gesprochen haben: Alexander Rossi, Jörg Duit und Marie-Claire Messinger. Mit Beiträgen von Sonja Bettel, Nada El-Azar, Dominique Gromes, Erich Klein, Thomas Mießgang, Gerald Navara, Bea Sommersguter, Johanna Steiner, Roman Tschiedl, und Peter Waldenberger. Regie: Astrid Schwarz. Redaktion und Moderation: Ines Mitterer.