Radikaler Freibeuter. Zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini.

Angelehnt an den Neorealismus, legt der frühe P.P.P. faschistoide Strukturen und später die Ausbeutung der Arbeitskräfte durch die großbürgerlichen Fabriksbesitzer in Italien offen. Die schillernden Gauner, die rebellischen Prostituierten, die verführerischen Straßenjungen in den römischen Vorstädten sind Pasolinis Protagonist/innen. Laien von der Straße und die Stars des italienischen Kinos, Anna Magnani und Silvana Mangano etwa, verdeutlichen Pasolinis Gesellschaftsutopie zwischen harter Realität und künstlerischer Transzendenz.

Angelehnt an die literarischen, politischen und filmischen Schauplätze macht Diagonal zum 100. Geburtstag Pier Paolo Pasolinis eine Reise ins aktuelle Italien. Ein Land, das zwischen einer extremen Linken und Rechten politisch zerrissen ist, bis hinein in den Alltag der römischen Vorstädte, die noch immer einer Stereotypisierung in Italiens Trash-Medien ausgesetzt sind.

 

DIA 5.3.2022 Radikaler Freibeuter. Zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini.

Eine Sendung von Petra Erdmann und Ines Mitterer

Sign.

MUSIK: Morricone

Zitat PPP Wörterbuch„Die italienische Kultur ist eine Kultur der Sesshaften, die alle einander gleichen, alles Kleinbürger und vollständig Angepasste. Die Katholiken sind stolz auf ihren Katholizismus, die Laizisten sind stolz auf ihren Laizismus. Die Avantgarde besteht aus Vertretern des Snobismus und der (gesegnet seien all jene Avantgardisten, die noch immer so naiv sind, an derartige Sachen zu glauben) literarischen Macht!

MUSIK hoch

OT PPP 1 Dann kam es zur sogenannten Krise der italienischen Gesellschaft,

die in gewisser Hinsicht eine positive Krise war. Also zum

Übergang Italiens von einem noch teils landwirtschaftlich und handwerklich

geprägten, auf alle Fälle aber paläokapitalistischen Zeitalter

zu einem neuen Zeitalter des neokapitalistischen Wohlstands, sprich:

zur radikalen Transformation der italienischen Gesellschaft. Kurz gesagt: zur Verwandlung dieses

von Gramsci und mir selbst als jungem Mann idealisierten Volks in etwas

anderes. In das, was die Soziologen »Masse« nennen.

Mod.: Wer so etwas sagt, macht sich nicht beliebt. Das Verhältnis zwischen Pier Paolo Pasolini und dem Italien seiner Zeit, den 1950er bis 70er Jahren darf als durchaus„angespannt“ beschrieben werden. Und doch ist der Filmemacher, Schriftsteller und Provokateur nach seinem gewaltsamen Tod 1975 nicht verschwunden, aus den Köpfen vielerMenschen, auch nicht aus Feuilletons und Diskussionsrunden – zu treffend und klar gedacht waren seine Analysen und Vorhersagen.

Zwei Zuschreibungen hört man am häufigsten, wenn es um Pasolini geht, der heute vor genau 100 Jahren, am 5. März 1922 in Bologna geborenen worden ist: er sei „uno scomodo“, ein Unbequemer gewesen, oh ja!! Aber auch „un profeta“ ein Prophet

DIA OT3 Maraini über Echo Pasolinis

„Ich glaube, dass er auf gewisse Weise sehr prophetisch war. Zum Beispiel, wenn er davon sprach, dass Europa seine Unschuld verloren hatte, vulgär geworden war, weil man Geld, neue Kommunikationsmittel und das Äußere zu wichtig nahm. Und was bleibt, ist seine Aufrichtigkeit, seine Nacktheit. Und diese war, in einer Welt, in der man sich gut kleidete, um aufzufallen, ein Skandal.“

Mod.: Sagt Dacia Maraini, eine Freundin, Schriftstellerin, kritische Denkerin wie er. Gemeinsam mit ihrem damaligen Partner, dem Schriftsteller Alberto Moravia waren sie viel unterwegs, haben viel diskutiert, sich umeinander Sorgen gemacht. Moravia schreibt in seinem Text „Mein Freund Pasolini“:

Zitat Moravia 2

„Pasolini war imstande, Krokodilleder-Schuhe zu tragen. Etwas Schreckliches. Oder gelb-schwarze Schuhe. Oder bunt getupfte Pullover, kurz, er hatte keinen sicheren Geschmack … Jeden Abend zog er los. Er sagte es auch: Ich geh auf den Strich. Das allein ist schon ein Exzess. So als wenn ich als Heterosexueller jeden Abend zu Nutten gegangen wäre. Ich gehe nicht zu ihnen, aber angenommen, ich hätte es getan, und das jeden Abend, so wäre dies schon pathologisch.“

OT1 Maraini über Freund Pasolini

„Er war von wirklich seltener Feinfühligkeit. Wir haben viele Reisen zusammen unternommen. Er war immer zur Stelle. Ich habe ihn nie ein bitteres, böses oder aggressives Wort sagen gehört. Er war ein idealer Freund.“

Zitat Moravia 1

„Was einen an Pasolini beeindruckte, war eine große Sanftheit. Er war sehr sanft … Er sprach sehr wenig, äußerst wenig. Er hatte das, was ich das schweigsame Lachen nenne … Er war nie langweilig, ganz und gar nicht … Er hatte eine gewisse Fähigkeit, Leute zu verstehen. Mehr noch als verstehen, ihre Existenz zu fühlen …

Mod.: Obszön ehrlich im Umgang mit sich und dem Rest der Welt, kein Verlangen auch nur irgendjemanden zu gefallen, ausser den jungen Burschen, mit denen er sich die Nächte um die Ohren schlug. Sanft und brutal, im Herzen (nicht auf dem Papier) Kommunist und Katholik, Glamour und Subproletariat – er wollte Widersprüche nicht auflösen, sondern hat seine Kraft daraus gewonnen.

Pasolinis Lieblingsfigur in Leben und Werk: das Oxymoron, der totale Widerspruch. Ein Intellektueller, der das rein rationale Denken als Irrweg erkennt und den Mythos feiert.  Ein Stück des Weges gehen wir heute in Diagonal mit ihm:

MK: Radikaler Freibeuter. Zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini. Eine Sendung von Petra Erdmann und Ines Mitterer.

Mod.: Dabei sind wir ausführlich im aktuellen Italien unterwegs: Katharina Wagner führt uns in die römische Vorstadt, Schauplatz von Pasolinis Büchern und Filmen, Cornelia Vospernik erinnert an die „anni di piombo – die bleiernen Jahre“, in denen Italien vom Terrorismus von ganz rechts und ganz links in Schach gehalten wurde, wir gehen ins Radio-Kino mit Dominique Gromes und Petra Erdmann und fahren ins Friaul, nach Casarsa an den Tagliamento, wo Pasolini aufgewachsen ist und seine ersten Schritte als Literat, Aktivist und Lehrer gemacht hat. Fritz Ostermayer schildert, welche Wirkung PPP auf Studierende seiner Generation, in den 70ern gehabt hat und schaut sich noch einmal den verstörenden letzten Film Pasolinis an, die „100 Tage von Sodom“. In Ostia, dem Ort, an dem am 2. November 1975 Pasolinis grauenhaft zugerichtete Leiche gefunden worden war, kommen wir auch vorbei. Aber jetzt sind wir noch am Anfang, bei einem jungen Dichter, einem Enthusiasten und neugierigen Beobachter – ein bisschen eigenwillig angezogen vielleicht ….

MUSIK: PPP / VIVO – Andrea Laszlo de Simone (Vorl. 17 sec.) bei 3.10 langsam raus

Mod. drüber: nein das bezieht sich jetzt auf unseren ersten Interpreten. Klingt wie ein italienischer Schlager aus den 60er Jahren, ist aber ganz frisch. Der junge melancholische Hipster Andrea Laszlo de Simone singt….. Vivo:

MUSIK: hoch!!

Mod.: Diagonal unterwegs mit dem radikalen Freibeuter Pier Paolo Pasolini zu seinem 100. Geburtstag heute. Das war eine Nummer von Andrea Laszlo de Simone, mit dem wir den kritischen Provokateur Pasolini wahrscheinlich provoziert hätten. Zu leicht, zu luftig, zu ironisch wäre ihm diese Musik wohl gewesen. Schlagendes Argument dafür, dass wir sie trotzdem und gleich so prominent gespielt haben: uns gefällt‘ s. Und atmosphärisch bringt sie uns auch dorthin, wo wir hinwollen, ins Italien Pasolinis.

OT 1 Giacomo heute noch gültig 1

Mod.: Giacomo Trevisan treffen wir im Studienzentrum Pier Paolo Pasolini im friaulischen Casarsa, er ist Literaturwissenschaftler.

OT 2 Giacomo heute noch gültig 2

(Vieles, was er angesprochen hat, ist heute noch gültig. Italien ist in vielen Dynamiken wie versteinert, und das wiederholt sich ad infinitum. Vor allem, das Umweltthema, das Pasolini immer wieder angesprochen hat und dessen Dringlichkeit er betont hat, ist heute genauso wichtig wie damals. Wir als Menschen müssen entscheiden, ob es nicht Zeit wäre, etwas zu unternehmen, bevor wir draufgehen mit der Erde,  die Entwicklung umzukehren, und das Wohlergehen der Menschen und der Gesellschaft dem Gewinn und dem Profit vorzuziehen.)

Mod.: Seit den 1970er Jahren ist Pasolinis Werk Gegenstand von hunderten wissenschaftlichen Arbeiten. Wissenschaftler und Studierende kommen nach Casarsa, dem Heimatort seiner Mutter, wo Pasolini als Kind und Jugendlicher seine Sommer verbracht hat und später dann am Ende des Krieges gelebt hat. Das Haus der Colussi, so der Mädchenname der Mutter, an der Hauptstrasse, konnten Gemeinde und Provinz kaufen und es zum Studienzentrum Pier Paolo Pasolini ausbauen, mit Bibliothek, Ausstellungen, Filmvorführungen, Seminaren und Sommerworkshops.  Pasolini Forscher kommen hierher, um hier Originalmanuskripte zu finden, Fotos, persönliche Gegenstände, PasolinisZeichnungen und Bilder, Texte auf Friaulisch, die Atmosphäre in einer kleinen italienischen Provinzstadt zu erleben, ….. Sie kommen von weit her, aus anderen italienischen Städten, aber auch aus Frankreich, Spanien oder Brasilien.

Die intellektuelle Leuchtkraft Pasolinis hat schon immer weit über die Grenzen ausgestrahlt. Welche Wirkung er hierzulande hatte und warum, erzählt Kollege Fritz Ostermayer, Jahrgang 1956 aus sehr persönlicher Perspektive.

BT: Warum Pasolini / Ostermayer​​​​​​​​10.33

Mod.: Fritz Ostermayer mit einem Auszug aus dem Prosagedicht „Die KP an die Jugend“ am Ende seines Nachdenkens über PPP. Verfasst wurde das Gedicht 1968 nach den Zusammenstößen von Studierenden und der Polizei. Vielleicht haben Sie es schon bemerkt, mehrere Sendungen auf Ö1 feiern den 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini diese Woche. Mehr Lyrisches von ihm gibt es noch morgen früh in der Sendung „Du holde Kunst“ um 8.20 Philipp Hauß liest Pasolini Gedichte über Rom.

Wir bleiben noch in den 1960er Jahren, im Italien der Arbeiter und Matteo Salvatore: Mo ve’la bella mia da la muntagna.

MUSIK: Mo ve’la bella mia da la muntagna / Matteo Salvatore​​​​​2.50

Mod.: Wo ist die Schöne aus den Bergen, Matteo Salvatore führt uns zur nächsten Station unserer Italienreise.

MK: Diagonal heute: Zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini. Eine Sendung von Petra Erdmann und Ines Mitterer.

BT: Casarsa / Erdmann, Mitterer​​​​​​​​​16.27

MUSIK: schon reinmischen in die Glocken: Farmer in the City / Scott Walker ​​​bis 2.41 ca.

Mod. drüber: Scott Walker mit seiner elegischen Hommage an Pasolini

MUSIK hoch

Mod.: Remembering Pasolini. Das ganze Gefühl, die Intensität, Direktheit, Nacktheit, krude Passion. Nach den frühen Gedichten auf Friaulisch, der Sprache seiner Mutter, in der er nur geschrieben, die er nicht gesprochen hat, verfasst Pasolini in seinen ersten römischen Jahren Anfang der 1950er, seinen Debutroman, der ihn auf einen Schlag ins Bewußtsein der italienischen Öffentlichkeit bringt: Ragazzi di Vita. Rotzige Sprache, subproletarisches Personal, Kleinkriminalität, Elend, Gewalt, Sexualität. So direkt hat noch niemand vor ihm die Zustände in Roms Vorstädten geschildert ….

Zitat: Ragazzi di Vita

OT Giacomo ragazzi 1

Mod.: sagt Literaturwissenschafter Giacomo Trevisan im ehemaligen Esszimmer des Pasolini Hauses in Casarsa, heute Centro Pier Paolo Pasolini.

OT Giacomo ragazzi 2

Mod.: Diese Direktheit wird in Italien gleich zum Skandal und endet sogar vor Gericht. Es ist der Beginn einer langen Karriere als Angeklagter, die für Pasolini in den meisten Fällen mit Freispruch endet.

Strafregister:

Mod.: Das festigt seinen Ruf als Bürgerschreck und untermalt sein Image als Provokateur, hält ihn aber von genau nichts ab.

Strafregister Ende

Mod.: Mit Ragazzi di vita entdeckt Pasolini eine neue Sprache. Das Buch wird zum Film, der Autor zum Filmemacher – das Thema bleibt.

OT P 3 Pasolini Filmemacher

Mod.: Was den frühen Filmemacher Pier Paolo Pasolini umtreibt, hat Dominique Gromes recherchiert.

BT: Frühe Filme / Gromes

MUSIK Quanto sei bella Roma / Anna Magnani ​​​​​​​1.38

Mod.: Quanto sei bella Roma, Anna Magnani, Hauptdarstellerin in Pasolinis „Mamma Roma“ kann auch singen.

Diagonal heute zur Person Pier Paolo Pasolini. Als er mit der Mutter nach Rom zieht, 1950,hat er kein Geld und zieht zu den Superarmen in die römische Vorstadt – nach Ponte Mammolo. Hier schrieb er das erste Kapitel von Ragazzi di Vita. Vor einem Jahr hätte die Wohnung gleich neben dem größten Gefängnis der Stadt versteigert werden sollen, es fand sich kein Käufer. Die römischen Vorstadtviertel rund um Pasolinis ersten römischen Wohnsitz sind bis heute Gegenden, in denen staatliche Strukturen wenn überhaupt, dann nur unzureichend vorhanden sind und funktionieren. Doch Vereine und Sozialzentren setzen sich dafür ein, auch in der Tradition Pasolinis, den Vorstadtbewohnern neue Perspektiven und Selbstvertrauen zu geben. Katharina Wagner war rund um Pasolinis erste Wohnung unterwegs.

BT: PPP und die Vorstadt Roms / Wagner​​​​​​​​13.24

MUSIK: Fruscio di foglie verdi / Morricone​​​​​​​​2.25

Mod.: Katharina Wagner war für uns in Roms Vorstadt unterwegs und von Ennio Morricone war dieses Lied „Fruscio di foglie verdi“, angestimmt auch in dem Pasolini Film „Teorema“, von dem jetzt gleich in Petra Erdmanns Überblick über die späten Pasolini Filme die Rede sein wird.

BT: Späte Filme / Erdmann​​​​​​​​​               9.44

MUSIK: Callas -Dei tuoi figli la madre tu vedi vinta e afflitta/Nr.6 Arie Medea bei 2.54 raus (Markerl)

Mod.: Maria Callas mit der Arie der Medea aus Luigi Cherubinis gleichnamiger Oper. Mit den Jahren wurde aus dem kritischen Enthusiasten Pasolini ein ernüchterter, scharfer Kritiker, der in der Fiktion, im Roman, sagen wollte, was ihm an der italienischen Gesellschaft aufstieß. Eine Geschichte mit dem Erdöl im Hintergrund sollte „Petrolio“ werden, ein langer Roman, mindestens 2000 Seiten lang über die Krise der Demokratie, über die „Leiden, die Unreife, die Schwäche und zugleich den Untertanenzustand des Bürgertums, des anmaßenden Neokapitalismus“, wie er über sein Vorhaben schrieb. Eine Geschichte über die Verwicklung von Politik und Wirtschaft ….

Zitat: Petrolio S. 570 unten

…“Auch wenn eine Reihe von (realistischen) Verbrechen einer Vision nachgestellt wird – eine Nachstellung, die die Logik des Machiavellismus oder des politischen Realismus verlacht und ihn scheußlich antiquiert dastehen läßt – , ist das dennoch – das muss klar sein – eine Anklage. Denn Politiker dürfen nicht nur keine Mörder sein , sie müssen auch die Fähigkeit besitzen, Visionen zu haben.“

Mod.: Wie genau Pasolinis letzter Roman, sein Opus Magnum, ausschauen hätte sollen, wissen wir nicht, es ist Fragment geblieben, 700 Seiten dick, veröffentlicht 1992, 17 Jahre nach seinem Tod. Es hätte die Summe seiner Erfahrungen sein sollen, verewigt wurde aber auch das ganze schwierige Politdrama Italiens seit dem 2. Weltkrieg. Pasolini war desillusioniert, aber immer noch einer kruden Ehrlichkeit und nackten Wahrheit verpflichtet, meint der Literaturwissenschaftler Giacomo Trevisan.

OT 3 Giacomo Hoffnung schreckliches Wort

(Es ist schon stark, wenn man so wie Pasolini sagt: Hoffnung sei eines der schrecklichsten Wörter, die man sich vorstellen kann. Wenn ein Mensch das sagt, dann ist er an einem Punkt angekommen, von dem es kein Zurück mehr gibt, vielleicht auch kein Vorwärts. Wir kommen da nicht weiter, das muss jemand anderer übernehmen. Weil der Westen, die kapitalistische Welt, bei der wahren Entwicklung des Menschen gescheitert ist, dabei, als einzelne Personen, als Gemeinschaft und Gesellschaft besser zu werden. In den letzten Büchern Pasolinis geht es darum, zu zeigen, dass wir das nicht geschafft haben, eventuell gelingt es den Kindern, aber auch nicht den Kindern dieser Gesellschaft, vielleicht denen aus der dritten Welt, damals hat man dritte Welt gesagt, vielleicht können sie eine Alternative schaffen.)

Mod.: Die Atmosphäre im Italien der 1970er Jahre, rund um die Entstehung von „Petrolio“, Pasolinis Roman war aufgeheizt – oder besser „schwer“: Anni di Piombo nennt man die Zeit: bleierne Jahre. Sie hatten einen Exzess an rechter und linker Gewalt gebracht und schließlich auch das Ende der großen politischen Parteien. Rund zehn Jahre lang standen Straßenschlachten, Entführungen und Attentate an der Tagesordnung. Viele Verbrechen sind bis heute nicht geklärt, andere Verfahren ziehen sich endlos. Cornelia Vospernik berichtet darüber, wie sehr diese Jahre immer noch ihre Spuren im Heute zeigen.

BT Anni di Piombo / Vospernik ​​​​​​​​10.17

MUSIK: Core Meu / Ludovico Einaudifeat. Antonio Castrignanó​​​Vorspann 27“ bei 2.19 raus!!

Mod. drüber: Ludovico Einaudi einmal gar nicht leise und minimalistisch. Core Meu featuring Antonio Castrignanó.

MUSIK hoch

Mod.: Aus Ludovico Einaudis Tarantana Projekt: Core Meu. Diagonal heute zur Person Pier Paolo Pasolini zum 100. Geburtstag.

Filmausschnitt 120 Tage von Sodom

Mod.: Vor diesem Film hängen viele Warnschilder: sadistische Pornografie, Schweinerei, Perversion. Keines von Pasolinis Werken hat so heftige Diskussionen entfacht wie sein letzter Film: Die 120 Tage von Sodom. Ein schwer zu ertragender Streifen aus dem Jahr 1975, der viel Publikum lange vor dem Abspann nach zwei Stunden aus dem Kino vertrieben hat. Fritz Ostermayer über einen der umstrittendsten Filme der Filmgeschichte.

BT: 120 Tage von Sodom / Ostermayer​​​​​​​​6.15

MUSIK: Sodom läuft im Hintergrund

Mod.: Fritz Ostermayer über Pasolinis Werke des Schreckens und der Intensität. Sein Tod – alle wissen es: erschlagen von einem Stricherjungen am Strand von Ostia und schrecklich zugerichtet, hat viele Fragen aufgeworfen – war es wirklich nur Pino Pelosi, der minderjährige Stricher , der den Mord dann auch gestanden hat, waren es mehrere Mörder, die da brutal zugeschlagen haben? Kleinkriminelle aus der Vorstadt oder ein Auftragsmord aus rechtsradikalen Kreisen? Pasolini Freunde haben nie an die Einzeltätertheorie mit Pino Pelosi geglaubt, die Journalistin Oriana Fallaci nicht, der Schriftsteller Alberto Moravia nicht und auch nicht die Journalistin Lucia Visca, die damals vor Ort war und mit uns den Tatort in Ostia nochmals besucht hat.

DIA OT1 Visca über Fund

“Mich hat gegen sieben Uhr die Polizei in Ostia angerufen und gesagt: ein Toter wurde am Idroscalo (Wasserflughafen) gefunden. Name war keiner bekannt, der Tote war nicht zu erkennen. Erst später hat man den Namen Pasolini auf seinem Hemd gefunden. Menschen aus Rom kamen, auch Freunde Pasolinis. Und dann immer mehr Polizei. Die Carabinieri hatten in der Zwischenzeit den mutmaßlichen Täter festgenommen. Was schon damals seltsam war und aus heutiger Sicht noch mehr ist, ist, dass das alles die Schlamperei nicht aufgehalten hat.“

OT4 Visca über Täter

(„Natürlich ist Pasolini von mehr als nur einer Person umgebracht worden. Ich habe seine Leiche gesehen. Das konnte keine Einzelperson tun. Deshalb war ich überzeugt, dass unbekannte Täter dabei waren. Und einige Zeit nach dem Mord wurde im ersten Verfahren festgehalten, dass Pino Pelosi der geständige Täter war, aber andere beteiligt waren. Das erste Urteil hat also Zweifel angemeldet.“)

Mod.: Wurde dann aber bestätigt. Fast 40 Jahre später, 2014 wurde der Fall noch einmal aufgerollt. Pino Pelosi hatte seine Zeit im Gefängnis abgesessen, später seine Meinung geändert und seine Unschuld beteuert. Für den Mord sollen laut Pelosi mindestens sechs Menschen verantwortlich sein. DNA -Spuren von fünf verschiedenen Männern wurden auf Pasolinis Kleidung gefunden, konnten aber nicht zugeordnet werden. Der Fall wurde wieder geschlossen.

So kann man eine Sendung natürlich nicht aufhören, auch wenn es langsam Zeit wird. Mit dem Tod, wie schrecklich, wie banal! …. Wie wäre es mit Eros?

OT Pasolini Erotik

VO: Erotik im Leben ist etwas Wunderschönes. Auch in der Kunst natürlich!! Sie ist ein Element, das seine Daseinsberechtigung in einem Werk hat wie jedes andere. Wichtig ist, dass sie nicht vulgär ist. Unter Vulgarität verstehe ich nicht, was man allgemein darunter versteht, sondern die rassistische Sicht auf den Gegenstand des Eros.

Mod.: Das war eine Sendung zum 100. Geburtstag des Freibeuters Pier Paolo Pasolini. Links, Lektürehinweise und eine Musikliste finden Sie wie immer auf unserer Seite im Netz: oe1.orf.at/diagonal.

Sign.: an den Studioreglern: Robert Pavlecka, Georg Janser, Jakob Jedletzberger und Ingrid Song. Gesprochen haben: Bernhard Fellinger, Aimie Rehburg, Alexander Rossi, Nina Strehlein, Rafael Sas, und als Pasolini: Raphael von Bargen. Mit Beiträgen von: Dominique Gromes, Fritz Ostermayer, Cornelia Vospernik und Katharina Wagner, Regie: Nicole Dietrich und Peter Waldenberger; Redaktion und Präsentation: Petra Erdmann und Ines Mitterer