Farbenspiele – Diagonal treibts bunt

Diagonal treibts bunt. Zum Thema Farbenspiele

17.02.2024

Moderation: Ines MittererRegie: Peter Waldenberger

Sign.

ATMO: Opernball

Mod.: Jüngst am Wiener Opernball….. Das Staatsopernballett performt. Die Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer sind léger geschnitten, weicher Stoff umfließt die Körper; die Farben leuchten. Jeweils ein Paar trägt monochrom kräftiges Rot, Blau, Gelb, Grün, Lila; unsere Kollegen, im schwarz/weißen Pinguin-Outfit kommentieren:

\\\\ OT Opernball lang + Markerl

Mod.: Moment! irritierend farbenfroh?… Könnten wir das bitte noch einmal hören?

\\\\ OT Opernball kurz

Mod.: Im Fasching, am Opernball, einem rauschenden Fest, irritieren die Kostüme des Balletts, weil sie leuchtende Farben haben? Was ist da los, Monsieur Pastoureau?

OT Pastoureau Trailer Farbe steht  für alles, was Spaß macht, nicht ganz ernst ist, spielerisch ist. Wenn ich mich mit dem späten Mittelalter oder dem siebzehnten Jahrhundert beschäftige, werden solche Dinge bereits gesagt. Farbe ist frivol, manchmal ist sie nicht nur unseriös, sondern sogar gefährlich. Mit Farben sollte man also besser vorsichtig sein.

Mod.: Michel Pastoureau ist Farbhistoriker, seit Jahrzehnten der Farbhistoriker, auch, weil es sogar in seiner Zunft, der Geschichtsforschung, wenige KollegInnen gibt, die sich mit so einem scheinbar „oberflächlichen“ und schwer zu fassenden Gegenstand auseinandersetzen wollen. Dabei sagt der Umgang und Einsatz von Farben oder auch die Angst vor der Farbe viel darüber, wie eine Gesellschaft so drauf ist ….

MUSIK Opernball Ende

Mod.: Und auch deshalb hat man sich in Diagonal im Laufe seiner fast 40 – jährigen Geschichte immer wieder mit Farben beschäftigt …..

BT: Farbe Collage Archiv + Musik am Ende zum Drüberquasseln Wortende bei ​​2.17

Mod.: Und, wie ist ihre Kleiderfarbanalyse ausgegangen??

Zu hören gewesen sind da in der Reihenfolge ihres Auftritts: Wolfgang Kos, Edmund de Waal, Nicholas Treadwell, David Batchelor und Michael Schrott, in Sendungen zum Thema: blau. Schwarz weiß. Rosa und Chromophobie. Wir tauchen heute tief ins Farbbad unseres reichhaltigen Archivs und ergänzen die glücklichen Funde mit Bestandsaufnahmen des Jahres 2024. Denn auch wenn oder gerade weil Fasching und Karneval für dieses Jahr vorbei sind, treiben wir es heute bunt in

SPRECHER: Diagonal zum Thema Farbenspiele. Präsentiert von Ines Mitterer.

Mod.: Und ich werde in den kommenden zwei Stunden begleitet von Michel Pastoureau, dem großen Auskenner in Sachen Farbe, der in diesem Programm schon – Rufzeichen – am 23. März 1988 (!!) so zitiert wurde.

Zitat Pastoureau rot/blau Kos​​​​​​​0.42

Mod.: Für diese Ausgabe von Diagonal haben wir den Farbspezialisten, 35 Jahre später in einem gediegenen Vorort von Paris zu Hause besucht. Bekannt ist Bolougne Billancourt ironischerweise unter anderem für seine strahlend weisse, das heisst eigentlich farblose, moderne Architektur –  gleich nebenan steht etwa eine Villa von Le Corbusier. Platz nehmen werden wir später dann auf einem ockergelben Sofa in Pastoureaus Wohnzimmer. Kein roter Faden heute, dafür ein schillernder Regenbogen, der sich über die Sendung spannt, über blaue Gedichte und Raffaels Madonnen, über das patentierte Yves Klein Blau, über dessen Ursache und Wirkung Dominique Gromes mit der Restauratorin Christa Haiml gesprochen hat, über rosa Schweine, die Horst Widmer besucht oder über die Farben der Mode und welchen Trends sie folgen – Gersin Livia Paya hat sich dazu umgehört. Der Schriftsteller und Künstler Edmund de Waal komponiert in seinem Atelier in London mit schwarze und weißen Gefäßen Objektgedichte und schreibt ein Buch zur Farbe weiß. Wir besuchen ihn. Bunt ist natürlich auch die Musik – viele Farben werden da vorkommen. Ein erster Überblick kommt von den Black Pumas: Colors ….

MUSIK: Colors / Black Pumas​​​​​​​4.06

Mod.: Ein Tag voller Farben. Colors von den Black Pumas, einer Band aus Austin Texas.

ATMO: U-bahn Paris.

Mod.: Wir sind jetzt aber in Paris und machen uns auf Richtung Boulogne Billancourt.

ATMO U-Bahn geht langsam über in ATMO: Vogerl

Mod.: Das ist ein nobler Vorort, südlich des Bois de Boulogne, wo einer der wenigen Farbhistoriker dieser Welt zu Hause ist. Von seinen Büchern zu einzelnen Farben ist nur das über „Blau“ ins Deutsche übersetzt, ausführliche Gedanken zu Grün, Gelb, Rot, Weiß und Schwarz in Buchform gibt es nur auf französisch und englisch. Aber auch ein sehr persönlich gestaltetes Überblickswerk „Alle unsere Farben. Eine schillernde Kulturgeschichte“ von Michel Pastoureau ist 2023 im Klaus Wagenbach Verlag auf Deutsch herausgekommen. Der Hausherr trägt eine graue Hose und einen dunkelblauen Pulli, weil er von diesen „gedeckten“ Farben erwartet, dass sie ihm eine gute Figur machen, wie er freimütig erzählt ….. Er liebt nämlich nicht nur Farben, sondern auch Süßigkeiten ….

Farbe OT MP Metro​​​​​​​​3.54

VO: Ja, die U-Bahn ist ein gutes Beobachtungsfeld, um zu sehen, welche Farben tatsächlich getragen werden, und das mache ich auch seit 50 Jahren: die Farben in der U-Bahn in Paris, London oder München beobachten. Und was mir auffällt, ist, dass es immer die gleichen Farben sind, die getragen werden. Es gibt keine Veränderung. Und wenn man eine Modezeitschrift nimmt und sich in die U-Bahn setzt, sieht man, dass niemand so gekleidet ist, absolut niemand.

Man hat Angst vor zu kräftigen Farben und davor, sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Ja, so fühlen sich viele Menschen. Sie wollen nicht auffallen, und das ist ein Erbe des Christentums. Vielleicht weil Adam und Eva nackt waren im Paradies. Sie waren Gott gegenüber ungehorsam und wurden aus dem Paradies vertrieben. Zur Strafe bekamen sie ein Kleidungsstück, ein Gewand.

Das erinnert immer an die Schuld unserer Vorfahren und das ist etwas, woran Protestanten und Katholiken oft erinnern. Sich durch Kleidung schön zu machen, durch Kleidung aufzufallen, das ist nicht christlich. Wenn man nicht christlich ist, könnte man das Gegenteil tun. Aber selbst diejenigen, die keine Christen sind oder es nicht mehr sind, verhalten sich ein wenig so. Man hat ein bisschen Angst davor, sich ins Rampenlicht zu rücken, da ist die Schüchternheit, da ist die Angst, eitel zu wirken…  

Frage und Antwort seriöser Gegenstand vollständig

VO: Ja, es hat sich ein bisschen verändert im Vergleich zu der Zeit, als ich Student war, aber nicht viel, und es gibt die Vorstellung, dass es für einen Historiker nicht seriös ist, sich mit Farben auseinanderzusetzen, nicht einmal für einen Kunsthistoriker. Was mich, als ich anfing, am meisten beeindruckt hat, war, dass man fette Bücher über Malerei schrieb, ohne jemals auf die Farben einzugehen.

Früher hatten wir natürlich vor allem Schwarz-Weiß-Fotografien. Das mag erklären, dass man die Idee der Farbe vergessen hatte. Aber heute, wo es überall Farbe gibt, ist es einfacher. Vielleicht gibt es ja sogar zu viele Farben, das ist wieder das umgekehrte Problem.

Man nimmt sie nicht mehr wahr, weil sie omnipräsent, zu leicht zugänglich sind. Und dann hat man die Vorstellung, dass es in der Hierarchie der zu lösenden Probleme Dinge gibt, die viel wichtiger sind als die Farbe.

Mod.: Eine Schwierigkeit in seinem Forschungsfeld, so Pastoureau, liege darin, dass Farben so schwer beschreibbar und benennbar seien.  Was genau ist zum Beispiel: blau?

OT Definition Farbe unmöglich nur Objekt Wittgenstein

VO: Farben gehören zu unserem Alltag, aber wir sind nicht in der Lage, eine Definition zu geben, etwas zu sagen, um zu erklären, was Farbe ist, und sogar, was Blau, Rot oder Gelb ist. Wenn ich „gelb“ im Wörterbuch nachschlage, sehe ich: gelb: Substantiv. Farbe, die im Spektrum zwischen dieser und jener Wellenlänge liegt, das ist nicht falsch. Aber das ist eine Definition für Physiker. Menschen können mit einer solchen Definition absolut nichts anfangen. Und darunter wird stehen: gelb: Adjektiv, das die Farbe von Zitrone, Gold und Safran hat. Das ist schon richtig, aber es ist auch keine gute Definition. Das ist ein Studienfeld, das Teil unserer gewöhnlichsten Alltagsempfindungen ist, und wir können doch keine Definition dafür finden. Das ist sehr interessant und Wittgenstein hat es perfekt erkannt.

Mod.: Wittgenstein? Ja, auch Wittgenstein, der Denker mit dem Wunsch nach kristalliner Klarheit hat versucht, der Farbe beizukommen und ist: gescheitert!

OT Wittgenstein Zitat nur Farbe von Objekten

VO: Wittgenstein hat einen Satz geschrieben, der für mich der wichtigste ist, der je über Farben geschrieben wurde. Er sagt: „Wenn wir gefragt werden, was rot, blau, gelb und grün ist, können wir Objekte in diesen Farben benennen, aber unsere Fähigkeit, weiter zu gehen, ist nicht vorhanden.

Mod.: Seine „Bemerkungen über die Farben“ sind posthum erschienen.

OT Wittgenstein Wunder hasst Goethe

VO: Und darin gibt es einige kleine Wunder, wenn ich das so sagen darf, auch wenn ich ihm vorwerfe, dass er sehr gemein zu Goethe ist. Ich weiß nicht, warum. Wittgenstein mag Goethe überhaupt nicht und vor allem nicht seine Abhandlung über Farben, die ich sehr schätze. Wenn Goethe, wie soll ich sagen, ein Mann der Wissenschaft sein will, dann ist er das nicht, nicht einmal für den Stand der Wissenschaft seiner Zeit. Er irrt sich, könnte man sagen. Aber wenn er zum Soziologen oder Psychologen oder Ästheten wird, ist er viel interessanter, etwa wenn er sich fragt, was da los ist, wenn sich alle nur braun, weiß oder schwarz kleiden. Warum es keine fröhlichen Farben bei der Bekleidung seiner Zeit gibt, dann ist das eine interessante Beobachtung.

Mod.: Und mit Goethe läßt sich jetzt formidabel in die Vergangenheit reisen. In eine Diagonal Sendung vom 23. März 1988.

BT: Goethe-Novalis 88​​​​​​​​​2.29

Mod.: Die blaue Blume als Symbol für das Unerreichbare und die Sehnsucht danach. 1988 entstand diese Diagonal Sendung rund um ein Buch, das es leider nur mehr antiquarisch gibt: Das blaue Buch. Lesarten einer Farbe; aus der Kraterbibltiothek im Greno Verlag: Eine Anthologie zusammengestellt von den beiden Literaturwissenschaftlerinnen Angelika Lochmann und Angelika Overath.

BT Bachmann-Benn 88​​​​​​​​​1.07

Mod.: Und bei den Malern? Kunsthistoriker kümmern sich wenig um Farben …. Wolfgang Kos hat in seinem Blauen Buch allerdings ein Zitat gefunden, das über die Komplexität von blau auf der Leinwand erzählt.

Farbe Madonna im Grünen 88​​​​​​​​2.38

Mod.: Und bevor wir wieder in die Gegenwart hüpfen, hören wir noch hinein in ein Musikstück, das zeigt, wie blau klingen kann.

BT + MUSIK Lohengrin + Messiaen Des canyons aux etoiles​​​​3.46

Mod.: Diagonal zum Thema Farbenspiele heute. Wir treiben es bunt und mischen hurtig altes und neues Tonmaterial, weil wir uns in dieser Sendung schon öfter verschiedensten Farben oder der Angst davor gewidmet haben. Der Beginn heute war einigermaßen blau – wir bleiben dabei. Begleitet werden wir bei unserem Eintauchen in diverse Farbtöpfe von dem französischen Farbhistoriker Michel Pastoureau, der gerne darauf hinweist, dass Sie alle, die uns zuhören, blau sehen, wenn wir hier im Radio blau sagen, aber was genau wir dann alle tatsächlich vor Augen haben, ist garantiert unterschiedlich. Wenn Sie jetzt an den Attersee denken oder an die Donau oder ans Mittelmeer zum Beispiel – welche Farbe taucht da vor ihrem inneren Auge auf?

Farbe MP Wasser Pantone Landkarten​​​​​​4.00

VO: Ja, das Mittelmeer ist nie blau. Oder nur sehr selten, aber in den Beschreibungen liest man: das blaue Meer, das große Blau. Es kommt oft vor, dass es Unterschiede gibt, zwischen der tatsächlichen Farbe der Dinge, der Gegebenheiten und der zugeschriebenen Farbe. Jeder sagt „weiß“ zu einem Wein, der nie weiß ist, sonst wäre es Milch, und niemand ist dadurch irritiert. Die Römer haben das bereits gemacht. Das zeigt, dass Farbwörter Etiketten sind, Konventionen, und es ist sehr häufig, dass es eine große Diskrepanz zwischen der benannten Farbe, der gesehenen und der tatsächlichen Farbe gibt. OT system sprache verloren pantone VO: Das ist im Grunde ein System mit drei Polen, die nicht zusammenpassen. Aber das stört niemanden und erklärt, warum man manchmal eine Farbpalette mit internationalen Codes braucht, um zu versuchen, über dasselbe zu sprechen, wenn man sich in verschiedenen Teilen der Welt befindet. Ansonsten gibt es so viele Unterschiede, wenn es um Farbbezeichnungen geht. Aber selbst in den europäischen Sprachen geht einiges verloren. Wenn ich auf Französisch bleu sage, klingt das nach etwas Flüssigem, aber nicht so flüssig wie wenn ich „blau“ sage, das klingt schon flüssiger und wenn ich „blue“ sage, ist es noch flüssiger. Man sieht, dass man das Wort zwar übersetzen kann, aber man verliert immer etwas in der Übersetzung, während, wenn ich eine Pantone 428-Farbpalette nehme, das in Japan, Argentinien und Kanada das Gleiche ist. Frage + OT woher kommt wasser blau VO:Ja, der Hauptgrund für die Änderung der Farbe des Wassers kommt von den Landkarten, d.h. ab der Renaissance, als immer mehr farbige Landkarten gedruckt wurden, stellte man fest, dass man die Wälder grün machte aber Meer und Flüsse auch grün. Da war dann die Verwechslungsgefahr groß, vor allem zwischen den Wäldern, die sehr große Flächen eingenommen haben und dem Ozean. Da musste man für einen Bereich die Farben ändern und man änderte – man weiß nicht warum – die Farbe des Wassers. Es wurde blau, nicht auf einmal, sondern nach und nach. Und wenn man sich Geographiekarten zwischen dem späten Mittelalter und dem 17. Jahrhundert ansieht, sieht man, wie Blau allmählich zur Farbe des Wassers für Seen, Flüsse und das Meer wird, während Grün die Farbe der Wälder und Forste bleibt. Wenn man sich die ersten Karten aus dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert anschaut, ist das Meer immer noch grün. Und in den Miniaturen des Mittelalters zum Beispiel, wenn man eine Szene malt, die auf dem Wasser spielt, ist das Wasser meistens grün. Wenn wir es in natura betrachten, hat das Wasser natürlich alle möglichen Farben, es ist auch nie ganz blau, nie ganz grün.

MUSIK: Iemanjá Rainha do Mar/ Maria Bethania​​0.30 Vorl. ​​​3.39

Mod.: drüber: Alle Farben und Erscheinungsformen des Wassers – bis hin zu den Tränen besingt hier die Brasilianerin Maria Bethania zu Ehren von Iemanjá, der Yoruba Göttin des Salzwassers, die in der afrobrasilianischen Kultur eine große,große Rolle spielt. Iemanjá Rainha do Mar.

MUSIK hoch

Mod.: Maria Bethánia steht an der Küste und huldigt der Göttin des Meeres….. Diagonal spielt heute mit Farben …. Wenige Künstler haben es geschafft, dass sie Namensgeber für eine Farbe geworden sind. Yves Klein ist einer davon. Sein Yves Klein Blau ist patentiert – doch wie kann man es herstellen? Dominique Gromes hat bei der Restauratorin Christsa Haiml nachgefragt und gibt einen Einblick in die poetische Entstehungsgeschichte von IKB – dem Internationalen Klein Blau.

BT Yves Klein Blau / Gromes​​​​​​​​8.07

Mod.: Der Tag ist Blau, die Stille grün, das Leben gelb …. Dominique Gromes über die Geheimnisse von Yves Kleins Blau. Und Joni Mitchell bringt uns jetzt im großen Taxi zum nächsten Farbefeld.

MUSIK: Big Yellow Taxi / Joni Mitchell

Mod.: Big Yellow Taxi, Joni Mitchell. Und wir setzen uns jetzt wieder auf die ockergelbe Couch neben den Farbhistoriker Michel Pastoureau und versuchen herauszufinden, warum gelb – diese strahlende Farbe –eigentlich so unbeliebt ist ….

Frage + OT Gelb Verrat

VO: Ja, es ist eine unbeliebte Farbe, die Farbe Gelb. Das war nicht immer so. Die Griechen und Römer mochten die Farbe Gelb sehr gern und sie nahm einen wichtigen Platz im täglichen Leben ein. In Rom und Griechenland kleidet man sich viel in Gelb, man kleidet sich nicht blau, aber man kleidet sich in Gelb. Und auch im Mittelalter kleidet man sich noch gelb. Dann gab es eine Veränderung: Gegen Ende des Mittelalters, als die Farbsymbolik wichtig wurde, wurde Gelb zur Farbe der Lüge, des Verrats und der Verräter im Allgemeinen, und das blieb auch in der modernen und zeitgenössischen Zeit sehr stark. Deshalb gibt es zum Beispiel nicht viele politische Parteien oder Gewerkschaften, die Gelb als ihre Symbolfarbe wählen. Natürlich ist die Anzahl der Farben begrenzt. Wenn man eine neue politische Partei gründet, muss man sich für etwas entscheiden. Manchmal nimmt man Gelb, aber es hat wegen der Idee des Verrats einen schlechten Ruf. OT Gelb juden, antijudaismus VO: Ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts tauchte in den Städten Europas die Idee auf, dass man Juden und Christen voneinander unterscheiden können sollte. Die städtischen, herrschaftlichen oder königlichen Behörden schrieben vor, dass Juden ein bestimmtes Kleidungsstück oder Abzeichen tragen müssen. Und da sich niemand gelb kleidet, wählt man Gelb, um die Juden zu kennzeichnen. Das kann eine Mütze sein, ein Schal, ein Stück Stoff, das auf ein Kleidungsstück aufgenäht wird. Zum gelben „Judenstern“ kommt es erst relativ spät – am Anfang ist er nur ein Symbol von vielen. Und dann wird Gelb auf den Gemälden zur Farbe des Gewandes von Judas und der Mützen, der Hüte der Juden, der Juden aus dem Alten Testament, die man in Szene setzt. Das bis in die jüngste Zeit so geblieben.

Diese Farbe wird zur Farbe der Juden. Das bedeutet aber nicht, dass die Juden selbst wirklich Gelb tragen. Es kommt überhaupt nicht häufig vor. Es ist eine Art symbolische Farbe, die man ihnen zugewiesen hat. Das hat vielleicht dazu beigetragen, der Farbe Gelb eine negative Bedeutung zu geben, als sich der Antisemitismus entwickelte. Im Mittelalter gab es mehr Antijudaismus als Antisemitismus, und am Ende des Mittelalters und vor allem in der Neuzeit gewann der Antisemitismus, d. h. die Idee der Rasse, die Oberhand über die Idee der Religion, was das Problem noch verschärfte, ebenso wie der Kolonialismus. Rassismus in unserem Sinn heute hat es im Mittelalter nicht gegeben. Das beginnt mit der Kolonialisierung, der Entdeckung Amerikas, dem Transport der Bevölkerung von Afrika nach Amerika, der Sklaverei usw., aber im Mittelalter kennt man dieses Konzept eher nicht.

Mod.: Wenn man sich im Norden Europas oder in Frankreich durch die Straßen bewegt, sieht man kaum Gelb, weder an den Passanten noch als Farbe für Autos …. Ausnahme sind Taxis und die Post. Beide haben ihre Farbgebung von der europäischen Adelsfamilie der Thurn und Taxis, die gelb in ihrem Wappen hat und das Post und Mietdroschkenwesen in Europa für den Kaiser aufgebaut und betrieben hat. Die Bezeichnung Taxi übrigens – das wäre jetzt zu schön – kommt nicht von Thurn und Taxis, sondern vom Taxameter, dem Gebührenzähler …

Die New Yorker Taxis, natürlich auch gelb, trugen in den 1990er Jahren  – Achtung, das wird jetzt eine elegante Überleitung zum nächsten Beitrag 😉 – die Taxis trugen oben am Dach zwischen den Lichtern, die anzeigen, ob sie frei oder besetzt sind, Werbetafeln mit der Aufschrift Helmut Lang – schwarze Großbuchstaben auf weißem Grund – ein Exemplar gehört heute zur Sammlung des Museums für Angewandte Kunst. Helmut Lang ist nach wie vor eine anerkannte Allzeitgröße im Modegeschehen, auch wenn er sein Label 2006 an den Nagel gehängt hat und heute als bildender Künstler arbeitet. In jeder seiner Kollektionen gab es neben schwarz, weiß, creme auch meist eine „richtige“ Farbe, die dadurch dann als Akzent eine besondere Bedeutung bekam …. Wie mit Farben in der Mode von heute gespielt, gestaltet und umgegangen wird, hat jetzt für uns Gersin Livia Paya untersucht und sie hat dabei Erstaunliches erfahren.

BT: Mode / Paya​​​​​​​​​14.00

Mod.: Ein lebendiges Grün …. also, ich habe mich daran gehalten. Die Beschäftigung mit der Farbe von Textilien ist also viel mehr als oberflächliches Geplänkel über die Modefarben der Saison – peach fuzz übrigens, Sie erinnern sich.  Gersin Livia Paya hat ein paar relevante Gedanken dazu zusammengefasst. Musikalisch folgt jetzt ein doppeltes Blau: Blue Jean Blues. Haben Sie übrigens gewußt, dass das Wort Jeans im Englischen die phonetische Transkription von „Genoese“ ist? also einem Stoff aus der Gegend um Genua … Die ligurische Stadt lieferte damals, zur Entstehungszeit der Jeans, also um 1860, die Zelt- und Planenstoffe, die der junge Levi Strauss in seiner Fabrik in Kalifornien zu Hosen verarbeiten ließ. Auch das erfährt man in dem Buch „Alle unsere Farben. Eine schillernde Kulturgeschichte“, das unser Begleiter heute, der französische Farbhistoriker Michel Pastoureau vor kurzem auf Deutsch veröffentlicht hat.

MUSIK: Blue Jean Blues/ ZZ Top​​Vorl: 0.40​​​​4.45

Mod.: ZZ Top war das mit dem Blue Jean Blues. Wenn eine Farbe den vorigen Sommer dominiert hat, dann war das wohl Rosa.

Filmausschnitt Barbie

Mod.: 1,4 Milliarden Dollar hat die Rosa-Barbie-Orgie von Regissuerin Greta Gerwick eingespielt, sowie acht Nominierungen für die Oscars, die in gut drei Wochen verliehen werden. SommerlochSideeffekt: zahllose Diskussionen in allen Medien ob Film und Puppe zwar rosa aber auch feministisch sein können …. Wir haben das Thema Rosa und Feminismus am 14. Dezember 2019 in der Sendung Panther, Brillen, Pussyhats mit einem kräftigen Ja beantwortet, davor aber noch ihn hier besucht:

BT: Rosa Intro und Panther(… hat die bedeutung, die wir ihr geben)​​​2.27

Mod.: Zum nächsten Film. Ein Stückchen auch wieder zurück in die Vergangenheit, genauer ins Jahr 1986, beziehungsweise ins Mittelalter:

Filmausschnitt: Der Name der Rose Teufel/Unwesen

Mod.: Für „Der Name der Rose“, suchte das Team um Regisseur Jean-Jaques Annaud einen Farbhistoriker und fand ihn in unserem heutigen Sendungspartner Michel Pastoureau. Für den studierten Mediävisten war das ein schönes Abenteuer.

Farbe Name der Rose + 2 OTs MP​​​​​​​2.42

VO: Wir waren acht historische Berater. Ich war für die Farben und die Kleidung zuständig. Da es sich um Mönchsgeschichten handelte, gab es die Kleidung jedes Mönchs: der Benediktiner, der Zisterzienser, der Dominikaner. Außerdem war ich auch der Berater für die Farbgestaltung der Räume und Requisiten. Ich war mit dem Regisseur, der ein sehr armseliges, graues Mittelalter zeigen wollte, nicht einer Meinung. Denn als Historiker weiß genau, dass das Mittelalter gar nicht so elend war. Die elendste, ärmste und damit farbloseste Zeit für die große Mehrheit der Menschen in Europa war das siebzehnte Jahrhundert. Im siebzehnten Jahrhundert war die Lebenserwartung so kurz wie nie seit der Urgeschichte. Im siebzehnten Jahrhundert werden sowohl Frauen als auch Männer tatsächlich physisch kleiner, genau so wie die Tiere. Das tristeste Jahrhundert ist das siebzehnte Jahrhundert, das ist nicht das Mittelalter.

Filmausschnitt Zunge schwarz OT name der rose 2 schweine fehler

VO: Außerdem habe ich einige Fehler gemacht, vor allem bei den Schweinen. Ich, der ich Farb- und Tierhistoriker bin – die Geschichte spielt ja im 14. Jahrhundert – hatte vergessen, dass die Schweine in Europa damals nicht rosa waren. Im letzten Moment ist mir dann eingefallen, dass die Schweine schwarz sein mussten. Wir haben so schnell keine gefunden. Die Dreharbeiten fanden in Italien statt. Schwarze Schweine gab es da weit und breit nicht. Und um Zeit zu sparen, wurden die rosa Schweine einfach schwarz angesprüht (pscht pscht frei) das war urkomisch anzuschauen. Die Schweine haben sich dann aneinander gerieben und das rosa ist wieder durchgekommen, aber der Regisseur war mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Mod.: Zum Thema „Rosa“ in der Diagonal Sendung vom Dezember 2019 sind unserem Kollegen Horst Widmer damals auch als erstes Schweine eingefallen. Seine Geschichte beginnt so blutrünstig wie die Ausschnitte aus Umberto Ecos mittelalterlichem Kloster, aber bleiben Sie dabei, es wird friedlicher ….

BT: Farbe Rosa Schwein / Widmer​​​​​12.36

Mod.: Horst Widmer war das über Schweinchenrosa. Und: La vie en rose? Warum nicht…. aber wenn, dann schon in dieser Version …

MUSIK: La vie en Rose / Iggy Pop

Mod.: Iggy Pop. Diagonal heute als Farbenspiel, bei dem wir uns diverser Quellen bedienen – wurde in dieser Sendung über die Jahrzehnte schon öfter über die Wirkung Farben nachgedacht. Der Farbhistoriker Michel Pastoureau wurde dabei zitiert, für diese Sendung haben wir ihn in Paris besucht und hüpfen auf das grüne Farbfeld.

OT MP Grün ​​​​​​​​4.10

OT gutes und schlechtes Grün VO: Die Farbe Grün hat, wie alle anderen Farben auch, eine doppelte Symbolik. Entweder gibt es das gute Grün oder das schlechte Grün, und das ändert sich je nach Epoche. Im Mittelalter, zur Zeit des Rittertums, liebt man grün sehr und es ist die Farbe der Liebe. Es ist auch die Farbe der Hoffnung. in Deutschland gibt es frau Minne, die in einem grünen Kleid gezeigt wird. Das sieht man in vielen Dokumenten. Dann, am Ende des Mittelalters, ändert sich das: Grün wird zur Farbe des Teufels und der Hexen, wahrscheinlich, weil zum Färben und Malen gefährliche oftmals giftige Substanzen verwendet werden. Es gab Unfälle. Die Vorstellung, dass Grün Unglück bringt, kommt davon. In der Antike hat es sie nicht gegeben. Der Aberglaube hat sich bis heute gehalten, vor allem im Theater, wo die Schauspieler sich nicht in grün kleiden wollen, weder Männer noch Frauen. Niemals! OT Grün Farbe der Freiheit VO:Aus symbolischer Sicht wurde Grün zu der Farbe des Gegensatzes zu Rot. Und da Rot oft die Farbe des Verbots war, wurde Grün zur Farbe der Erlaubnis, wie zum Beispiel bei den roten und grünen Ampeln auf den Straßen: rot ist der Stillstand, das Hemmnis, grün, das Weiterkommen, bis es sogar zur Farbe der„Freiheit“ wird. Das beginnt gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Es gibt da ein sehr schönes Beispiel aus der Schweiz: Als es in der Schweiz mit der Helvetischen Republik zu einem Regimewechsel kommt mit neuen Kantonen und neuen Wappen, nimmt Lausanne, also der Kanton Waadr, ein grünes Banner und ein grünes Wappen an. Das wird zum Symbol für die Freiheitsbewegung. Das Banner ist grün, mit der Aufschrift „Freiheit“. Das ist so um das Jahr 1790 passiert, und seitdem steht die Farbe Grün für Freiheit. OT Grün Ökologie VO: Die Idee, dass Grün die Farbe der Ökologie ist, ist dagegen jüngeren Datums. Heute steht sie für die politische Ökologie, aber darüberhinaus auch im weiteren Sinne, für die Natur an sich. Das ist ziemlich neu, denn für uns hat Natur etwas mit der Pflanzenwelt zu tun, mit der Vegetation. In den alten Gesellschaften sind „Natur“ und „Pflanzenwelt“ zwei verschiedene Dinge. Die Natur hat da vier Komponenten. „Die Natur“ das sind das Wasser, die Erde, die Luft und das Feuer. Sie hat also vier Farben, darunter das Grün, das bei den alten Gesellschaften die Farbe des Wassers ist, nicht blau. Zumindest bis zum siebzehnten Jahrhundert. Erst wenn man die Natur mit Vegetation, Bäumen, Pflanzen und Wald gleichsetzt, wird die Natur grün. Und das ist die Zeit der Romantik. Für uns ist es ziemlich offensichtlich, dass Grün und Natur zusammenpassen, aber so war das nicht für unsere Vorfahren.

Mod.: Am 11. Mai 2002 war in Diagonal zu hören:

BT: Farbe Chromophobie Angst vor der Farbe Batchelor und Schrott​​​​2.35

Mod.: …. sagt der britische Künstler und Autor David Batchelor bei unserem Spaziergang durch den Wiener Westbahnhof, einem Gebäude der farbskeptischen Nachkriegsmoderne, in der Chromophobiesendung von 2002. Da hat auch Wolfgang Kos mit einer illustren Runde das Thema „Angst vor der Farbe“ oder Farblosigkeit als Zeichen der Coolness und Moderne diskutiert. Bevor sie mit der Diskussion losgelegt haben, gab es noch einen Kleidercheck:

Farbe Studiodiskussion Kos / Liessmann/ Satek / Zinzen​​​​​11.22

Mod.: Eine Studiorunde aus dem Jahr 2002, geleitet von Wolfgang Kos. Und da will einer verschwinden:

Ein Synthiepop Klassiker von Visage:

MUSIK: Fade to grey / Visage​​​​​​0.08 Vorl.​​3.47

Mod.: Fade to grey

MUSIK hoch und bis zum Ende

Mod.: Fade to grey, bis es weiß wird ….oder unsichtbar. Von den Tiefen und Untiefen, den Vorzügen und Gefahren der Farbe weiß, die in manchen Zusammenhängen ja nicht einmal als richtige „Farbe“ gewertet wird, war hier schon die Rede. Gemeinsam mit ihrem Gegenpol schwarz war sie Gegenstand der Diagonal Sendung: Schwarz und Weiß und nichts dazwischen aus dem Jahr 2016. Schon damals hat sich abgezeichnet, wie polarisiert die Welt geworden ist.

Von der Obsession für weiß, in erster Linie für weißes Porzellan hat uns damals der Künstler und Schriftsteller Edmund de Waal in seinem Atelier im Süden Londons erzählt. Aus künstlerischer Sicht gibt der Kontrast und die Begeisterung für die Reinheit viel her ….

BT: de Waal + MUSIK Alban Berg / Dem Andenken eines Engels​​​​10.43

Mod.: Dem Andenken eines Engels. Eine Komposition von Alban Berg war das. Und bevor unseren akustischen Farbladen für heute schließen, braucht es nach so viel Reinheit, ein bisschen Schmutz und Farbe. Draussen ist es dunkel geworden. Yves Saint Laurent findet ja, wie wir gehört haben, die schönste Farbe sei das dunkle Blau des nächtlichen Himmels in einem klaren Augenblick. Dann schicken wir doch noch Paolo Conte vom roten Teppich auf die Bühne. Blu

MUSIK: Blu / Paolo Conte ​​​Vorl. 0.23​​​bei 3.00 oder 4.00 kommt man raus

Mod.: Paolo Conte blu – und damit schließt sich auch wieder der Kreis zum Beginn des heute betrachteten Spektrums. Wir haben es am ersten Samstag der Fastenzeit bunt getrieben, mit einem Besuch bei dem Farbhistoriker Michel Pastoureau, aktuellen Betrachtungen und Ausflügen in unser üppiges Archiv. Lektüreempfehlungen und die Musikliste finden Sie im Netz unter: oe1.orf.at/diagonal und die Diskussion über die Angst vor der Farbe in der Moderne kann man gesondert im „Diagonal gefragt“ Podcast nachhören – auf sounds.orf.at oder der Plattform ihrer Wahl

Sign.: Studiotechnik: Dietmar Nührig, Lukas Linschinger, Georg Janser und Elmar Peinelt. Gesprochen haben: Karl Menrad, Alexander Rossi und Peter Färber; mit Beiträgen von Dominique Gromes, Wolfgang Kos, Gersin Livia Paya Michael Schrott und Horst Widmer.

Kommenden Samstag führt sie Nicole Dietrich unter die Erde in: Unten durch. Diagonal zum Thema: Tunnel

Diagonal, Samstags 17.05

ÖFFENTLICH