Allesnichtmachen. Diagonal zum Thema Nichts tun

Gerade im Corona-Jahr des für viele forcierten oder erzwungenen Nichtstuns sind aktuell einige Publikationen zum Thema erschienen, und die braucht es auch. Denn waren viele vor der Pandemie schon ermüdet, gestresst und erschöpft, hat der permanente Ausnahmezustand die Situation weiter verschärft. Wir leben im kollektiven Ruhedefizit – genötigt aber auch freiwillig. Auf der einen Seite die Arbeit, die getan werden muss – am besten immer und überall. Viele haben sämtliche Devices dafür jederzeit verfügbar in der Tasche. Auf der anderen die Freizeit – Mails checken, Insta checken, Twitter checken und nur ja nichts verpassen: Serien, Ausflugsziele, kulturelle Produktionen. Und der Körper, ja, der muss auch in Schwung gehalten werden. Die Prämisse, dass wir erst dann richtig leben, wenn wir produktiv sind, habe uns allzu fest im Griff, meinen die Autorinnen von „Nichts tun“ (Jenny Odell) und „Die Kunst des Ausruhens“ (Claudia Hammond). Am Ende macht uns die Dauerbeschäftigung müde, krank, grantig und depressiv.

Wann, wenn nicht im Sommer 2021 ist ein günstiger Zeitpunkt, die vita activa wieder einmal gegen die vita contemplativa zu tauschen. Legen Sie das Handy weg, schauen Sie in die Wolken oder in den blitzblauen Himmel und schalten Sie das Radio ein. Am besten samstags um 17:05.

 

Allesnichtmachen – Diagonal zum Thema „Nichtstun“

10. Juli 2021

Moderation: Ines Mitterer   Regie: Astrid Schwarz

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Sign:

ATMO: Vogelgezwitscher, Bienengesumm

MK: Allesnichtmachen. Diagonal zum Thema „Nichtstun“

ATMO: hoch – 20 sec. stehenlassen dann drüber:

Mod.: Hmmmmm, Sie erwarten jetzt vielleicht etwas …. ja?

ATMO hoch

Mod.: … So eine Sendung, … so kluge Worte und coole Musik ….

ATMO: Meeresrauschen

Mod.: ….aber das widerspräche vollinhaltlich dem, was wir uns mit dieser Sendung vorgenommen haben: eben einmal nichts zu tun!

ATMO: hoch

Mod.: Ein Dilemma, aus dem sich all unsere Beitragsgestalterinnen, die zitierten Gelehrten, Schriftstellerinnen und Fachmänner wie -frauen herauswurschteln mussten, schließlich will man seine Weisheiten ja auch an die Frau und an den Mann bringen. Und das ist, sagt die Physik: Arbeit.

Wir haben einen Ausweg gefunden. Vielleicht ist es auch nur eine Ausrede – egal!

Da das Nichtstun, das Müßiggehen und Flanieren, die Pause, die Faulheit, die Entschleunigung, und das Nicht-Arbeiten schon Diagonal Sendungen waren, wühlen wir in unserem reichen Fundus und ergänzen die neu entstandenen Beiträge dieser Woche mit Perlen aus dem Archiv. Was Ihnen und uns die Freude des Wiederhörens exquisiter Diagonal Stimmen bringen wird. Wie lange die Tradition der Arbeit am „Arbeit vermeiden“ in diesem Studio im Funkhaus, das übrigens bald Geschichte sein wird, schon ist, zeigt das Datum der ersten Sendung zum Thema: es war Sonntag, der 2. Mai 1982, als Wolfgang Kos gesagt hat:

OT Kos für Anfang + alte Signation, nach Diagonal drüber:

Mod.: Sonntag, weil es die Sendung damals noch gar nicht regelmäßig gegeben hat, ein Versuchsballon, Feiertagsprogramm….18 Jahre später – immer noch dem Müßiggehen verpflichtet, aber längst mit fixem Sendeplatz am Samstag Nachmittag, hörte sich das dann mit Michael Schrott so an:

OT Schrott für Anfang + Sign.

Mod.: Nur weil wir ja ach so beschäftigt sind, der Sommer heiss und jung, können wir uns also wieder einmal so eine Sendung leisten. Heute:

MK: Allesnichtmachen. Diagonal zum Thema Nichts tun, träge präsentiert von Ines Mitterer, begleitet von Wolfgang Kos und Michael Schrott.

MUSIK: Lazy Afternoon Ausschnitt für Anfang

Mod.: Für ein Inhaltsverzeichnis sind wir heute zu faul, nur so viel sei verraten: Es wird um neue Bücher gehen, die den Ausstieg aus der Dauerproduktion und Dauerkonsumation anregen, es geht um Nichts tun in der Erziehung und in der Literatur, wir leben für ein paar Momente das „Dolce far niente“ der Südländer, spielen Ukulele mit Chefmüßiggänger Tom Hodgkinson in London und schlafen mit den Faultieren im Zoo von Schönbrunn. Faule Musik gibt es auch zur Genüge, die schwappt dann sanft in die Gehörgänge und entführt in gemächlichere Sphären an diesem lazy Afternoon…

MUSIK: Eartha Kitt / Lazy Afternoon

Mod.: Eartha Kitt ist ja schon angeklungen …..jetzt darf sie weitersingen.

MUSIK: hoch

Mod.: Ein fauler Nachmittag. Diagonal heute zum Thema „Nichtstun“ mit einer Mischung aus Neuem und Altem aus unserem umfassenden Müßiggängerarchiv. Und ich übergebe jetzt gleich an Michael Schrott für eine kleine Einführung ins Thema, das er 2009 unter dem Titel „Faulheit“ bearbeitet hat…..Am Beginn ein Zitat von Bertrand Russell …..

BT: Schrott + Zitate                                                                                                  3.16                                              

M: Lob der Faulheit /Haydn

Mod.: Lob der Faulheit. Musik Joseph Haydn. Gedicht: Gotthold Ephraim Lessing. Interpretation: Peter Schreier. Diagonal heute saisonbedingt zum Thema „Nichtstun“.

ATMO: Gähnen!!!!

Mod.: Schon vor der Pandemie waren viele übermüdet, gestresst und erschöpft, eineinhalb Jahre Coronavirus haben die Situation weiter verschärft. Drei neue Bücher haben sich in diesem Frühjahr mit dem kollektiven Ruhedefizit auseinandergesetzt.

Die BBC Journalistin Claudia Hammond hat  eine weltweite Studie zum Thema Ausruhen gemacht und lässt uns an ihren Erkenntnissen teilhaben, die österreichische Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl war unterwegs mit den Faulen in ihrem Metier und die Kalifornierin Jenny Odell, Künstlerin und Unilektorin will uns den Aufmerksamkeitsräubern der sozialen und unsozialen Medien entreissen. Und macht das so gekonnt, dass Barack Obama das Buch mit dem programmatischen Titel „Nichts tun“ auf seine persönliche Buchbestenliste gesetzt hat. Das soll wiederum den Verkauf um 450% gesteigert haben und es der Autorin jetzt wohl ermöglichen, tatsächlich einmal länger nichts zu tun. Mit einem Zitat aus ihrem Buch beginnt Astrid Schwarz ihr Flanieren durch die Ausspannungslektüre dieses Sommers.

DIGAS: BT Bücher / Schwarz

Mod.: Astrid Schwarz war zum Glück gar nicht faul. Die besprochenen Bücher finden sie auf der ö1 Seite im Netz: oe1.orf.at/diagonal

MUSIK: Lazy / David Byrne                                                                                      3.30

Mod.:.  Faul sein mit David Byrne …. Diagonal heute zum Thema Nichtstun. Für die Intro zum nächsten Beitrag holen wir uns die Stimme von Michael Schrott. Diagonal hat eine lange Tradition im Nachdenken über Müßiggang und Faulheit – was immer zu viel Arbeit geführt hat. Wir sind also rechte Dilettanten im Versuch, konsequent faul zu sein. Alles in allem brauchen wir von der Ideenfindung über Lektüre bis zu Interviews organisieren, führen, protokollieren, portionieren und Beiträge drum herum verfassen bis zu den Aufnahmen im Studio und der Mischung alle Kolleginnen und Kollegen zusammen durchschnittlich  232 Stunden Arbeitszeit, bei Stadtportraits sogar deutlich mehr. 232 Stunden Arbeitszeit komprimiert zu 2 Stunden Sendezeit. Jetzt und gleich am Mikrophon: Michael Schrott und Horst Widmer aus der Hauptstadt des vermeintlich süßen Nichtstuns.

DIGAS: BT Dolce far niente / Widmer + Einmod Schrott                                       8.21

Mod.: Horst Widmer nimmt sich die Müßigsteherinnen auf der Weide zum Vorbild fürs süße Nichtstun. Musik aus dem Süden jetzt, nicht aus Italien aber aus einem Land, das mit den vielen südeuropäischen MigrantInnen das Konzept der Siesta übernommen hat. Die Zwillingsschwestern Caronni, bekannt als Las Hermanas Caronni singen und spielen schläfrig vor sich hin, weshalb das mit der Artikulation auch nicht mehr so verständlich hinhaut….Bagüala de la Siesta.

MUSIK: Las Hermanas Caronni / Baguala de la Siesta  Vorl. 0.13                                                            2.05

Mod.: Siesta, Nichts tun, Faulheit, Pause, Entschleunigung, nicht arbeiten – in der Geschichte dieser Sendung gab es von Anfang an diese Lust an der Auseinandersetzung mit dem Potential des Aussteigens aus den geläufigen Produktions- und Verwertungsmechanismen, wobei, widersprüchlich genug natürlich, wir selbst das Müßiggehen dem Sendungsmachen geopfert haben. 1982, Diagonal war noch in einer Probephase, denkt Wolfgang Kos über das Müßiggehen nach, gemeinsam mit der Literaturwissenschaftlerin Gisela Dischner…. wir reisen zurück in der Zeit ….

DIGAS: BT Gespräch Kos Dischner Müßiggang 1982                                              8.17                                              

Mod.: Die Literaturwissenschaftlerin Gisela Dischner war das in einem Gespräch, das Wolfgang Kos mit ihr für seine Müßiggangsendung 1982, also vor knapp 40 Jahren geführt hat…..ein Thema ohne Ablaufdatum.

Nach ein paar Sekunden überlegen sich jetzt die beiden Musikerinnen von Yellow Bird  jetzt, ob es den Aufwand wert ist, brechen ab und entscheiden dann für: ja! Lazy Bones…..

MUSIK: Yellow bird / Lazy Bones                                                                                        3.40

DIGAS: BT Hodgkinson / Mitterer                                                                                       13.42                                                 

+ MUSIK Jim Moray / „In Modern History“ (hängt schon dran!!)                         2.38

Mod.: Tom Hodgkinson hatten wir für die Sendung zum Thema „Entschleunigung“ 2012 in London besucht. Er hatte da auch seine Theorien zum Thema Erziehung: „Leitfaden für faule Eltern“ heisst die Schrift dazu. Wie das seinen Kindern bekommen ist, konnten wir nicht herausfinden. Unsere Kollegin Anna Katharina Laggner holt uns als Mutter von drei Kindern, davon ein Zwillingspärchen mitten hinein ins turbulente Geschehen rund um die Frage: wieviel tun ist gut im Umgang mit dem Nachwuchs….

DIGAS: BT Erziehung / Laggner                                                                                           10.27

Mod.: Anna Katharina Laggner über „nichts tun“ und doch nicht „nichts tun“ in der Erziehung. Birds on wire, ein französisch-nordamerikanisch-brasilianisch Duo nimmt uns jetzt auf ein Tänzchen mit: Sur la place.

MUSIK: Birds on a wire / Sur la place                                                                                 bei 2.56 spät. Aussteigen

Mod.: Sur la place – tanzen sie und haben es gut. Diagonal zum Thema Nichtstun heute – das passt perfekt zu einem Philosophieprojekt, an dem unser Kollege Alexander Tschernek arbei…. nun ja, sagen wir, ein Projekt, das Kollege Tschernek verfolgt. Im Rahmen seiner Tätigkeit als angewandter Philosoph, der Ö1 Nachdenksendungen an Feiertagen, Vorträge, Videoblogs, Hörstücke oder Philosophie-Selfie-Clips gestaltet, heisst ein großes Thema: „Nie Wieder Arbeit“. Auf seiner Seite im Netz, die „Philosophie pur“ heisst, kann man ihm etwa am Küchentisch sitzend mit nacktem Oberkörper und Zigarette beim Nachdenken zuschauen und hören…..

DIGAS: Nie wieder Arbeit / Tschernek                                                                                           1.04

Mod.: Alexander Tschernek – mehr zu seiner „Nie Wieder Arbeit“ Philosophie finden Sie auf seiner Seite im Netz: philosophie.net, die wir natürlich auch auf unserer Website verlinkt haben: oe1.orf.at. Ich darf jetzt wieder kurz faul sein und gebe weiter an Michael Schrott und Christine Scheucher, die im Jahr 2009 mit einer Geschichte über „Nicht arbeiten“ in der Sendung über die „Faulheit“ präsent war.

DIGAS: BT Lafargue Arbeit Grundeinkommen / Scheucher                                                                      11.48

Mod.: …. Stellte Christine Scheucher 2009 fest und aus heutiger Sicht kann man ergänzen: auch 12 Jahre und eine Pandemie später hat sich daran nicht viel geändert…. Den zeitlos passenden Soundtrack dazu liefert Pink Martini mit Sympathique …

MUSIK: Pink Martini / Sympathique                                                                      2.48

Mod.: Diagonal heute zum Thema „nichts tun“. Als Wappentiere dieser Sendung hätten sich da all die vierbeinigen Chefinnen und Chefs in unseren Wohnungen angeboten, die vor sich hin schlafen, all paar Stunden vielleicht aufstehen, sich strecken, gähnen und wieder hinlegen; die so bewundernswert chillen können, wie es ihr Personal, also wir, nie zusammenbringen wird. Und doch haben sie es bisher noch nicht zum Adelsprädikat „faul“ in ihrem Namen geschafft, weil es den Tieren vorbehalten ist, die Michael Neuhauser da im Zoo von Schönbrunn getroffen hat. Raffen wir uns zu einem Ausflug auf…..

DIGAS: BT Faultier / Neuhauser                                                                              5.56

Mod.: … findet zumindest Michael Neuhauser. Und, wer weiss, am Ende eines langen faulen Sommers ….

Das war ein Diagonal, zusammengesetzt aus neuen und archivarischen Beiträgen zum Thema: Allesnichtmachen. Nichtstun, Faulheit, Müßiggang, Entschleunigung, Nicht arbeiten …. Eine Menge Lektürehinweise und Links dazu finden Sie auf unserer Seite im Netz: oe1.orf.at/diagonal.

Sign.

Mod.: Studiotechnik: Georg Janser, Katharina Ahammer, Robert Simmlinger und Othmar Bergsmann. Gesprochen haben: Bernhard Fellinger, Esther Hollosi, Michael Köppel, Robin Lee, Alexander Rossi, Ursula Scheidle und Philipp Scheiner.

Mit Beiträgen von Anna Katharina Laggner, Michael Neuhauser, Christine Scheucher, Horst Widmer, Alexander Tschernek und Astrid Schwarz, die auch für die Regie verantwortlich war. Redaktion und Moderation: Ines Mitterer begleitet von Wolfgang Kos und Michael Schrott.