Diagonal zur Person: Arno Geiger

Der Künstler des Ungekünstelten. Diagonal zur Person Arno Geiger. Schriftsteller

22. Juli 2023

Moderation: Ines Mitterer Regie: Roman Tschiedl

Sign.:

GEI TV OT kennen für Mod.: Anfang (hat musikschwanzerl)

Mod.: Sagt im fernen Jahr 1996 ein junger Autor selbstbewußt. Damals, als er sich für das Bachmann Wettlesen so präsentierte, kannten ihn „eigentlich“ noch die wenigsten …..

GEI Ausschnitt Bachmann Lesung + Musikfutzerl vorn

M: Penguin Cafe Orchestra, Music for a Found Harmonium

Mod.: Der Text „Das Kürbisfeld“ 1996 vorgetragen in Klagenfurt hat noch nicht zum literarischen Durchbruchgeführt, heute 11 -13 Bücher später, je nach Zählart, ist er einer der bekanntesten und populärsten deutschsprachigen Schriftsteller. Und  ganz zufällig – diese Koinzidenz war nicht geplant, die ist uns passiert – hat er heute Geburtstag. Arno Geiger, geboren am 22. Juli 1968.

OT AG Sprachschatzsammler Ich hatte schon als Kind ein Faible für Sprache. Ich saß lieber bei den Erwachsenen am Tisch und habe zugehört, während die Geschwister Skispringen angeschaut haben oder was auch immer. Und wenn jemand ein Wort verwendet hat oder eine Formulierung, dann habe ich gesagt: das musst du dir merken, das kannst du vielleicht auch einmal verwenden. Ich war eine Art Sprachschatz Sammler. Also dass Sprache ein Schatz ist, dass Sprache einem die Welt auch öffnet.

MK: Diagonal heute: Künstler des Ungekünstelten. Zur Person Arno Geiger, Schriftsteller. präsentiert von Ines Mitterer.

MUSIK: Karussell / Leierkasten

Mod.: Schon in seinem ersten Roman, bringt Arno Geiger sein Publikum in Schwung. „Kleine Schule des Karusellfahrens“ wird 1997 vom renommierten Hanser Verlag herausgegeben.

1 Zitat Karussellfahren:

Als Lila an ihrem Türschloß herummurxt und verschiedene Stimmen in deinem Innern lautwerden, die sich bemüßigt fühlen, dir eine Kehrtwendung am Absatz schmackhaft zu machen, wäre es höchste Zeit für dich, einzusehen, daß du dich in eine Unternehmung begibst, die dir nicht bekommen wird. Denn den Anregungen, die dir auf diesem Weg zukommen, fehlt es nicht im mindesten an Plausibilität. Charles Maurice Talleyrand=Périgord, Bischof von Autun und Hinkefuß: Hütet Euch vor zu ungestümer Lebhaftigkeit, denn jegliche UnOrdnung kann für die Freiheit un=heilvoll sein. Napoleon Bonaparte: Die Liebe zu schönen Frauen stiftet mehr UnHeil, als sie Gutes wirkt. Philipp Worovsky: Sie ist einige Nummern zu groß für dich. Bestimmt wird sie dich am Ende der zweiten Runde mit Kinderreimen auszählen. Bestimmt schlägst du noch in dieser Nacht dreizehn.

OT Karusselfahren

Mod.: Auch wenn Arno Geiger oft und gern Alltägliches erzählt, die Demenzerkrankung seines Vaters in „Der alte König in seinem Exil“, das Leben „Unter der Drachenwand“ im späten Krieg 1944 in Mondsee, oder seine Passion für Altpapiercontainer in „Das glückliche Geheimnis“, die Sätze, die Texte sind nicht alltäglich. Wichtig sei, sagt er, vor allem, wenn sich der Erfolg einmal eingestellt hat, dieser Kontakt zum Leben ausserhalb der Schreibstube und des eigenen Gedankenkarussels.

OT AG safe space Ich bin halt kein Freund von Safe Spaces, weil Luftabschluss ist nie gut. Also bei Sexspielen ist es für einen Moment vielleicht luststeigernd, aber letztlich führt Sauerstoffmangel zum Absterben von was auch immer, von Kreativität, von Weltvertrauen oder oder auch Widerstandskraft gegen die Welt. Wenn ich mich mit der Welt nicht auseinandersetze, verliere ich auch die Fähigkeit, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Und es wird dann immer schlimmer und immer schlimmer. Und so versuche ich, mich selber anzuspornen. Arno, du lebst nicht auf dem Mond. Also wenn du Schriftsteller sein willst und wenn das relevant bleiben soll, musst du raus auf die Straße.

Mod.: Was bisher geschah und als nächstes passieren soll im Überblick:

MK: Die Alchemie des Abfalls

Mod.: In seinem autobiografischen Roman, „Das glückliche Geheimnis“ zeichnet Arno Geiger nach, wie er aus Gefundenem – Briefkonvoluten und Tagebüchern, die er bei seinen Streifzügen durch die Stadt aus Papiermüllcontainern gefischt hat, Literatur destilliert. Seitdem ist er ein gefragterExperte für die Verwandlung von scheinbar Wertlosem in Wertvolles.

OT Müll

Mod.: Bei einer Veranstaltung der Technischen Universität Wien hat er mit Architekten nachgedacht, wie man dieses Verfahren in der Baubranche nutzen kann. Kaspar Arens geht dem nach.

MK: Das Vergangene zum Heute machen

Mod.: Mit zwei Romanen hat sich Arno Geiger einen Platz in den vordersten Reihen der fiktionalen Geschichtsschreibung erobert. Mit dem Familienepos „Es geht uns gut“, das die österreichische Geschichte des letzten Jahrhunderts vergegenwärtigt und mit „Unter der Drachenwand“, einem

MK: Zitat: „Ein Glanzstück der Gegenwartsliteratur.“

Mod.: … wie Dirk Knipphals in seiner Rezension in der TAZ vom März 2018 schreibt, über das Leben im Kriegsjahr 1944. Erich Klein hat nachgelesen.

ATMO: mähen

MK: Man muss heuen, wenn das Wetter gut ist

Mod.: Arno Geiger stammt aus Vorarlberg und wenn man nach seiner Biografie im Netz sucht, steht da immer: der Autor lebe in Wien und Wolfurt. Die Aufenthalte daheim sind im Laufe der Jahre weniger und kürzer geworden, trotzdem ist er nach wie vor auch in Vorarlberg zu Hause. Zita Bereuter hat ihn da beim Mähen eines steilen Bühels getroffen und spricht mit ihm beim Kaffee dann über das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit in Büchern wie „Der alte König in seinem Exil“.

MK: Tote Schriftsteller schreiben nicht

Mod.: Bücher werden von Lebenden geschrieben, deshalb erzählen sie auch von deren Gegenwart. Und mit diesem Gedanken der Lebendigkeit im Kopf sei Literatur auch zu unterrichten. Arno Geiger stellt sich den Fragen von angehenden Germanistinnen und Germanisten. Hannah Horsten war dabei.

MK: Kleinmöbel und Musik

Mod.: Zitate aus Arno Geigers Büchern und ein Gespräch mit ihm in seiner Wiener Wohnung machen das Sendungskraut zusätzlich fett und es gibt keinen Musiksalon heute dafür eine prall gefüllte Musikwunschliste von Arno Geiger selbst erstellt.

M: Amy Macdonald, This is the Life​​​​3.05 (Vorl. 0.12)

Mod.: drüber: Darauf steht zum Beispiel Amy Macdonald, „This is Life“ ……

M: hoch

Mod.: Amy MacDonald, This is Life – ein Geburtstagsständchen für Arno Geiger, um den es heute in dieser Sendung geht. Es ist kein runder, dafür ein Schnapszahlengeburtstag – Arno Geiger wird heute 55, was aber nicht der Grund für diese Sendung war, sondern nur eine glücklicher Zufall. So spielt das Leben – This is life.

2 Zitat glück 185

Das Glück ist die Fähigkeit zu wünschen. Aber das Wissen, dass ich nach aller Wahrscheinlichkeit auch diesmal leer ausgehen werde, fährt immer mit. Sinnbild des menschlichen Lebens. Immerhin komme ich gut voran, ich bin ein Stadtstreicher, wie es ihn unter allen Breiten gibt. Und alter Hase, der ich geworden bin, weiß ich: Das Nichtfinden endet, früher oder später.

Mod.: Mehr als zwei Jahrzehnte lang, das wissen inzwischen schon viele, weil sie Arno Geigers Bestseller „Das glückliche Geheimnis“ gelesen, oder darüber gelesen oder gehört haben, ist der Schriftsteller frühmorgens mit dem Fahrrad aufgebrochen und hat die Papiercontainer der Stadt nach Brauchbarem durchwühlt. Das waren weggeworfene Bücher, seltene Postkarten, ganze Briefkonvolute oder Tagebücher. Die einen hat er am Flohmarkt verkauft, aus den anderen hat er Geschichten destilliert, das Gelesene verdaut, verändert und zu Neuem geformt.

OT AG Erfahrungsräume Mir ist das eigene Leben vertrauter geworden durch diesen Blick hinter die Kulissen. Und es sind Erfahrungsräume. Als junger Mensch habe ich das aufgesogen, Erfahrungsräume, die mir vielleicht so nicht zugänglich geworden wären, weil eben jeder lebt in seinem Milieu, seinem Umfeld. Und man kann ja gar nicht genug über das Leben wissen, und zwar nicht nur ich als Schriftsteller, sondern alle. Es gilt: Je mehr ich weiß, desto besser finde ich mich zurecht. Aber für mich gilt dann noch verstärkt Je mehr ich weiß, desto mehr habe ich zu sagen.

Mod.: Als Arno Geiger mit „Das glückliche Geheimnis“ wieder einen autofiktionalen Text geschrieben hat, war er sich der Tücken und Fallen der Textsorte bewußt, die bei Literaturpreisjuror*Innen und Leserschaft schon länger so beliebt ist, und von Kolleginnen und Kollegen wie Annie Ernaux über Karl Ove Knausgard bis Kim de l’Horizont oder Edouard Louis gepflegt wird.

3 Zitat glück

Mir ist klar, ein Buch über mich selbst, das ist schwierig, schwieriger als ein Roman. Ich bringe das Erlebte in eine erzählbare Ordnung und bin gleichzeitig viel zu sehr Künstler, als dass eine Art Chronik entstehen könnte. Ich bemühe mich um Aufrichtigkeit, ja klar. Aber auch Aufrichtigkeit ist eine persönliche Sicht der Dinge und nicht realisierbar, selbst nach den strengsten Richtlinien. Das Erzählte ist nie wahr. Die Herausforderung besteht wohl darin, das Selbsterlebte so zu transformieren, dass mehr herauskommt als „nur“ etwas in den eigenen Augen Aufrichtiges. Ein autobiografisches Buch muss so geschrieben sein, dass die Fähigkeit zum Irrtum ausgeglichen wird durch Vertrauenswürdigkeit auf tieferer Ebene. Man schreibt, obwohl man irrt, im Wissen um die eigene Unvernunft.

Mod.: Auch auf Arno Geigers Musikwunschliste steht Literarisches: Masha Qrella hat für „Woanders“ ein Gedicht von Thomas Brasch vertont.

M: Masha Qrella, Woanders bis 2.40 – dann kommt langer instr teil und dann wiederholung

Mod.: Masha Qrella, Woanders. Wir hoffen, Sie bleiben bei noch bei uns: Diagonal heute zur Person Arno Geiger. Mit seinem jüngsten Roman „Das glückliche Geheimnis“ ist Arno Geiger zum Abfall-, Sammel- und Wegwerfexperten geworden und macht geduldig und neugierig mit, wenn darüber öffentlich diskutiert wird. Wie kann man Abfall als Ressource sehen? Was beim Recyclen von Materialien wie Papier und Glas, Metall und Kunststoff schon recht gut gelingt, wird in den meisten anderen Bereichen noch erfolgreich ignoriert. Die Logistik wird da oft als Schwierigkeit vorgeschoben, neu Produziertes wäre demnach günstiger als Wiederverwertetes: im Ausstellungswesen, im Maschinenbau oder in der Bauindustrie werden die wenigsten Materialien oder Bauteile wiederwerwendet. Da machen wir unserer Identität als „Wegwerfgesellschaft“ nach wie vor alle Ehre. Wie vor allem in der Architektur Vorhandenes zu Zukünftigem werden könnte, wurde im Juni 2023 bei einer Veranstaltung an der Technischen Universität in Wien verhandelt. Kaspar Arens fasst für uns zusammen. Zum Einstieg gibt es ein Zitat aus Arno Geigers Buch.

BT: Gold aus Abfall in Schriftstellerei, Architektur/Arens13.56

M: Sixto Rodriguez, Inner City Blues ​​​​3.25​​(0.20 Vorlauf)

Mod.: Ein Beitrag von Kaspar Arens und hier macht einer Musik, der seine Karriere nach zwei Alben beendet glaubte, um dann spät über den Umweg über Südafrika noch einmal international durchzustarten: Sixto Rodriguez mit dem „Inner City Blues“

M: hoch

Mod.: Sixto Rodriguez – Arno Geiger hat angeregt, diesen Song zu spielen. Wir sitzen inzwischen in seiner Küche nahe dem Wienfluß und dem Naschmarkt in der Bundeshauptstadt. Es ist sommerlich heiß. Die Wohnung ist hell, aufgeräumt, kein Gegenstand zu viel, es gibt wohl keinen Bedarf anübermäßigem Dekor. Arno Geiger mistet kontinuierlich aus und erzählt, dass es nur ein Bücherregal in der Wohnung gibt und wenn Bücher dazukommen, werden andere weggegeben. Da hat einer das Wegwerfen gelernt. Zur Einstimmung für unser Gespräch ein Zitat aus „Das glückliche Geheimnis“ – gelesen von Rafael Schuchter.

4 Zitat glück Die meisten Menschen, wenn sie aus privaten Gründen schreiben, haben etwas zu sagen. Warum sonst sollten sie sich hinsetzen? Bei Menschen, die mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen, ist das oft nicht so klar.

Wer das Schreiben zum Beruf macht, verliert die Frage, ob er etwas zu sagen hat, leicht aus den Augen, das liegt in der Natur der Sache, sowie das Schreiben zum Broterwerb wird.

Oder zum Selbstzweck. Dann verliert das Geschriebene rasch an Unmittelbarkeit, das Unmittelbare weicht dem Kalkulierten, wird ersetzt durch Erfahrung, Schema und Geschwafel.

Es ist schwer, hier auf Dauer ein Gegengewicht zu schaffen. Doch wer dieses Gegengewicht nicht schafft, hört auf, Künstler zu sein. Der verreckt im Handwerk.

BT: Gespräch über Leben und Schreiben/Mitterer             14.02

M: Gry feat. FM Einheit, Princess Crocodile​​​2.28

Mod.: Gry featuring FM Einheit hat uns mit „Princess Crocodile“ in die erzählte Vergangenheit geführt. Jetzt soll es um die beiden Romane gehen, die bisher als Geigers Meisterwerke gelten. Der eine, „Es geht uns gut“ ist eine österreichische Familiengeschichte rund um eine geerbte Villa in Wien, die mit ihren Bewohnern in all die Irrungen, Wirrungen und Katastrophen, die das 20. Jahrhundert in Österreich ausgemacht haben verwickelt war. Dieses Buch hat den ersten Deutschen Buchpreis bekommen und Arno Geigers Schriftstellerlaufbahn in lichte Höhen geschraubt. Die Begründung der Jury unter Vorsitz von Bodo Kirchoff lautete damals 2005:

Zitat: Es geht uns gut; begründung dt buchpreis:

„Arno Geiger gelingt es, Vergänglichkeit und Augenblick, Geschichtliches und Privates, Erinnern und Vergessen in eine überzeugende Balance zu bringen“.

Mod.: Und nach Erscheinen von „Unter der Drachenwand“, das die Geschehnisse am Ende des 2. Weltkrieges in Mondsee erzählt, überschlagen sich die hymnischen RezensionenAnfang des Jahres 2018:

EH: Zitat Iris Radisch in der Zeit:

Im liebevollen Auspinseln solcher kriegsabgewandter Winzigkeiten wie den Zwiebeln, dem abendlichen Bier nach der anstrengenden Gartenarbeit, den Nächten am Plattenspieler im Gewächshaus am Mondsee und vielen anderen vermeintlichen Banalitäten liegt die Stärke des Romans. Und es sind solche safe spaces des Alltäglichen, die eine Teilantwort auf die Frage nach dem seelischen Überleben in Zeiten des Krieges enthalten.

Mod.: schreibt Iris Radisch in der „Zeit“

MK: Zitat Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.18

„Ein großartiges Buch, das Arno Geiger, einen der erfolg- und wandlungsreichsten deutschsprachigen Schriftsteller des letzten Jahrzehnts, von einer wieder einmal ganz neuen Seite zeigt: diesmal als historischen Chronisten, auf den Spuren eben von Seethaler, Arno Schmidt oder auch Christoph Ransmayr, dem in ‚Morbus Kitahara‘ ein ähnliches Stimmungskunststück geglückt ist.“

Mod.: stand bei Andreas Platthaus in der FAZ und für Claudia Voigt im Literatur Spiegel ist „Unter der Drachenwand“:

EH: Zitat: Claudia Voigt, Literatur Spiegel, Dezember 2018

„Der Roman des Jahres … Bedrückend intensiv, höchst lebendig: ein Antikriegsepos, in dessen Mitte sich eine Liebesgeschichte entwickelt … Ein eindrucksvolles, feinsinniges Buch.“

Mod.: Was macht das historische Schreiben von Arno Geiger so besonders? Erich Klein hat darüber nachgedacht ….

BT: Geiger und das Historische/Klein​​           ​​14.47

M: John Coltrane, Naima ​​​​​2.00

Mod. drüber: Der Schriftsteller und die Wahrheit – ein Beitrag von Erich Klein war das. Und jetzt ist John Coltrane dran. Zurücklehnen, klingen lassen, verdauen ….

M: hoch

Mod.: Ein Stück von Arno Geigers Musikliste: John Coltrane „Naima“.

Bevor wir jetzt mit Arno Geiger heim fahren, Richtung Westen, zur Einstimmung ein Lied von seinen Vorarlberger Landsleuten Alldra. Das Klischee über Vorarlberger besagt ja, dass sie ganz schön widerspenstig sein können – den herrschenden Autoritäten nicht ganz so geneigt, wie anderswo im Land ….. stattdessen lieber ihr eigenes Süppchen kochen – was Alldra so im Allgemeinen von Konventionen hält, hört man jetzt in „Ma sött – übersetzt wohl: man sollte ….

M: Alldra, Ma sött (= man soll – über Konventionen)             2.16

Was man nicht alles sollte! – Arno Geiger war wohl selbst für vorarlberger Verhältnisse  ein widerständiger junger Mann: er trägt weder Krawatte noch das in Vorarlberg obligate Maturakäppchen auf dem Foto, das bei der dazugehörigen Feier entsteht und läßt sich auch sonst ungern auf „was ma sött“ festlegen.

OT AG nicht dazugehören und aufgeben

Mod.: Viel Anerkennung bekommen hat Arno Geiger für seinen Roman „Der alte König in seinem Exil“. Es geht dabei um den Vater des Schriftstellers, der an Demenz erkrankt und wie die Familie und die Gesellschaft mit der Krankheitumgehen. Schonungslos, liebevoll.

7 Zitat König: Wenn ich zu Hause bin, was nicht allzu oft vorkommt, da wir die Last der Betreuung auf mehrere Schultern verteilen können, wecke ich den Vater gegen neun. Er liegt ganz verdattert unter seiner Decke, ist aber ausreichend daran gewöhnt, dass Menschen, die er nicht erkennt, in sein Schlafzimmer treten, so dass er sich nicht beklagt.

»Willst du nicht aufstehen? «, frage ich ihn freundlich. Und um ein wenig Optimismus zu verbreiten, füge ich hinzu:

»Was für ein schönes Leben wir haben.« Skeptisch rappelt er sich hoch. »Du vielleicht«, sagt er. Ich reiche ihm seine Socken, er betrachtet die Socken ein Weilchen mit hochgezogenen Augenbrauen und sagt dann: »Wo ist der dritte?«

Mod.: Schauplatz des Romans ist Arno Geigers Elternhaus in Wolfurt. Er fährt immer wieder dorthin nach Hause, hinter den Arlberg. Zita Bereuter, hat ihn besucht. Die beiden kennen einander schon lange …

BT: Geiger mäht die Wiese/ Bereuter​​           14.38

Mod.: Zita Bereuter war bei Arno Geiger in Wolfurt. Aus Vorarlberg stammt auch die Interpretin des folgenden Liedes, Ramona Kasheer. Stärke, Schwäche, Wut, Einsamkeit, Leidenschaft, unerfüllte Liebe, Sehnsucht nach menschlicher Nähe, Sehnsucht nach geliebtem Leben, Spiritualität und Naturverbundenheit findet sie in den Gedichten der Kärntner Lyrikerin Christine Lavant, die sie vertont. Inzwischen hat sie schon drei Alben mit vertonten Lavant Gedichten herausgebracht. Der Mond nimmt zu ….

M: Ramona Kasheer, Der Mond nimmt zu ​​            3.01

Mod.: Ramona Kasheers Vertonung des Gedichtes „Der Mond nimmt zu“ von Christine Lavant ist auf dem Album „Herzhandteller“ zu hören.

Tagebücher sind eine wichtige Quelle für Arno Geigers Schreiben. Eigene und fremde. Vielleicht erklärt das diese Unmittelbarkeit, diese Frische, dieses lebendige Schildern von Begebenheiten in seiner Literatur. Dass Bücher von lebenden Autoren geschrieben werden, verankert in ihrer Zeit, die für sie aktuell ist, das will Arno Geiger im Vermitteln von Literatur verhandelt wissen. In der Schule und auf der Uni. Am Institut für Germanistik der Universität Wien trifft Geiger auf Studierende. Hannah Horsten fängt den Spirit dieses Treffens für uns ein.

BT: Tote Schriftsteller schreiben nicht/Horsten         11.55

Mod.: Hannah Horsten war bei der jüngsten Germanist*innengeneration an der Uni Wien. Und der folgende Song läßt Arno Geigers Schriftsteller- und Menschenherz hüpfen……

M: Lou Reed, Perfect Day ​​​​          3.45 (Ausstieg bei 2.45 fadeout oder 3.20 möglich)  

Mod.: Lou Reed einmal versöhnlich …. Perfect Day. Das war ein Diagonal zur Person Arno Geiger. Schriftsteller. Die Buch und Musikliste zur Sendung + einige Links finden Sie auf unserer Seite im Netz: oe1.orf.at/diagonal. Und das Gespräch mit Arno Geiger gibt es in voller Länge im „Diagonal gefragt“ Podcast auf Sounds oder der Plattform ihrer Wahl.

Sign.:

Mod.: Studiotechnik: Sabine Heyna und Georg Janser. Die Zitate aus den Büchern von Arno Geiger las Rafael Schuchter, sonst hörten Sie die Stimmen von Michael Köppel und Esther Hollosi. Mit Beiträgen von: Kaspar Arens, Zita Bereuter, Hannah Horsten und Erich Klein. Regie: Roman Tschiedl. Redaktion und Moderation: Ines Mitterer.

Kommende Woche beginnen wir mit unserer Serie der Sommerreprisen und gehen auf Kuchen und Eis in die: „Konditorei – das große Naschen“ heisst die Sendung. Diagonal, immer samstags, 17.05.

5 Zitat glück: 215

Die gewohnten Wege bieten viele Bequemlichkeiten, aber wenn man genau hinsieht, zeigt sich, dass sie auf lange Sicht mehr Gefahren bergen als Chancen. Eine der größten Gefahren in der Kunst ist, dass man auf einem zu stark begangenen Weg landet, auf einem von einem selbst zu stark und vor allem zu lange begangenen Weg. Dann wird das ehemals Innovative zur Manier. Und unter der Manier erstarrt das Lebendige zur Mumie. Die Manier ist die Totenmaske des Künstlers.

Wenn man kein Leben hat neben dem Schreiben, ist es, noch während man schreibt, als sei man tot.

Spiegel:

Roman des Jahres

Unter der Drachenwand von Arno Geiger

Bedrückend intensiv, höchst lebendig: ein Antikriegsepos, in dessen Mitte sich eine Liebesgeschichte entwickelt.

Von Claudia Voigt

23.11.2018, 18.00 Uhr • aus LITERATUR SPIEGEL 12/2018

Alldra, Plunder (übers Ausmisten nach einer Trennung, aus: Ummanand)

Canned Heat, Poor Moon

Crusaders with Randy Crawford, Streetlife

Calexico, Gypsy’s Course (aus: The Black Light)

Serge Gainsbourg, Un poison violent, c’est ca l’amour (aus: Comic Strip)

Heitor Villa-Lobos, „Suite popular brasileira“, 3 (Valsa-Choro) oder 4 (Gavota- Choro). [Musik mit Bezug zu Unter der Drachenwand)

Brummeisen, Johann Georg Albrechtsberger, 1. Satz aus dem Konzert E-dur für Maultrommel und Mandora

Bobby McFerrin, YoYo Ma, Allegro Prestissimo (Jean-Baptiste Barrière, Sonate für 2 Cellos)

 

Glückliches Geheimnis:

Eine Prosa, schlicht wie ein Gehsteig.

Es gibt Ansprüche, die verderben den Stil. Jede Stilisierung ist eine Lüge.

Es reicht nicht, dass etwas guter Stoff ist, man braucht auch eine Beziehung zu dem, was man schreibt.

Die Lust am Risiko weicht der Lust am Gelingen, das Handwerk nimmt überhand.

GEI TV OT karussell + zitat

GEI OT Bachmannportrait Heimathaus

OT AG Menschenfreund

Ich persönlich würde auch annehmen, dass ein Nein immer leichter ist als ein Ja. Also man kann sich leichter über etwas lustig machen, als zu versuchen, etwas zu verstehen oder sich zu fragen, warum ich es nicht verstehe und sich hin zu tasten. Gleichzeitig ist das Nein oft effektiv. Also es hat mehr Effekt. Und ich glaube, es gibt darum so wenig Literatur über gelingendes Leben, weil es so schwierig ist, über gelingendes Leben so zu schreiben, dass es sehr interessant ist. Also wie die Mechanik von Gelingen ist. Das ist auch schwieriger. Es ist auch leichter, bei einem gescheiterten Roman zu sagen, warum der gescheitert ist, also bei einem sehr guten zu sagen. Warum? Weil das schottet sich auch ein bisschen ab, das Gelingende. Es ist einfach so und es stimmt keineswegs, was Tolstoi im ersten Satz von Anna Karenina schreibt. Alle glücklichen Familien sind auf die gleiche Art glücklich, und alle unglücklichen Familien sind auf unterschiedliche Arten unglücklich. Das ist ein großartiger erster Satz, weil man drüber nachdenken kann, aber es ist Quatsch. Es gibt so viele Arten, glücklich zu sein, wie es Arten gibt, unglücklich zu sein, aber es ist schwieriger, etwas über das Glück zu sagen. Und ich glaube, das steht in Homers Ilias. Die Götter haben den Menschen das Unglück gegeben, damit sie davon erzählen können.