Don Quijotes Erbe – Frankfurter Buchmesse

Die Eröffnungsrede in Frankfurt hält heuer eine große Kennerin des Buches und seiner Jahrtausende alten Geschichte, die in Saragossa lebende Autorin Irene Vallejo. Mit „Papyrus“ hat sie einen buchlangen literarischen Essay verfasst, der zeigt, dass Bücher zu den Objekten der Menschheitsgeschichte gehören, die man nicht verbessern kann. Ausserdem handelt es von den großen Emotionen rund ums Buch: Liebe, Hass, Inspiration, Wissensdurst und Zerstörungswut. Eine fesselnde Geschichte, die uns Irene Vallejo unter anderem im prachtvollen Aljafería Palast von Saragossa erzählt. Wie das Buch von einem Luxusgegenstand für Könige und Priester zu einem Gut für alle geworden ist.

Der in Barcelona lebende Schriftsteller Enrique Vila-Matas gehört seit 30 Jahren zu den Größen seiner Zunft. Stil ist ihm alles. Ironisch, reflexiv braucht er keine Action, um fesselnde Literatur zu schreiben. Seine Antihelden – meist Schriftstellerinnen oder Schriftsteller – machen sich Gedanken über das Schreiben und dessen Beziehung zur Realität. Am Ende von „Mac und sein Zwiespalt“ verwechselt der Held auch Geschichte und Wirklichkeit. Ziemlich „cervantino“, sagt dazu Vila-Matas – also ganz im Sinne von Cervantes.

Das leere Spanien, in dem sich schon Don Quijote umgetrieben hat, ist Thema bei Sergio del Molino in seinem kulturgeschichtlichen Langessay „Leeres Spanien. Reise in ein Land, das es nie gab“, das viel Staub aufgewirbelt hat. In keinem anderen europäischen Land war die Landflucht im 20. Jahrhundert so dramatisch wie in Spanien. 80% der Spanier leben in Städten. Das Land, immer schon als arm, brutal, rückständig beschrieben, wurde in der Franco Diktatur genauso vernachlässigt wie in der Zeit des großen Booms nach Eintritt des Landes in die EU. Die Folge: Abwanderung. Die wenigen Menschen, die geblieben sind, sehen jetzt das letzte zerstört, was ihnen geblieben war: die Landschaft. Die großen Energieunternehmen bauen in der großen Leere Photovoltaikfelder und Windparks – gegen diese Windmühlen bräuchte Don Quijote gar nicht erst antreten.

Wer Cristina Morales Bücher liest, dem bleibt zuerst einmal die Spucke weg. Der Inhalt: vier Frauen, die im gentrifizierten Barcelona mit der Diagnose „geistige Behinderung“ in einer WG leben. Morales zeigt in „Leichte Sprache“ Defizite, Heuchelei, Unterdrückung eines Systems auf, das ach so inklusiv daherkommt. Dann die Sprache: gewaltig, urkomisch, vielstimmig, schlau und entlarvend. Morales, die der Hausbesetzerszene und dem Punk nahesteht, sieht sich mit Stolz in der Tradition der katalanischen Anarchisten. Sie gibt den Aussenseiterinnen eine Stimme, sogar eine ganz besondere.

Vier Stationen einer Lesereise durch das Buchland Spanien. Der Lesewinter kann kommen.