Zur Person Roberto Saviano – „Ich lebe noch, ihr Bastarde!“

Seit der italienische Journalist Roberto Saviano als 26-Jähriger sein erstes Buch „Gomorrha“ publizierte, ist sein Leben in Gefahr. Der minutiös recherchierte Roman über die neapolitanische Mafia, ihre Geschäfte und ihre Praktiken wurde weltweit mehr als 10 Millionen mal verkauft und erfolgreich verfilmt. Bisher konnte er den Mordplänen von Camorra und Co. entwischen.
Ein normales Leben schaut anders aus. Permanenter Polizeischutz, kein Spaziergang ohne Eskorte draußen, kein legeres Essen bei Freunden, öffentliche Auftritte nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Auch für unser Interview erfahren wir erst im letzten Moment, wo es tatsächlich stattfinden soll. Sein Leben in abgeschirmter Einsamkeit verbringt der 44-jährige Saviano damit, weiter zu recherchieren, den Dingen, die er nicht richtig findet, auf den Grund zu gehen: Mafia und Korruption, das Geschäft mit dem Kokain, die mageren Lebensperspektiven von jungen Männern in Süditalien oder der Mord an Antimafia Richter Giovanni Falcone, den er in seinem jüngsten Roman „Falcone“ schildert. Aber, Roberto Saviano, der auch für angesehene Zeitungen und Zeitschriften schreibt, schildert in Büchern auch, wie man ein Land liebt, „das einen zur Verzweiflung treibt“ oder was auch sein Leben in Dauer-„Quarantäne“ lebenswert macht: die überwältigende Aufmerksamkeit für das, was er zu sagen hat und ganz oben auf der Liste: Büffelmozzarella aus Aversa, am besten serviert mit Erdbeeren. „I’m still alive“ hält er triumphierend seinen Feinden aus der organisierten Kriminalität entgegen – das ist der Titel eines autofiktionalen Comics, das er gemeinsam mit dem israelischen Zeichner Asaf Hanuka 2023 gestaltet und veröffentlicht hat. „Ich lebe noch, ihr Bastarde“.

„Zukunft Now! 40 Jahre Diagonal“: live in Ö1 und im ORF RadioKulturhaus

Wien (OTS) – Die Ö1-Reihe „Diagonal“ feiert mit zahlreichen Gästen 40. Geburtstag – am Samstag, den 25. Mai ab 17.05 Uhr live on Air und im ORF RadioKulturhaus. Und anlässlich des Jubiläums gibt es am 26. Mai ab 22.05 Uhr in Ö1 die erste „Diagonal“-Sendung zum Wiederhören.
Im Mai 1984 etablierte sich eine knapp zweistündige Sendung im Samstagnachmittagsprogramm von Ö1. Ein Radiofeuilleton, das die Farbe und die Identität des Senders sukzessive leicht verändern sollte. Der Titel „Diagonal“ war durchaus programmatisch: Diagonal sollte sie durch alle Wissensbereiche, Themenmöglichkeiten und Musikrichtungen führen und innovative Verbindungslinien schaffen. Zum 40. Geburtstag schaut „Diagonal“ nicht zurück – der Fokus der Ö1-Livesendung aus dem Großen Sendesaal am 25. Mai liegt auf dem Jetzt. Die Themen der Performances, der Livemusik und der Gesprächsgipfel werden so naheliegend und divers wie die Gäste sein: KI und alternative truths, Nachhaltigkeit und Ernährung, neue künstlerische Positionen, Applied Human Rights und Leitkultur und disruptive Prozesse. Zu Gast in der Sendung sind u. a. die Musikerin und Künstlerin Leonie Schlager, die Performance- und Installationskünstlerin Barbara Ungepflegt, die Autorin und Filmemacherin Iris Blauensteiner, der Philosoph, Kurator und Kunstkritiker Klaus Speidel, die Kunsthistorikerin und Kuratorin Renée Gadsden, der Autor und Senner Bodo Hell, der Nachhaltigkeitsexperte und Co-Founder von „unverschwendet“ Andreas Diesenreiter, die Publizistin Ingrid Greisenegger von der City Farm Augarten sowie die Musiker:innen Café Mondo, Christl, Ruhullah „Rui“ Aziz und Yigit Bakkalbasi and Cemgil Demirtas a.k.a. Zack Zack Zack.

Diagonal zur Person: Anna Jermolaewa. Über Kunst und Brisanz des Alltäglichen.

2024 bespielt Anna Jermolaewa den Österreich Pavillon auf der Biennale in Venedig. Die 1970 in St. Petersburg geborene Künstlerin ist seit langem mit dem Verweisen auf gesellschaftliche und menschliche Zu- und Missstände beschäftigt. Sie selbst musste aus politischen Gründen 1989 aus der UdSSR flüchten. Anhand ihrer Werke lassen sich die gesellschaftliche Entwicklung Europas nach dem Zerfall der Sowjetunion und die Auswirkungen daraus in Europa und in Russland nachempfinden.
Dass es Anna Jermolaewa im Österreich Pavillon auf der Biennale 2024 in Venedig mit ihrer Arbeit „Schwanensee“ nicht um schöngeistige Betrachtungen zum klassischen Ballett gehen wird, davon ist auszugehen. Die 1970 in St. Petersburg geborene Künstlerin beschäftigt sich bereits seit langem mit gesellschaftlichen und menschlichen Missständen. Noch Ende der 1980er Jahre war sie als Schülerin Mitbegründerin der ersten oppositionellen Partei „Demokratische Union“ und Mitherausgeberin der Parteizeitung gewesen. Die neuen Spielregeln der Perestroika waren noch nicht klar und die Freunde rund um Partei und Zeitung wurden von der Staatsmacht drangsaliert und bedroht, Jermolaewas Wohnung von der Polizei durchsucht. Sie verließ das Land und kam über Polen nach Österreich, zuerst ins Flüchtlingslager Traiskirchen, was in Venedig auch eine Rolle spielen wird. Jetzt setzt sie sich für Geflüchtete aus der Ukraine ein, innerhalb und außerhalb ihrer Kunst. Russland und die Ukraine, die Länder, die sie als Jugendliche geprägt haben, spielen in Jermolaewas Installationen, Fotos und Videos eine Hauptrolle. Die Künstlerin bildet mit ihrer Arbeit Geschichte ab – aber vor allem, wie sich der Lauf der Geschichte auf den einzelnen Menschen sowie die Gesellschaft auswirkt. Das Menschliche hat einen hohen Stellenwert in Jermolaewas Kunst, wenn nicht den höchsten. Und deshalb ist ihre Kunst auch so zugänglich, verführt mit Humor und Poesie und verleitet dann zum Eintauchen in komplexe gesellschaftliche und politische Verflechtungen.

Farbenspiele – Diagonal treibts bunt

Der französische Historiker Michel Pastoureau legt in seinem neuen Farbbuch „Alle unsere Farben – Eine schillernde Kulturgeschichte“ einen kulturhistorischen roten Faden durch die Welt der Farben. Ein Diagonal über Farben in Mode, Kunst, Soziologie, Psychologie und Philosophie.
Farben-Sendungen begleiten uns seit es diese Sendung gibt. Diagonal zum Thema „blau“, „rosa“ „schwarz-weiß“ oder „monochrom“ hatten wir im Programm. Mit den jeweiligen Zuschreibungen zu diesen Farben oder Farbzuständen: das Weite, das Mädchenhafte, das Gespaltene oder das Moderne. Der französische Historiker Michel Pastoureau gibt uns jetzt mit seinem neuen Farbbuch „Alle unsere Farben – Eine schillernde Kulturgeschichte“ einen kulturhistorischen roten Faden durch eine neue bunte Farbsendung in die Hand, bei der es ein Wiederhören von früheren Diagonal Stimmen genauso gibt wie eine Menge neuer Farbaspekte. Mit allen möglichen Referenzen aus Mode, Kunst, Soziologie, Psychologie und Philosophie. Auf dass uns die Augen aufgehen – beim Hören!

Glamour, Glitzer, Seelenpein – Diagonal zum Thema: Diva

Sie ist eine zentrale Figur in der Landschaft der zeitgenössischen Popkultur.
An ihrem Beginn war die Diva eine weiße Frau – charismatisch, geheimnisvoll, schön, mit himmlischer Stimme und Ausdruckskraft – etwa Maria Callas, deren 100. Geburtstag man heuer begeht. Diven nutzen heute aber ihre Strahlkraft auch für Empowerment. Eine Londoner Ausstellung erzählt davon.
Franz Winterhalters Porträt der Koloratursopranistin Adelina Patti, Hollywood Ikone Vivien Leighs tiefrote Robe, ein Foto von Maria Callas in „La Traviata“ 1958 in Covent Garden, Warhols poppiger Marilyn Monroe Print, Cher, Elton John und Diana Ross im Federn- und Glitzerlook, Amy Winehouse, Lady Gaga, Janelle Monae oder Grace Jones in Pose und Glamour Outfit.
Das Londoner Victoria and Albert Museum widmet sich bis April 2024 dem Phänomen der Diva. Eine zentrale Figur in der Landschaft der zeitgenössischen Popkultur, mit Tratsch und Klatsch garniert, Skandale auslösend, von Paparazzi aber auch Edelfotograf:innen mit Kameras verfolgt. In ihrer Anfangszeit war die Diva eine weiße Frau – charismatisch, geheimnisvoll, schön, mit himmlischer Stimme und Ausdruckskraft.
Eine Göttin, geboren aus der italienischen Oper im 16. Jahrhundert und eine Idee, die im 19. und 20. zum Höhepunkt gereift war. Wir nehmen Maria Callas‘ 100. Geburtstag zum Anlass, um über Diven aller Art nachzudenken. Gerade ihr Beispiel lehrt: unter dem Glitzer lauert oft die Tragödie. Die Anbetung der Fans, der allumfassende Ruhm torpedieren den Seelenfrieden. Das ist das dunkle Unterfutter vieler Glitzerroben: Drama, Tragik und Tragödien bis zum oft viel zu frühen Tod.
Aber Diven nutzen heute ihre Strahlkraft auch für Empowerment. Zeitgenössische Vertreter:innen (egal welchen Geschlechts übrigens; man denke an Elton Johns Sonnenkönigsoutfit zu seinem 50. Geburtstag) stehen im Mittelpunkt kreativer Bemühungen, die mit aktuellen feministischen Ideen im Einklang stehen, die den sozialen Erwartungen an „die schöne, keusche Frau“ – die „Casta Diva“, der Maria Callas ihre Stimme verliehen hat – den Stinkefinger zeigen, Sexismus und Frauenfeindlichkeit in der Musik- und Schauspielbranche anprangern und unverblümt nicht-weiße Traditionen feiern. Die neuen Diven feiern ihre Unterschiedlichkeit selbstbewusst – das Kostüm muss stimmen.

Ein Alphabet in „E“

In der deutschen und englischen Sprache ist das „E“ der am häufigsten verwendete Buchstabe. Aber: brauchen wir Vokale wie das E wirklich so dringend? Angeblich ist das Gehirn imstande, von Vokalen entleerte geschriebene Wörter zu entschlüsseln. Dsr Stz st lr. Ist der Buchstabe E vielleicht überbewertet?

In einer Zeit, die uns medial und im wirklichen Leben permanent mit K-Wörtern zuballert – Krisen, Kriege, Katastrophen – widmen wir uns dem Vokal E. Das große Staunen haben wir diese Woche während der Produktion für die Sendung geerntet, wenn wir erzählt haben, was uns umtreibt: eine ganzes Diagonal zum Buchstaben E? Sie werden schauen – in dem Fall natürlich hören – was alles möglich ist! Beginnen wir vielleicht damit:
E wie…..Erwartungshaltung Eine Erwartung an das eigene Leben hat jeder. Und zwar nicht mehr und nicht weniger als die Erwartung, dass bis ans Lebensende alles glatt läuft. Probleme kommen da nicht wirklich gelegen. Das man die Kompetenz besitzt, diese Probleme in allen Lebenssituationen bewältigen zu können, ist dabei übrigens Teil dieser Erwartungshaltung. Vielleicht ist diese Größenfantasie aber gar nicht so schlecht, um das Leben und die unvermeidlich damit einhergehenden Probleme in Angriff nehmen zu können.
Einer der häufigsten Buchstaben unseres Alphabets – dafür hat man beim Scrabble davon ja mehr als von den anderen Buchstaben, ist das E in den letzten Jahren besonders schick geworden, ja zur großen digitalen Verheißung, die unsere K-limakrise, alle K-ommunikationsprobleme und sonstige Ks lösen wird. Damit es richtig zeitgenössisch klingt, muss es dann auch englisch ausgesprochen werden, also E wie I: von der E-mobility über E-learning bis E-Control bis zum E-Wictionary, das uns darüber informiert, wofür dieser Buchstabe steht, wenn er einem Wort vorangestellt wird.

Diagonal zur Person: Arno Geiger

„Neben diesem Leben, das zu leben ist, ist das Werk ein Nichts.“ Das schreibt Arno Geiger in seinem jüngsten Roman „Das glückliche Geheimnis“, ein autobiografischer Text. Das patscherte Leben, der „gemeine“ Alltag, die kleinen Freuden und die großen Enttäuschungen, die so ein Menschenleben in unserer Zeit ausmachen, sind Geiger Abenteuer genug um große Literatur zu machen.
„Ich mag meine Bücher, ganz bestimmt, sie sind aus nichts anderem hervorgegangen als meinem Leben. Aber sie sind nicht das Wesentliche. Ich lebe, um zu leben. Und neben diesem Leben, das zu leben ist, ist das Werk ein Nichts.“ Das schreibt Arno Geiger in seinem jüngsten Roman „Das glückliche Geheimnis“, ein autobiografischer Text, der genau dadurch besticht, dass der geborene Vorarlberger nichts größer machen muss als es ist und trotzdem Geschichten mit ungeheurer Sogwirkung erzählt. Pageturner. Das patscherte Leben, der „gemeine“ Alltag, die kleinen Freuden und großen Enttäuschungen, die so ein Menschenleben in unserer Zeit ausmachen, sind ihm Abenteuer genug.
Ob eine Familiengeschichte in „Es geht uns gut“, die Demenzerkrankung seines Vaters in „Der alte König in seinem Exil“ oder seine eigene Altpapiersammelleidenschaft in „Das glückliche Geheimnis“, was Arno Geiger erzählt, wurzelt im Einfachen, Unaufgeregten, Ungekünsteltem und ist am Ende versöhnlich, menschenfreundlich. Und gerade das wird bei dem Gewinner des Deutschen Buchpreises oder des Österreichischen Kunstpreises für Literatur, die er neben vielen anderen Auszeichnungen erhalten hat, zur großen Kunst.

Von Nerudas Haus in Isla Negra zur alten Walfangstation in Quintay. Eine Fahrt entlang der chilenischen Küste

Von Isla Negra nach Quintay

Der chilenische Literaturnobelpreisträger und Volksheld Pablo Neruda hat diesem kleinen Küstenort am Pazifik erst seinen Namen verliehen. Isla Negra. Ein Flecken mit ein paar Häusern bis in die späten 1930er Jahre, wurde das Fischerdörfchen auch dank seines berühmten Bewohners zum beliebten Sommerfrischeort der wohlhabenden Mittelschicht aus der Hauptstadt Santiago. Ein Stück weiter Richtung Norden hockt ein weiteres malerisches Dorf am Fuße von grünen Hügeln und Felsen. Quintay. Früher war es ein Ort, an dem Walfang betrieben wurde. Davon erzählt ein kleines Museum, das aber vor allem auf die Bedeutung und Gefährdung des Ozeans und seiner Lebewesen heute hinweisen will. Ines Mitterer und Peter Waldenberger haben die Küste für Ambiente erkundet.

Die grüne Welle. Diagonal zum Thema Pflanzen

Langsam hat es sich herumgesprochen: ohne radikale Trendumkehr im Umgang mit unserer natürlichen Umwelt sind wir verloren. Vielleicht hat diese Einsicht ja dazu beigetragen, das Interesse für Pflanzen, ihre Wirkungen im Verlangsamen des Klimawandels, ihre Möglichkeiten zum Schutz der Artenvielfalt und ihre Rolle für die Heilung von Menschen im Physischen wie im Emotionalen spürbar wachsen zu lassen. Und zwar quer durch die Gesellschaft. Junge holen sich Grünzeug als Lebensabschnittspartner in die Wohnung, Künstler:innen lernen von Indigenen die Pflanzen und ihre unsichtbare Kommunikation zu verstehen, Juristen räumen in der Schweizer Verfassung, Kreaturen und damit auch Pflanzen ein Recht auf Berücksichtigung ihrer Würde ein, biologische Anbaumethoden in der Landwirtschaft überzeugen Konsument:innen und Biologen wie František Baluškas vom Botanischen Institut der Universität Bonn schreibt Pflanzen weit mehr Aktions- und Reaktionsfähigkeiten zu, als man bisher annahm. Pflanzen waren die ersten Lebewesen dieser Erde und sie haben mit ihrer Sauerstoffproduktion überhaupt erst die Grundlage für alles andere Leben geschaffen: die Atmosphäre. Der italienische Philosoph Emanuele Coccia plädiert in seinem Buch „Die Wurzeln der Welt – eine Philosophie der Pflanzen“ daher auch dafür, den Büschen, Bäumen, Blumen, Kräutern, Moosen und Algen einen gewichtigeren Platz in unserer Vorstellung einzuräumen. Seit fast 500 Millionen Jahren machen sie unseren Planeten zu einer fruchtbaren Erde – davon müßte man doch lernen können!