Ideen für eine erschöpfte Welt. Donna Haraway und die Kunst

„Eine andere Welt wird nicht nur dringend gebraucht, sie ist auch möglich.“

Die Mitsiebzigerin Haraway, Wissenschaftshistorikerin, Feministin, Gedankenspielerin und einflussreichste Denkerin der Kunstwelt, schlägt vor, sich zusammenzutun. Nicht nur alle Generationen, Geschlechter oder Menschen verschiedenster Herkunft und sozialen Hintergrunds gemeinsam, sondern alle lebenden Wesen, ohne Hierarchien zwischen Mensch, Tier, Pflanze müssten gemeinsam schauen, wie auf diesem beschädigten Planeten weiterzuleben ist.

Dabei schlägt sie vor, von indigenen Praktiken des Miteinander zu lernen, vom Verhalten der Spinnen, dem Wachstum von Pilzmyzel oder der Kooperationsbereitschaft von Brieftauben. Die unkonventionelle Denkerin ist auch gegenüber der Technologie mehr als aufgeschlossen – man dürfe sie nur nicht einzelnen machthungrigen Tech-Riesen zur Gewinnmaximierung überlassen, sondern dem Kollektiv, dem Gemeinwohl zur Verfügung stellen.

Die Denkerin, die aus dem Patt herausführt

Schon immer war Donna Haraway, die lang an der University of California in Santa Cruz gelehrt hat, die Denkerin, die aus dem Patt herausführt, schon allein deshalb, weil sie Dualitäten ablehnt. In ihrem Denken ist nichts Mann oder Frau, Tier oder Mensch, Geist oder Körper, Kultur oder Natur, Wahrheit oder Illusion, Gott oder Mensch. Die alten Grenzen der Herrschaft führten in die Enge, nicht zur Lösung, so ihr Credo. So manchem ist das zu kompliziert, viele andere beflügelt der Gedanke.

Mit ihrem unkonventionellen Denken eröffnet Haraway einen Handlungsspielraum, den wir gerade bitter nötig haben, um aus der Schockstarre des Entsetzens über Umweltschäden und Klimakatastrophen, aber auch veraltete Machtstrukturen herauszukommen, die geradewegs in Krieg und Verderben führen. Während die strenge Naturwissenschaft, ihr angestammtes Metier, ihrem oft spielerischen, ironischen, lustvollen und freien Denken nicht so viel abgewinnen kann, ist Donna Haraway zur einflußreichsten Persönlichkeit der Kunstwelt geworden, amtlich bestätigt von Kunstbedeutungsrankings von Berlin über New York bis Tokyo.

Ein neues Zeitalter

Der Mensch hat mit erschreckender Geschwindigkeit im von ihm geprägten Anthropozän die Welt fast an die Wand gefahren, jetzt brauche es ein neues Zeitalter, so Haraway. Das Kapitalozän hat die Welt kaputt gemacht, im von Haraway vorgeschlagenen „Chthuluzän“ krempeln wir gemeinsam die Ärmel hoch und versuchen zu retten, was zu retten ist. Am Anfang waren ja immer schon das Wort oder das Bild, die Vorstellung, die Erzählung. Das ist doch einmal eine, sagen wir, gute Nachricht.

DIA 25.06.2022

Ideen für eine erschöpfte Welt. Donna Haraway und die Kunst.

Moderation: Ines MittererRegie: Roman Tschiedl

Sign.

MUSIK: Holly Herndon Anfang verwoben mit:

OT DH witches damaged planet 1 (Anfang)

Ü: Wir sind die Enkelinnen der Hexen, die ihr nicht verbrannt habt.

OT DH witches damaged planet 2 (Anfang)

Ü: und mein Job ist Geschichten zu erzählen für das irdische Überleben.

OT DH witches damaged planet 2 (Anfang)

Ü: Wir leben auf einem geschädigten Planeten. Wir müssen die Kunst, auf einem beschädigten Planeten zu leben, kultivieren, um weiter gedeihen zu können.

MUSIK: Holly Herndon Anfang 2

Mod.: Das war jetzt ein monumentaler Anfang. Aber mit dieser Nachfahrin der Hexen, die ihr nicht verbrannt habt, könnte man auch so anfangen:

HAR / lachen (i did my best)

Mod.: Kaum 10 Minuten Vortrag der US-amerikanischen Philosophin, Biologin, Feministin, Science Fiction Denkerin Donna Haraway vergehen, ohne dass sie einmal herzlich lachen würde. Die 1944 in Denver Colorado geborene Gedankenspielerin, ausgestattet mit einem Doktortitel in Molekular-, Entwicklungs- und Evolutionsbiologie erkennt den Ernst der Lage der Welt, pocht auf Seriosität, läßt sich aber dadurch nicht die Laune verderben.

OT nicht nur stories of destruction (Anfang)

VO: Die Geschichten der Zerstörung zu erzählen, ist furchtbar wichtig. Aber nur diese Geschichten zu erzählen, ist ein schrecklicher Fehler, denn die Wesen am Land, in der Luft und im Wasser sind nicht am Ende. Die menschlichen und nicht-menschlichen Wesen dieser Erde, die immer noch um ein vitales Chthuluzän kämpfen, sind immer noch sehr präsent.

Mod.: Das Chthuluzän, Kritter, making kin und weiteres ungewöhnliches Vokabular wird in dieser Sendung vorkommen, weil Donna Haraway erfindet, was sie im konventionellen Wissenschaftsbetrieb nicht findet. Die Säulenheilige von Feministinnen, Umweltbesorgten, Cyborgs und Künstler*innen ist seit den 1980er Jahren eine vielzitierte und wegen ihrer unkonventionellen Art zu denken geradezu verehrte Persönlichkeit. Die Mitsiebzigerin Haraway schlägt vor, sich zusammenzutun. Nicht nur alle Generationen, Geschlechter oder Menschen verschiedenster Herkunft und sozialen Hintergrunds gemeinsam, sondern alle lebenden Wesen ohne Hierarchien zwischen Mensch, Tier, Pflanze müssten gemeinsam schauen, wie auf diesem beschädigten Planeten weiterzuleben ist. Dabei schlägt sie vor, von indigenen Praktiken des Miteinander zu lernen, dem Wachstum von Pilzmyzel oder der Kooperationsbereitschaft von Brieftauben oder vom Verhalten der Spinnen. Die kleine kalifornische Spinne pimoa chthulu ist ihr Wappentier für das Chthuluzän, das sie dem Antropozän gegenüberstellt, der Zeitlichkeit, in der das Verhalten des Menschen, des Anthropos die Geschicke der Erde bestimmt. Tiere würden klüger und sorgsamer mit ihren Ressourcen umgehen – da gibt es viel zu lernen.

Tierstimmencollage??

Mod.: Der großen Berühmtheit entzieht sie sich Donna Haraway durch konsequentes Hakenschlagen, die lineare Theorie, die einfach zu zitieren wäre, ist ihre Sache nicht. Als Vorbilder für ihr „tentakuläres Denken, das nach allen Seiten ausgreift, kommen eher vielarmige Tiere, mythologische Figuren ins Spiel, Oktopusse, Spinnen oder Medusen, wie sie in einem Vortrag in Yale gestand, wo sie selbst einst studiert hatte.

OT Medusa

VO: Die Medusa ist eine meiner Leitfiguren, eine meiner Schutzpatroninnen. Nicht die Medusa, die Pallas Athene nach einem Auftragsmord auf ihrem Schild hat. Sie hatte Perseus angeheuert, ihr den Kopf abzuschlagen, damit sie ihn auf ihren Schild setzen kann. Der Auftragsmord der Athene sagte mir im Grunde, wer von Zeus geboren wurde, wer eine mutterlose Kopfgeburt ist, von dem kann man nichts Besseres erwarten. Eva Hayward lehrt mich, dass aus dem Blut der Gorgone Medusa ihr Sohn Pegasos erwächst, das geflügelte Pferd. Und ich sage Ihnen, Feministinnen haben ein Faible für Pferde. Ich hatte ein feministisches Theorieseminar zu Caren Kaplans Zeiten, das fast an der Frage der Pferde zerbrach. Es war eine erotische Frage…..

Mod.: Eine typische Harawaysche Vortragssituation: Kulturgeschichte, Wissenschaftstheorie gepaart mit launigen, scheinbar bedeutungslosen Beobachtungen aus dem privaten Leben. Ein inspirierender, erfrischender Mix, der vor allem in der Kunstwelt seit Jahren gut ankommt. Ende 2021 setzte das Kunstmagazin „Monopol“ die Biologin Donna Haraway an die Spitze der Liste der 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Kunstwelt. Die Begründung:

Zitat: „Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich mit einer Neubewertung der Natur als Partner des Menschen und mit den Rechten verschiedener Spezies und zielen unter dem Stichwort des Posthumanen auf eine Überwindung der zerstörerischen Ausbeutung der Natur. Haraway ist die meistzitierte Vordenkerin dieser Bewegung“.

ATMO: bellen

Mod.: Tiere reden auch immer mit, bei Donna Haraway, der diese Sendung gewidmet ist. Etwas kürzer als gewohnt heute, in einer guten Stunde schalten wir ins Ö1 Zelt auf der Donauinsel. Davor gibt es:

MK: Donna Haraway und die Kunst. Ideen für eine erschöpfte Welt, präsentiert von Ines Mitterer

Mod.: Was diese Ideen ausmacht, erzählt Katrin Mackowski in ihrem Überblick:

MK: Vom tentakulären Denken zum Chthuluzän

Mod.: Der schweizerisch-brasilianische Künstler Pedro Wirz verbindet das Beste aus natürlichen und technologischen Materialien und Denkweisen und nennt Donna Haraway einen seiner Leitsterne in seiner Arbeit:

MK: Planetarischer Hangover

Mod.: Wie wird man Donna Haraway? Im Film

MK: Geschichtenerzählen für das Überleben der Welt

von Fabrizio Terranova erzählt die Denkerin über ihren Werdegang – Dominique Gromes schaut ihn sich mit uns an.

Und wie sehr ihr Science Fiction Denken über die Verflechtungen von Menschen und Informationsmaschinen noch heute die Cyborg Community inspiriert, hat Lena Stefflitsch in Barcelona erfahren und erzählt uns davon in

MK: Die Erdverbundenheit der Cyborgs

Mod.: Die Kombination von Mensch und Maschine ist in der Musik eher die Regel, denn die Ausnahme – besondere Kompositionen aus dem Harawayschen Universum werden zu hören sein und in zwei Ausflügen zu den Weltkunstausstellungen 2022 in Venedig und Kassel erfahren wir, warum und wie Donna Haraway derzeit die Denkerin der Stunde im Kunstbetrieb ist – zusammengefasst unter dem bekannten Titel:

MK: Kleinmöbel und Musik

Mod.: Und jetzt spielen wir die Nummer aus, die schon angeklungen ist: Holly Herndon liebt die Stimme, am liebsten sind ihr überhaupt viele Stimmen und dann wendet sie sich damit oft an ihren Gefährten, den Computer, um daraus Musik zu machen, eigene Instrumente und Gesangsprozesse zu erstellen.

MUSIK: Herndon Frontier​​​​​​​​​​3.17

Mod.: Frontier, ein Song der in Berlin lebenden US-Musikerin Holly Herndon, entstanden in Zusammenarbeit mit einem Ensemble von Sängern und Entwicklern und Spawn, „einer unmenschlichen Intelligenz, die in einem aufgemotzten DIY-Gaming-PC untergebracht istwie wir von der Komponistin erfahren haben. Die Zusammenarbeit von Menschen und anderen lebenden und nichtlebenden Kreaturen, sie fasst sie unter dem englischen Begriff „Kritter“ zusammen, ist zentral in dieser Sendung heute über Donna Haraway und die Kunst. Sie spricht davon, sich verwandt zu machen, englisch: making kin, heisst, sich so um andere Menschen, Tiere, Ausschnitte von Natur zu kümmern, als wäre es die eigene Familie. Verantwortung zu übernehmen, sich zu kümmern.

Zitat Haraway 1

ATMO: Venedig draussen

OT Bonajo dominance / safety 1

Wir sind darauf konditioniert worden, zu glauben, dass Dominanz eine Garantie für Sicherheit ist. Dabei brauchen wir viel mehr Fürsorge, Verwundbarkeit und Empathie.

Mod.: Das sagt Melanie Bonajo, die Künstlerin, die heuer auf der Biennale in Venedig die Niederlande vertritt, ganz im Sinne von Donna Haraway. Im quietschbunten Jumpsuit, in rot, rosa und gelb, Herzen aufgenäht und mit gelber Kapuze erzählt sie über ihre Arbeit mit Körpern.

OT Bonajo dominance / safety 2

Wir als Menschen müssen unseren bescheidenen Platz und unsere Verantwortung im großen Ganzen spüren. Aber es schaut gerade so aus, als ob jedes Narrativ, das eine Alternative zu dem System der Unterdrückung anbietet, das für Gleichheit steht oder die Möglichkeit sich als Gesellschaft anders zu organisieren, aggressiv bekämpft werden soll. Das wird uns aber nicht aufhalten!!

Mod.: Melanie Bonajos Position ist eine der radikalen Zuwendung, der Suche nach gleichberechtigtem Verhandeln statt Dominanz, der sanften Beharrlichkeit nicht der militanten Stärke, der Offenheit, Fröhlichkeit, der Lebensbejahung.  Die 44-jährige steht am Brunnen vor der Chiesetta della Misericordia im Stadtteil Cannareggio, der kleinen profanierten Kirche, die heuer als niederländischer Pavillon dient. Drinnen zeigt sie ihren Film „when the body says yes“. Am Boden bunte große Kissen in den verschiedensten Farben und Formen, die Besucherinnen liegen da léger herum und schauen auf die große Leinwand, die quasi das Altarbild ersetzt.

ATMO: bonajo inside pav

Mod.: Darauf zu sehen viele Menschen allerlei Geschlechts, Hautfarben von hell bis dunkel. Sie liegen mit neonfarbenem Bikini oder ganz nackt in Löffelform aneinander, oder übereinander, grüne oder violette Matratzen dazwischen – ein Menschenhaufen. Sie erzählen von ihren Körper- und Körperkontakterfahrungen. Unterschiedlichst von Mensch zu Mensch, von Kultur zu Kultur. Mit Melanie Bonajo lernen sie und ihre Körper ja zu sagen: when the body says yes. Mit ihren Performances und Filmen will bonajo Isolation, Traumata und den Stress eines vom Kapitalismus geprägten Lebens überwinden. Denn das habe nicht nur Einfluß auf das Private, sondern auch auf die Weltgeschichte:

OT Bonajo Folgen von Patriarchat, keine Gefühle

Was jetzt gerade in Europa passiert, dieser Krieg, findet vor unseren Augen statt, aber das gibt es ständig und überall, und das hat mit dieser tiefen Erschütterung unseres Planeten durch Kolonialismus, Imperialismus und Patriarchat zu tun und mit der totalen Entkörperlichung dieser machthabenden Männer, die sich selbst dazu trainiert haben, keine Gefühle zu haben …..

Mod. Viele der Künstlerinnen auf der Biennale in Venedig heuer, und es sind tatsächlich mehr als 80 % KünstlerInnen, agieren im Sinne von Donna Haraway, bewußt oder unbewußt und verführen zum Hinschauen und Mitdenken.

Zitat Haraway 3 (….wegschauens.)

Mod.: Hinschauen und anpacken ist Donna Haraways Devise, denn: eine andere Welt wird nicht nur dringend gebraucht, sie ist auch möglich, aber nicht, wenn wir uns durch Verzweiflung, Zynismus oder Optimismus, im Glauben oder Unglauben an den Diskurs des Fortschritts verhexen lassen. Also weder blinder Fortschrittsglaube noch lustvolle Hingabe an die Apokalypse bringt uns jetzt weiter, da wir den Weltkarren schon so knapp an den Umwelt-Klima-Supergau herangelenkt haben. Melanie Bonajo findet das inspirierend und sucht die Lösung in der konkreten Arbeit mit ihrer Umgebung –, Tieren, Bäumen, dem eigenen Körper und dem der anderen …..

OT Bonajo ode an DH

Wir sind alle verwandt. Und was wir in unserem Projektraum praktizieren, ist, wirklich zu diesem Gefühl der Verwandtschaft zu gelangen, indem wir uns berühren und halten und wirklich diese Hingabe praktizieren, in der Gegenwart anderer verletzlich zu sein. Denn in gewisser Weise sind wir ein Körper: auf der Ebene des Nervensystems sind wir im Grunde genommen eins, denn auch jetzt, wo wir miteinander sprechen, regulieren unsere Körper mit: Fühle ich mich hier sicher? Fühle ich mich wohl? Fühle ich mich frei zu sprechen? Fühle ich mich verurteilt? Und so befinden wir uns immer in einem Prozess der Anpassung. Und in diesem Sinne ist dies ein wenig eine Ode an Donna Haraway.  

Mod.: Das vom Menschen beherrschte Zeitalter, die respektvolle Beziehung zur Natur, hybride Körper, die Trias Mensch-Maschine-Natur – viele der heuer in Venedig gezeigten Werke scheinen wie Illustrationen von Donna Haraways Denken. Die Chefin dieser Weltkunstschau, Cecilia Alemani, kann diesem Gedanken etwas abgewinnen.

OT Alemani wir können uns entwickeln

Ich denke, es zeigt die Fähigkeit von uns Menschen, sich als Spezies weiterzuentwickeln und sich an die Veränderungen auf dem Planeten anzupassen, an die Veränderungen, die wir auch gerade erlebt haben. Und ich stelle mir auch eine veränderte Beziehung zu dem vor, was uns umgibt.

HAR / Musik – Janelle Monae – SUITE III (OVERTURE) – The Archandroid

Mod.: drüber: Janelle Monae The Archandroid, Suite Nummer 3​​​​​1.41

MUSIK hoch

Mod.: Diagonal heute zum Thema „Ideen für eine erschöpfte Welt, Donna Haraway und die Kunst.

Katrin Mackowski skizziert ihren Gedankenkosmos.

DIGAS: Denken / Mackowski​​​​​​​​​​​9.42

Mod.:Katrin Mackowski über Donna Haraways unkonventionelle Art, Theorien zu entwerfen. Und jetzt schaut Laurie Anderson hinter den Vorhang des Nichtwissens.

MUSIK: Laurie Anderson – Born, never asked ​​​​​​​ca. 3.00

Mod.: Laurie Anderson, Born never asked. Beinahe die gleiche Generation wie Donna Haraway, die 1944 geboren wurde; Anderson ist drei Jahre jünger. Und jetzt machen wir einen Generationen-, Kontinente- und Geschlechtersprung, zu einem, der künstlerisch lebt, was Donna Haraway denkt.

OT weder panik noch techno 2 (nach Mack.2)

Es kann viel getan werden, um diesen Planeten zu einem blühenden Ort für die sterblichen Kreaturen der Erde zu machen. Es kann sehr viel getan werden, um die Erde zu einem Ort zu machen, an dem es sich gut leben und sterben lässt, auch für die nicht-lebenden Wesen, indem man nicht noch einen Berggipfel in die Luft jagt, um an Kohle heranzukommen, zum Beispiel. Es kann viel getan werden, und es wird auch viel getan, aber ich denke, es ist furchtbar wichtig, nicht dieser Fantasie der ganzheitlichen Heilung zu verfallen. Ich glaube, dabei verlieren wir, bevor wir überhaupt angefangen haben, das funktioniert für mich nicht und ist ein Wunsch, der nicht seriös ist.

…..sagt Donna Haraway in einem Vortrag in Yale, an der Uni, die sie selbst besucht hat, um Biologie zu studieren. Wie kaum eine andere Denkerin inspiriert Donna Haraway Künstlerinnen und Künstler, Pedro Wirz ist einer davon. Seine Forschungen zum besseren Weiterleben auf diesem beschädigten Planeten, in engem Austausch mit der Natur, ohne die Technologie zu verteufeln, finden relevante Wegweiser in Haraways Büchern. Zu Hause ist er derzeit in der Schweiz.

DIGAS: Pedro Wirz / Mitterer​​​​​​​​13.01

MUSIK: Já é / Lucas Wirz​​​​​​​​​ 2.53

Mod.: Pedro Wirz zerstört Panzer, sein Bruder Lucas Wirz, Musiker, greift zum Mikrophon

MUSIK: hoch

Mod.: Wie wird man Donna Haraway? Eine Wissenschaftstheoretikerin und Gedankenspielerin, Biologin und Feministin, die so anders tickt als die meisten ihres Fachs? Dominique Gromes bringt Licht ins Dunkel. Mithilfe eines Dokumentarfilms, den der Belgier Fabrizio Terranova mit ihr vor der Pandemie gedreht hat.

DIGAS: Biografie / Gromes​​​​​​​​​  9.18

Mod.: Donna Haraway bei sich zu Hause, im Norden von San Francisco, wo sie seit den 1980er Jahren lebt.

MUSIK: Björk ​​​​​​​​Ausstieg bei 3.18 hart

Mod.: Die Isländerin Björk, die sich auch gerne als Mensch-Maschinenwesen gibt mit Virus. Einer fatalen Liebesgeschichte zwischen einem Virus und einer Zelle, wobei das Virus die Zelle so sehr liebt, dass es sie zerstört …. Diagonal heute zu Donna Haraway und die Kunst. Unterrichtet hat Donna Haraway lange Zeit an der University of California in Santa Cruz, studiert hatte sie in Yale ….

OT Yale, irish catholic girl

Als ehemalige Studentin der Yale University möchte ich mich an einige Dinge erinnern, die ich durch das Privileg, an dieser Universität studieren zu dürfen, geerbt habe. Ich bin natürlich wegen des Kalten Krieges hierher gekommen, als selbst die Gehirne irisch-katholischer Mädchen zu nationalen Ressourcen wurden, die hochgradig finanzierbar waren. Anstelle einer katholischen Mutter von fünf bis zehn Kindern und einer Pro-Life-Aktivistin endete ich also als feministische Science Fiction Theoretikerin…..

Mod.: Warum Science Fiction und feministische, beziehungsweise Gendertheorien bei Haraway zusammengehen, liegt an ihrem Interesse für Cyborgs – das Mischwesen aus Organismus und Maschine hat per se kein Geschlecht und das ist schon einmal eine gute Grundlage für die Ziele des Feminismus, meint die bekennende Science Fiction Leserin und Fabuliererin Donna Haraway. Cyborgs sind Geschöpfe einer Post-Gender-Welt. Ohne Geschlecht keine keine Unterdrückung, keine Diskriminierung, kein Zwang zur Reproduktion ….

Schon immer war Donna Haraway, die Denkerin, die aus dem Patt nicht nur der Geschlechterfrage herausführt, schon allein deshalb, weil sie Dualitäten ablehnt. In ihrem Denken ist nichts Mann oder Frau, Tier oder Mensch, Geist oder Körper, Kultur oder Natur, Wahrheit oder Illusion, Gott oder Mensch. Die alten Grenzen der Herrschaft führten in die Enge nicht zur Lösung, so ihr Credo. So manchem ist das zu kompliziert, viele andere beflügelt der Gedanke. Generationen von Unzufriedenen mit dem Status Quo der Geschlechter, aber auch der mit Limitiertheit ihrer Körper haben sich an Haraways Cyborgs orientiert, einige haben sich auf sehr spezielle Weise mit den Maschinen „verwandt gemacht“ wie Lena Stefflitsch in Barcelona erfahren hat. Ihren Beitrag liest Elisabeth Kofler.

DIGAS: Cyborgs in Barcelona / Stefflitsch​​​​​​​8.57

MUSIK: Mother Cyborg /Cyborg​​​​​​​​2.48

Mod.: Lena Stefflitsch war in Barcelona und das ist jetzt Mother Cyborg aus Detroit ….

MUSIK hoch

Mod.: Donna Haraways Vorschlag des „Sich verwandt machens“ mit anderen Menschen, Wesen, belebten und unbelebten Naturerscheinungen ist auch auf der heurigen Documenta stark vertreten. Viele der Aktivistinnen und Künstler, die zu den 100 Tagen Weltkunstschau Documenta eingeladen wurden, kommen aus dem Globalen Süden und denken wie Haraway, wenn sie sagt:

OT weder panik noch techno 1 (nach Mack.1)z

Ich denke an die Notwendigkeit einer teilweisen Heilung, die Notwendigkeit zu erkennen, dass es einen irreversiblen Verlust gegeben hat und dass es noch mehr irreversible Verluste geben wird, und dass das Leben mit dem Verlust etwas ist, das ernsthafte Menschen lernen müssen. Ohne Zynismus oder Verzweiflung oder eine Art von Ausweichen auf die Idee, dass Technologie alles richten wird, oder auf die Verleugnung des Problems, das ist der Grund dafür, warum mich dieses Bild des „Dranbleibens an den Schwierigkeiten“ in diesen Tagen so sehr beschäftigt.

Mod.: Gemeinsam tun, was zu tun ist, nicht jammern über den deplorablen Zustand der Welt, das lähmt nur, handeln und Geschichten erzählen, andere Geschichten erzählen, lernen voneinander. In Kassel, wo derzeit hunderte Akteurinnen und Besucher zusammenkommen, greifen Fakten, Fiktion und das Fabulieren ineinander, um andere Zugänge, andere Lösungsmöglichkeiten vorstellbar zu machen.

OT Farid Ressourcen gemeinsam nutzen 1

Lumbung ist ein umgangssprachlicher Begriff in Indonesien, die meisten oder alle Menschen wissen, was es bedeutet.

Mod.: Farid Rakun ist Teil des Kuratorenkollektivs Ruangrupa, das heuer die Documenta verantwortet. Das Bild, das Ruangrupa als Schirm über alle Documentaveranstaltungen aufgespannt haben, heisst Lumbung – eine Reisscheune, in der die überschüssige Ernte gelagert und dann in der Gemeinschaft aufgeteilt wird.

OT Farid Ressourcen gemeinsam nutzen 1

Wir verwenden den Begriff Lumbung um eine bestimmte Herangehensweise an die Welt zu beschreiben. Wie kann man viele Dinge als Ressourcen begreifen und wie kann man sie gemeinsam besitzen, verarbeiten und teilen. Und wie kann man etwas Greifbares bis hin zu immateriellen Aspekten aus diesen Ressourcen generieren.

Mod.: An die 1500 Menschen haben an dieser Documenta mitgearbeitet. Die Idee war, das Geld, das die jeweiligen Künstlerkollektive für ihre Arbeit bekommen haben, in Gemeinschaftsarbeit weiterzuinvestieren. Künstler aus Dänemark, die Asylwerbenden ein Haus bieten, indem sie wie zu Hause sind; Tania Bruguera aus Kuba, die mit ihrem Artivismus, politische Gefangene aus den kubanischen Gefängnissen holt, die Philippinin Kiri Dalena, die Lebensmittel zu einer Sammelstelle für Bedürftige bringt, mit ihnen redet und sie filmt, oder Künstler aus Kenia, die Kinder aus den Slums von der Strasse picken und sie unterrichten.

OT Farid positiv trotz Problemen

Wir wollen hier keine Antworten liefern. Freude, positives Denken, ein spielerischer Zugang sind uns wichtig. Es gibt ja genug schwierige Orte, Umstände und Herausforderungen auf der Welt. Trotzdem herrscht hier in Kassel jetzt so eine  positive Stimmung und Freude darüber, dass es gelingt mit diesen Schwierigkeiten zu arbeiten; Kunst zu machen. Das ist ein Kunstbegriff, der sich ruhig noch verbreiten kann. Das Spielerische ist eine Strategie, die uns am Herzen liegt.

Mod.: Staying with the trouble, unruhig bleiben, sich den Schwierigkeiten nicht entziehen, sondern damit arbeiten – und das sogar noch spielerisch – wenn das auch noch für den Umgang der Documenta Leitung mit den Antisemitismusvorwürfen gegolten hätte, dann hätte man das Haraway Prinzip in Kassel heuer perfekt verstanden ….. und man hätte sich noch mehr über die vielen an sich positiven Impulse der Welt-Kunstschau freuen können. Kann ja noch werden. Donna Haraway, der dieses verkürzte Diagonal heute gewidmet war, würde jetzt vielleicht kurz auflachen …. Lektürehinweise, Links und die Musikliste finden Sie wie immer im Netz auf: oe1.orf.at/diagonal und wir übergeben jetzt dann gleich an dieKolleginnen und Kollegen im Ö1 Zelt am Donauinselfest.

Sign.:

Mod.: Studiotechnik: Robert Pawlecka, Sabine Heyna und Alexander Schenold. Als Sprecherstimmen zu hören waren: Brigitta Furgler als Donna Haraway, ausserdem  Elisabeth Kofler, Michael Köppel, Bernhard Fellinger, Nina Strehlein und Bernhard Eppensteiner. Die Beiträge kamen von: Dominique Gromes, Katrin Mackowski und Lena Stefflitsch. Regie: Roman Tschiedl, Redaktion und Moderation: Ines Mitterer.