In Rio de Janeiro haben wir den brasilianischen Musiker Caetano Veloso getroffen, einen Mann mit sanfter Stimme und festen Überzeugungen.Seine populäre Musik mit politischer Message hat ihn nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa zum Superstar gemacht. Auf ihn hören die Machtlosen wie die Mächtigen und wenn er sich in einem Konzert einmal zweifelnd über die Situation der Menschenrechte in Kuba äußert, dann antwortet tags darauf sogar ein beleidigter Fidel Castro höchstpersönlich. Mit Caetano Velosos Songs läßt sich die Geschichte Brasiliens der letzten 40 Jahre erzählen. Samstag Abend tritt er im Rahmen des Jazzfest Wien in der Staatsoper auf.
Caetano Veloso /Rio de Janeiro
IM: Sie spielen Ihr neues Album jetzt wieder mit den gleichen Musikern ein, wie schon bei ihrer CD „ce“. Ich habe – unter vielen anderen – den Eindruck, dass sich ihr Sound bei den letzten Aufnahmen ziemlich verändert hat, viel rockiger geworden ist.
CV: Die Sache mit dem Rock hat für mich 1966 begonnen. Ich gehe dieses Thema von verschiedenen Seiten also immer wieder an seit ich 24 Jahre alt war. Keine Ahnung, die Platte „caetano veloso“ aus dem Jahr 1971 ist schon ziemlich rockig, typisch für diese Zeit. Die Musik des Tropicalismo wurde damals für diese Zeit als ausserordentlich „rockig“ empfunden. Oder sogar die Platten, die ich mit Jaques Morelenbaum gemacht habe, also mehr Percussion aus Bahia und Cello und einer Orchestrierung wie man sie aus dem Cool Jazz kennt, und das ist für mich auch irgendwie Rock. Was war bei „ce“ passiert? Ich habe beschlossen, etwas mit einer kleinen Band zu machen, mit der man bestimmte Experimente machen kann. Also habe ich etwas für Bass, Schlagzeug und Gitarre geschrieben, und das ist eben so eine Power Trio Rock Formation geworden. Einige Lieder haben starke Rock-Referenzen, aber auch nicht mehr als bei anderen Projekten in meiner Karriere.
IM: Rock war für viele Musiker Ihrer Generation eine Offenbarung – war es für sie auch so?
CV: Nein, eigentlich damals als Rock in den 50er Jahren aufgekommen ist, ganz und gar nicht. Da war Rock für mich, was er für die meisten Musiker meiner Generation tatsächlich war: kommerzieller Dreck. Aber schon in den 60er Jahren kam etwas hier an, das geballte Energie war und eine unvorhersehbare historische Rolle spielen sollte. Wir, Gilberto Gil und einige Freunde haben das Mitte der 60er Jahre so empfunden: obwohl wir nicht zu den Freunden des Rock gehört haben, die es seit den 50er Jahren gegeben hatte; das waren keine Leute mit feinem Musikgeschmack; Rock hat wirklich eine interessante Geschichte. Mitte der 60er Jahre war Rock in Brasilien ein echtes „No go“, Rock zu hören, war fast Sünde. Uns hat es interessiert.
Wenn Sie sich die großen US amerikanischen Musiker anschauen, dann hat sie Rock in den 50er Jahren auch nicht interessiert. Wer das alles grundlegend verändert hat, waren die Beatles, die dem Rock ein Upgrade gegeben haben. Die Tatsache, dass das Engländer waren, sich aber die Percussion von den Amerikanern abgeschaut haben. Selbst Bob Dylan. Er hat Folk gemacht und er und seine Freunde haben Rock als eine kommerzielle Musik verachtet, die keinen Respekt verdient. Er hat erst dank der Beatles Rock Elemente in seine Musik hineingenommen. Das Gleiche ist uns hier in Brasilien passiert.
Zum Beispiel in der Zeit, als Bob Dylan seine Folk Sachen gespielt hat, gab es bei uns Joao Gilberto und Bossa Nova, aber Rock war etwas für Kinder, das hatte man abgetan. Das ist die wahre Geschichte des Rock. Heute hört man „Like a Rolling Stone“ und sagt, dass ist der beste Rock Song aller Zeiten, das hat eine gewisse Ironie.
IM: Was ihr hier in Brasilien in den 60er Jahren an Neuem gemacht habt, war, Rock mit brasilianischer Musik zu mischen, und das war für nicht wenige auch eine Art Sünde, oder?
CV: Oh da haben sich alle aufgeregt. Was wir in dieser Zeit während des „Tropicalismo“ in Brasilien gemacht haben, ab Mitte der 60er Jahre, war für viele sehr skandalös. Ein Grund dafür war, dass wir Elemente der Rockmusik verwendeten, aber wir haben nicht nur Rock der brasilianischen Populärmusik gegenübergestellt. Da gab es auch argentinischen Tango, mexikanischen Bolero, das wurde alles als schlechter Musikgeschmack eingestuft; wir haben das alles zusammengemixt und mit ein bisschen Ironie versehen, mit Humor, das war schon lustig, interessant. Und bleibt es eigentlich bis heute.
IM: Den Geschmackspuristen hat das natürlich nicht gefallen.
CV: Die haben sich alle grün und blau geärgert.
IM: Und den Diktatoren war das auch ein Dorn im Auge, oder besser im Ohr…
CV: Den Diktatoren hat es überhaupt nicht gefallen. Aber auch die linken Studenten haben sehr schlecht darauf reagiert, haben Gegenstände auf die Bühne geworfen,
IM: Im Ernst?? Ich hatte immer gedacht, dass linke Studenten eher offen waren …
CV: Nein!!! Die linken Studenten – also noch unzugänglicher waren – vielleicht – nur die Leute von der Diktatur. Das Publikum von Bob Dylan in den USA war auch so.
IM: Man weiss, dass Sie es während der Diktatur sogar geschafft haben, ins Gefängnis zu kommen und dann hat man Sie ins Exil geschickt, war es so gefährlich, was Sie getan haben?
CV: Ich weiss nicht, ob die Diktatoren das, was wir gemacht haben, als gefährlich eingestuft haben, ich weiss nur, dass sie mich und Gilberto Gil eingesperrt haben. Wir waren zwei Monate lang im Gefängnis und dann haben sie uns ins Exil geschickt. Wir waren zweieinhalb Jahre ausser Landes, in England und sind erst zurückgekehrt, als wir gesehen haben, es geht, als sie es uns erlaubt haben. Wenn sie uns als gefährlich eingestuft haben, haben sie uns nicht verstanden. Zwar waren wir schon ein Skandal, aber gefährlich? Was wir gemacht haben, wurde überall diskutiert, in der Presse, wir hatten lange Haare, haben Rock in unsere Musik gemischt, die linken Studenten oder die seriösen Journalisten, alle waren am Anfang gegen das, was wir da gemacht haben. Das hat uns aber nicht von den Linken distanziert, weil wir mit ihnen mitmarschiert sind bei den Protestmärschen gegen die Diktatur und auf der anderen Seite hatten wir enormen Erfolg beim Publikum; bei den Leuten, die nicht diese Mentalität hatten und nicht von der nationalistischen Linken waren. Das waren normale Leute, denen unsere Musik einfach gefallen hat. Und dann gab es einen Teil der Jugend, die sich schon weiter orientiert hatte, die Gegenkulturen entwarfen, aus der Welt der Flower Power, die mit den Beatles kam, die es in den USA schon gegeben hatte; sie protestierten gegen den Vietnam Krieg, diese Leute waren auf unserer Seite. Und auch die neue Linke vom Mai 68. Dieses Publikum hat sich in Brasilien im Jahr 1967 formiert und uns begleitet.
Aber die Studenten der traditionellen Linken, die an den Universitäten die Mehrheit stellten, waren gegen das, was wir gemacht haben. Und die Diktatur auch, also …. mussten wir gehen.
IM: Und gab es im Exil in London auch etwas Gutes für Sie?
CV: Ja, auch. London war zu diesem Zeitpunkt die interessanteste Stadt, wenn es um neue Musik ging. Die Musik, die hier entstanden ist, die Beatles, die Rolling Stones hat die internationale Sicht auf den Rock total verändert – sogar in den Vereinigten Staaten!
Als wir dorthin gekommen sind, war das schon die Zeit, in der Jimmie Hendrix spielte, Led Zeppelin, The Who, T. Rex, das habe ich alles gesehen. Ich habe die Rolling Stones live gesehen, 1969, 1970, 1971. Als sie jung waren. Mick Jagger war fesch, sexy, und androgyn, attraktiv für alle Seiten, das war toll. Ich habe viel Gutes in England gesehen. Ich konnte das auch schätzen, weil ich davor eingesperrt gewesen war und in Brasilien keine Chance hatte. Ich war auch deprimiert, natürlich, aber das Gute habe ich auch wahrgenommen.
IM: Gut, diese Zeiten sind zum Glück lange vorbei und Brasilien hat sich seitdem sehr verändert. Man kennt Sie als sehr kritischen Zeitgenossen und Beobachter des öffentlichen Geschehens, was denken Sie vom heutigen Brasilien, Lulas Regierung?
CV: Also Lulas Regierung, hmmm, also allein die Tatsache, dass er Präsident geworden ist, ist schon ein ganz wichtiges historisches Ereignis, dass die Brasilianer auch als solches empfinden. Wir blödeln manchmal herum und sagen, das ganze Land befindet sich noch immer im Angelobungsstimmung. Es gibt nichts, was man von Lula verlangen würde. Das brasilianische Volk hat noch immer keine kritische Perspektive, Hauptsache Lula ist Präsident!!
Aber das wäre alles nicht möglich, wenn es nicht diesen relativen ökonomischen Wohlstand geben würde. Die Wirtschaftspolitik, die die Regierung von Fernando Henrique Cardoso gemacht hat, und die ja in die gleiche Richtung geht, und sich aus der universitären Linken der Uni Sao Paulo gespeist haben. Lula ist Arbeiter und natürlich eine eigene Persönlichkeit, aber das ideologische Ambiente, das Fernando Henrique Cardoso geschaffen hat, ist das gleiche, das jetzt Lula weiterpflegt. Der von Lula am meisten kritisierte Aspekt an Cardoso war gerade die Wirtschaftspolitik; sie sei liberal, neo-liberal, aber Lula ist ja auch nicht dumm. Als er Präsident geworden ist, hat er diese Politik übernommen. Und vielleicht noch orthodoxer durchgesetzt als Fernando Henrique. Das hat funktioniert und Lula hat auch viel Glück gehabt. Seit er seine Präsidentschaft angetreten hat, hat die Weltwirtschaft Brasilien geholfen. Es geht aufwärts in Brasilien. Technologische Aufrüstung, Unternehmertum, all das wächst in Brasilien unabhängig davon, wer gerade an der Macht ist. Die Wirtschaft ist auch während der Militärdiktatur kräftig gewachsen, wir haben ja auch das Erdöl. Ja, … jetzt wissen wir nicht, die Probleme in Nordamerika, der Preis der Lebensmittel weltweit, man weiss nicht, wie es weitergeht.
IM: Lula war ja die große Hoffnung der Armen in Brasilien, dass es für sich leichter würde – ist das eingetreten?
CV: Ja, Zumindest ein wenig, in der ersten Periode, Lula war noch sehr beliebt und mit dem Wirtschaftsplan von Fernando Henrique ist es dem Land viel besser gegangen. Wenn es wirtschaftlich besser geht, spüren auch die Armen eine Erleichterung ihrer Lebensumstände. Wenn hingegen die Inflation steigt, spüren das auch die Armen als erste. Es hat schon davor angefangen, besser zu laufen und mit Lula geht es jetzt noch besser. Er hat mit diesen eigentlich demagogischen Projekten angefangen wie „Fome 0“ – „Null Hunger“ haben kompetente Leute eingesetzt, um das zu realisieren, keinen typischen PTler mit antiliberaler Ideologie. Die großen Wirschaftsexperten der PT während des Wahlkampfes verschwanden dann plötzlich, als Lula Präsident wurde. Wunderbare, sympathische Leute, aber sie hatten nichts mehr zu sagen.
Dann schon in der 2. Amtszeit hat Lula die Sozialpolitik geändert; er hatte schon einen besseren Plan, Verbesserung des Schulsystems, „Bolsa Familia“ er hat das alles verstärkt und ausgeweitet – er hat den armen Bevölkerungsschichten geholfen, die ihn dann wieder in einen Halbgott verwandelt hben. Sogar die ganzen Skandale, Korruption: nichts hat an der Figur Lula in der öffentlichen Meinung Kratzer hinterlassen können. Das ist alles ok. Auch wenn ich gegen die Respektlosigkeit bin, mit der die Vertreter der Linken glauben agieren zu können, wenn sie an der Macht sind. Sie glauben sich immer im Recht, weil sie das Beste in der Geschichte vertreten, diese Sehnsucht nach Sozialismus und daher glauben sie, alles machen zu können, das gefällt mir nicht. Da werde ich echt böse.
Wissen Sie warum ich gerne kritisch bin, weil das für mich heisst, Demokratie ernst zu nehmen. Weil meine kritische, oft empörte Stimme, die Stimme meiner sozialen Freude ist. Weil ich die Diktatur erlebt habe, festgenommen wurde, weiss, was es heisst, nicht frei zu sein, da muss das hochgehalten werden. Politik muss diskutiert werden.
IM: Lula hat unter der europäischen Linken viel Sympathie.
CV: Er hat viel Erfolg in Europa, überhaupt international. Aber er gefällt auch Bush. Da gibt es einige Parallelen, aber Lula ist besser, viel intelligenter, eleganter und er hat mehr Glück als Bush.
Es ist schon in Ordnung, dass Lula in Europa so beliebt ist. Es gab da so viele Träume von linken Regierungen in Europa und das hat alles nicht funktioniert, wäre ich Italiener würde ich sterben vor Neid auf die Brasilianer. Zu Recht, trotz allem.
IM: Und hat Lula einen guten Kulturminister?
CV: Der ist Lula sehr ähnlich. Als mein lieber Freund Gilberto Gil gebeten wurde, das Amt zu übernehmen, haben wir diskutiert und ich habe gesagt, tu es nicht! Mir gefällt das nicht, aber er wollte und hat angenommen. Ist schon in Ordnung, aber es gefällt mir nicht, er wird Lulas Lula sein. Lula ist schon ein Symbol und du wirst nicht mehr als Lulas Lula sein. Und Gilberto Gil hat auch diesen Erfolg in Europa – es gibt viele Leute, die das super finden. Ist es auch, sympathisch. schwarz, Künstler, eingesperrt während der Diktatur, großartiger Komponist, einer der besten Musiker, ein Mensch mit unwahrscheinlicher Musikalität – das ist schon Luxus; er ist ja wie mein Bruder – wer bin ich also um zu sagen, dass das schlecht sei; ich habe gedacht, es ist schlecht für ihn.
Mir persönlich gefällt das nicht. Man ist der Macht so nahe. Ich liebe ihn, will ihm nahe sein, als Minister hat er noch weniger Zeit.
Aber trotzdem gelingt es uns noch, uns hin und wieder zu treffen und da ist die gleiche Liebe wie immer, aber ich halte nicht viel davon, dass er unbedingt Minister sein muss.
IM: In der Musik in Brasilien gab es ja keine Diskriminierung von Schwarzen, gibt es diese Diskriminierung in der Bevölkerung?
CV: Man kann nicht sagen, dass es in Brasilien keine Diskriminierung von Schwarzen gegeben hätte, weil Rassismus in einem südamerikanischen Land, in das so viele Sklaven gebracht worden sind, nicht vermieden werden kann. Und dann nach der Abschaffung der Sklaverei gab es keinen Plan, was man jetzt mit diesen freigewordenen Menschen tun sollte. Bis heute nicht. Hier spricht man davon, dass man eine zweite Abschaffung der Sklaverei bräuchte. Es stimmt aber auch, dass es in Brasilien zwei Dinge nie gegeben hat: weder offizielle Diskriminierung noch eine genaue Unterscheidung der Rassen. Immer war alles gemischt. Vielleicht sind wir überhaupt das am meisten gemischte Land der Welt. Das durchzieht die ganze brasilianische Geschichte im Guten wie im Schlechten. Und mit den Rassenproblemen weiss man jetzt nicht, wo man ansetzen soll. Aus diesem Grund verlangen viele Schwarze oder Gruppierungen, die an diesem Thema interessiert sind, eine Rassen orientierte Politik in Brasilien. Ich habe schon gehört, wie einer der großen Anführer der schwarzen Bewegung hier, Abdias do Nascimento, ein Mann, der sicher schon 90 Jahre alt ist, gesagt hat, dass der Rassismus in Brasilien schlimmer sei als der in Südafrika zu Zeiten der Apartheit.
Da wir diese strikte Rassentrennung wie in Südafrika oder auch in den USA – ich habe das noch erlebt in den 60er Jahren – in Brasilien in der Form nie gehabt haben, wissen unsere Schwarzen nicht, wie sie vorgehen sollen, wo der Feind sitzt. Und auf der anderen Seite bildet sich da der Mythos einer Demokratie heraus, die alle gleich behandelt. Und diese Leute sind der Meinung, dass es dieser Mythos unserer schwarzen Bevölkerung unmöglich macht, für ihre Rechte zu kämpfen wie in Südafrika oder in den USA, also eine effiziente Bewegung zu organisieren, die Gleichheit erreichen kann, Bürgerrechte und gesellschaftliche Veränderungen.
Es gibt da viele US Amerikaner und auch Brasilianer, die zeigen wollen, dass gerade dieses scheinbar gute Einverständnisse von schwarz und weiss in Brasilien dazu führt, dass man die Situation der Schwarzen nicht verbessern kann, weil man nicht weiss, wo man ansetzen soll, anders als in Südafrika und in den USA. Mir gefällt dieses Argument aber nicht. Weil das den US Amerikanern das Gefühl gibt, sagen zu können, sogar euer Rassismus ist schlimmer als unserer. Die ganze Welt ist rassistisch. Da gab es Sklaven und heute gibt es die Nachkommen dieser Sklaven und es gab Herren und gibt jetzt die Nachkommen von diesen Herren. Etwas bleibt von dieser Geschichte! Ich bin „mulato“ , dunkelhäutig, mein Vater war „mulato“ mit Kraushaar, sicher ein Nachkomme von Sklaven, aber ich bin auch Nachkomme der Portugiesen.
Für mich ist das Argument von diesen Leuten, abgesehen davon, dass es imperialistisch ist, auch eine Form zu sagen: Hitler war besser. Also, Südafrika ist besser und die USA, weil es diese brutale Unterdrückung der Schwarzen gegeben hat und man dadurch genau wußte, wofür man kämpfen mußte – das soll besser sein, als der brasilianische Weg – das nehme ich denen nicht ab! Das ist für mich eine perverse Art zu denken, dumm.
Ich bin „mulato“ – für mich ist das super. Barack Obama, er spricht wie jemand, der von Weissen und Schwarzen abstammt und die ganze US-amerikanische Gesellschaft repräsentiert. Er selbst hat vor zwei Wochen gesagt, schaue ich nicht wie ein Brasilianer aus?? Das finde ich großartig, darum geht es.
Ich glaube, in Brasilien gibt es postrassistische Erfahrungen, obwohl es den Rassismus noch nicht überwunden hat. Aber es gibt diese Erfahrungen des Zusammenlebens, der Vermischung – das können Sie hier überall erleben. Sie gehen an den Strand und sehen es, sie gehen tanzen und sehen das … In der Vergangenheit – heute sieht man das nicht mehr so stark – aber in der Vergangenheit gab es das: in der oberen Gesellschaftsschicht gab es fast ausschliesslich Weisse, keine Schwarzen. Aber, was man hier in Brasilien „weiss“ nennt, darüber würden die Österreicher lachen. Was alle Leute wissen, die hierher kommen und auch die Brasilianer selbst: Brasilianer zu sein, heisst zumeist: nicht weiss zu sein. Giselle Bündchen, ok, sie ist wirklich weiss, Tochter von zwei Deutschen aus dem Süden des Landes. Dort gibt es das. Sie ist weiss, aber auch Brasilianerin, weil sie so viel von der Lebensart, dem Wesen, dem Sein in diesem Land mitbekommen hat, dass sogar sie kulturell gesehen auch eine Mischung ist. Und das ist wirklich ein Extremfall. Der Großteil der brasilianischen Bevölkerung empfindet sich nicht als weiss, weiss sich nicht weiss und ist nicht weiss. Und wie das Lied, das Brasilien am besten repräsentiert, Aquarela do Brasil, sagt: Brasilien, mein brasilianisches Brasilien, mein Mischling inzoneiro ….. Die heimliche Hymne Brasiliens seit den 30er Jahren spricht von „mulato“ gleich in der zweiten Zeile und dieses Lied repräsentiert uns in der Welt und hier in Brasilien. Fragen Sie irgendeinen Brasilianer, welches Lied dieses Land am ehesten repräsentiert und er wird sagen: Aquarela do Brasil. Niemals in der Geschichte dieses Liedes gab es auf diese Zeile auch nur irgendeine Reaktion, nicht einmal Überraschung oder Mißfallen darüber, dass es in diesem Lied heisst, das Land sei ein Land der „mulatos“.
Das ist ein Teil der brasilianischen Erfahrung. Das zu leugnen, hiesse diese Schweinerei, die es in den USA gegeben hat, als Vorbild zu akzeptieren. Das würde mein Leben ärmer machen – das würde es nicht bringen, weder für die Schwarzen in Brasilien, noch für die weissen Rassisten noch für die schwarzen Rassisten.
IM: Ich war vor kurzem in New York in einem Jazzlokal in Harlem und es hat mich schon noch verwundert, wie sehr die weissen und die schwarzen New Yorker immer noch getrennt voneinander leben. Hier schwarz, dort weiss.
CV: Wir waren mit „Cé“ in vielen US amerikanischen Städten unterwegs, auf Tournee und meine Band besteht aus sehr jungen Leuten, 26, 27 Jahre alt. Sie waren schockiert über diese Trennung, die es nach wie vor gibt. In den „Diners“ – da gibt es an einem Tisch eine schwarze Familie – klar gibt es keine offizielle Trennlinie mehr – aber die Menschen halten sich immer noch an unsichtbare Trennlinien. Für einen Brasilianer ist das schockierend.
Andererseits pflegen manche Engländer die Idee des Multikulturalismus, das Interesse für andere Bevölkerungsgruppen, ich glaube aber, wir hier in Brasilien haben es besser, hier vermischt sich alles in einer Person. Diese ethnischen Erinnerungen von bestimmten Gruppen gibt es schon noch, aber sie sind es nicht, die eine Person definieren. Ich finde es schlecht, wenn jemand in einer Gesellschaft in erster Linie als schwarz oder Jude oder von italienischer oder irischer Abstammung gesehen wird, verstehen Sie?!…Das halte ich für schlecht. Diese Idee von Identität, Gruppenidentität ist für mich per se Gewalt. Die Menschen sind Menschen und alle Menschen sind sehr vielseitig; dieses Amalgam, das es da in Brasilien gibt, ist ein Schatz.
IM: In diesem Sinne könnte Brasilien durchaus ein Beispiel für das Zusammenleben im heutigen Europa sein.
CV: Ja, sicher. Ich arbeite dafür.
IM: Wir in Österreich haben viele Immigranten, in Italien überall und die Gesellscahft ist in Gruppen aufgespalten, vermischt sich noch nicht.
CV: In Brasilien gibt es das. Auch wenn einige Linke sich eine heftige Konfrontation wünschen, die dann zu besseren Lebensbedingungen führen soll, ich aber bevorzuge a fluidez.
IM: Ich muss Sie jetzt noch zu ihrer Beziehung zu Almodóvar befragen, weil Sie in Österreich doch auch aus dem Almodóvar Film „Sprich mit ihr“ bekannt sind. Wie ist es zu dieser Freundschaft gekommen?
CV: Ich war in Paris und habe „Alem do desejo“ gesehen, vor vielen Jahren und ich habe den Film geliebt. Er ist dann nach Rio zu einem Filmfestival gekommen und einige Freunde haben Almodóvar getroffen und gesagt, er sei ein super Typ, brillant, aber ich habe damals weder ihn noch den Film gesehen. Als ich in Paris auf Tournee war, habe ich ihn dann dort gesehen. Und habe ihn geliebt – o maximo! Ich war sofort ein großer Fan von ihm. Meine Freundin Susana de Moraes war mit dem Kameramann Alfonso Beato verheiratet, der bei zwei von seinen Filmen die Kamera gemacht hat, oder bei dreien sogar. Und über ihn habe ich Pedro Almodóvar kennengelernt und wir sind Freunde geworden. Er kam zu mir nach Hause, als ich mit Paulina Lavigne verheiratet war. Wir haben einige Male Sylvester zusammen gefeiert. Und er hat dieses Lied „cucurucucu paloma“ geliebt von meiner Platte „fina estampa“ und hat es dann in seinen Film „Mein blühendes Geheimnis“ eingebaut und wieder hinausgeworfen. Weil in diesem Jahr in Cannes Wong Kar Wei einen Film gemacht hatte, der „Happy together“ hieß und da die gleiche Aufnahme von meiner Version von Cucurucucu Paloma eingebaut hatte in einer unglaublichen Szene mit den Wasserfällen von Iguazu mit meinem Lied. Ich wusste das nicht, weil ich nie um Erlaubnis gefragt worden war. Und da hat Pedro dann das Lied wieder herausgeschnitten und ein anderes genommen. Nach einigen Jahren hat er mich angerufen und gesagt: ich arbeite gerade an dem Film „Sprich mit ihr“ und ich möchte Cucurucucu Paloma drinnen haben, aber mit dir, wie du es singst. Und so haben wir das dann gemacht. Wir sind dann nach Madrid geflogen mit Jaquinho, Pedrinho e Jorge Elde und haben dann live diese Szene gespielt, dort in seinem Haus.
Ich liebe dieses Lied und der Film ist gut geworden.