Null Fehler Gesellschaft? Ist das klug?
„ein fehler ist jedem schon (paaiert) passiert, auch wenn er sich nicht geirrt hat…“
schreibt Ernst Jandl in seinem Gedicht „Der Fehler“ und thematisiert damit nicht nur das Menschliche, allzu Menschliche, nämlich, dass wir alle Fehler machen, sondern auch, dass sich aus Fehlern Kunst machen läßt. UND dass sich, wer Fehler macht, nicht unbedingt geirrt haben muss. Seit Freud wissen wir, dass der Fehler zum Erkenntnisgewinn mehr beiträgt, als so manche hochintellektuelle Analyse. Er bringt ans Tageslicht, was wirklich der Fall ist.
In der Kunst ist der Fehler nicht nur am „erlaubtesten“ (wie schön! wie befreiend! sich einmal themenbedingt nicht ganz an die deutsche Grammtik halten zu müssen) sondern eigentlich Grundlage fast aller Erneuerungen. Es hätte das Genie Picasso nie gegeben, wenn der Künstler seine Figuren nicht „falsch“ gemalt hätte, mit Ecken und Kanten und verschobenen Gesichtern. Oder den Surrealismus mit seinen falschen Bildern – dem Bügeleisen mit Nägeln auf der Unterseite, oder Duchamps ironisches Hinterfragen der Kunst mithilfe der Mona Lisa und ihrem falschem Bart oder die „unharmonische“ 12 Ton Musik…… ganz zu schweigen von den Zufallskompositionen eines Musikpioniers wie John Cage. Fehler und Avantgarde gehören einfach zusammen.
In der Kunst, ja! werden Sie jetzt vielleicht sagen, „da kann man den Fehler sogar zelebrieren, aber im wirklichen Leben? Auch da hat der Fehler bei genauerer Betrachtung seinen schlechten Ruf nicht verdient. Natürlich braucht keiner ein fehlerhaftes Gerät oder ein Mißgeschick im Krankenhaus, beim Flugverkehr oder im Atomkraftwerk. Aber auch hier gilt: zu größtmöglicher Sicherheit führt nicht Fehlerintoleranz, sondern die Möglichkeit Missgeschicke eingestehen zu können, ohne das Gesicht zu verlieren. Kleine Fehler führen selten zu großen Katastrophen. Im Hochrisikobereich ist das Sicherheitsnetz eng gewebt und nur wenn Fehler permanent vertuscht werden müssen, kann es zu katastrophalen Kettenreaktionen kommen.
Natürlich wollen wir keine Fehler machen; werden von klein auf gerügt und gestraft, wenn sie uns passieren, genieren uns dafür und versuchen alles, damit sie nicht ans Licht kommen. Denn: unsere Gesellschaft hasst Fehler. Es gibt kaum ein Volk, das dem Defekt, dem Lapsus, dem Irrtum intoleranter und gnadenloser gegenüberstehen würde, denn unseres.
In der Schule werden sie geahndet wie Schwerverbrechen, rot herausgestrichen, damit am Totalversagen keine Zweifel mehr bleiben. Dabei lernt am besten, wer sich irren darf. Und die Angst vor dem Fehler verhindert nicht nur lustvolles Lernen, sie produziert sogar unnötige Fehler. Denn ironischerweise kommen sie dort am häufigsten vor, wo sie mit aller Kraft vermieden werden wollen.
Wer keine Fehler machen darf, wird kein IPhone entwickeln. Und so ist es kontraproduktiv, wenn in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie den unseren, noch einmal unerbittlicher an den alten Regeln des „So und nicht anders muss es sein“ festgehalten wird. Die Null Fehler Gesellschaft verzichtet damit auf Fortschritt, auf die Entwicklung des wirklich Neuen, des ganz Anderen, des Überraschenden und Ungeplanten. Man muss sich nur die Autos anschauen. Winzig sind die erkennbaren Unterschiede zwischen einer Marke und der anderen, einem Modell und dem anderen. Einen Flop kann sich keiner leisten, also bleibt man auf der sicheren Seite!
Aber eingefahrene Produktionsmechanismen oder Denkschemata brauchen Störungen und Irritationen, wenn sie sich nicht leerlaufen sollen. Und dann wird im besten Fall ein „bug“, ein Fehler, zum „feature“, zur Eigenschaft eines neuen Produktes.
Hätte Alexander Fleming seine Versuchsanordnung nicht während seines Urlaubs vergammeln lassen, wäre Penicillin wohl erst viel später, wenn überhaupt, entdeckt worden.
Ohne das fehlgeschlagene Experiment des Chemikers Harry Coover, der versuchte, einen transparenten Kunststoff für Präzisionsgewehre zu erfinden, gäbe es vielleicht noch keinen Superkleber und der Herzschrittmacher war auch das Produkt eines Fehlers beim Versuch ein Gerät zu erfinden, das Herzschläge aufzeichnen kann.
Und was ist die Fähigkeit zu gehen, anderes, als die Folge von hunderten Stürzen, aus denen man schliesslich gelernt hat?
Kapitalismuskritiker legen die Geburtsstunde unserer massiven Fehlerparanoia in die Anfangszeiten der Massenproduktion. War es zuvor bei der handwerklichen Herstellung von Einzelstücken zwar nicht angenehm, aber kein Drama, wenn einmal etwas schief gelaufen ist, so versenkt man bei einem fehlerhaften Massenprodukt gleich einmal ein paar Millionen bis Milliarden und sein Image gleich dazu. Das erklärt die Vorsicht. Aber aus der Vorsicht entstehen keine großen Würfe. Nicht IBM, der alte Riese hat einst den Computermarkt revolutioniert, es war die Garagenboyband rund um Steve Jobs.
In unseren Gehirnen sind Fehler als „no-gos“ abgespeichert, mit persönlichem Versagen assoziiert. Wer Fehler macht, ist schuldig, wird, wenn er ein öffentlicher Mensch ist, von den Medien be-schuldigt und persönlich angegriffen. Klar, dass keiner mehr zu seinen Fehlern stehen kann – Politiker, Banker, Professoren oder Experten – durch die Kniffe neolinguistischen Programmierens so geschult, dass sie jedes Miss-lingen flugs in ein Ge-lingen zu verwandeln imstande sind. Aber gelernt hat man dann nichts daraus. In Wahrheit, nicht einmal seine Zuhörer zu manipulieren. Die Lüge ist richtig spürbar hinter der blitzblanken Erfolgsfassade.
Hat man einmal einen Schuldigen, einen, der einen Fehler gemacht hat, der nicht mehr zu vertuschen geht, dann sagt der Fehlerforscher Klaus Horsten, dann läuft so eine Schuldsprechung immer auf eine unseriöse Vereinfachung hinaus. Wenn der Sündenbock gefasst ist, wen kümmert es dann noch, weshalb das Missgeschick passiert ist??
Machen Sie in Zukunft also ruhig Fehler – am besten gleich die richtigen. Ernst Jandl weiss wie:
„… der fehler ist nämlich kein irrtum, sondern eine falsche. Daraus
wird leicht eine flasche. dass sie zerbricht
ist ein fehler, kein irrtum.“
(„ein fehler“ aus dem Lyrikband Ernst Jandl: der gelbe hund)