Yoko Ono: die berühmteste unbekannte Künstlerin der Welt

Yoko Ono über Kunst zum Mitmachen und Mitdenken

„Bei mir ist Kunst ein Verb“

Bei ihrem berühmtesten Werk „Cutpiece“, ihrer Mona Lisa sozusagen, gibt Yoko Ono dem Publikum eine Schere in die Hand und läßt sich von Wildfremden ihr schönes Kleid vom Leib schneiden und den Unterrock und … Die Menschen entscheiden selbst, wie weit sie gehen möchten. Die Künstlerin läßt vollkommen ruhig alles mit sich geschehen. Eine Performance aus dem Jahr 1964, also bevor es das Wort „Performance“ überhaupt gegeben hat. Typisch für Yoko Ono, von den meisten nur als Frau an John Lennons Seite bekannt, von vielen dafür gehaßt. Typisch, etwas zu tun, wofür es noch nicht einmal ein Wort gibt. Eine Pionierin in vielerlei Hinsicht: Proto-Feministin, Proto-Konzeptkünstlerin, Proto-Performerin. Vielfach unverstanden und ihrer Zeit voraus, wie es Pioniere eben so an sich haben, von Pionierinnen ganz zu schweigen. Das „Cutpiece“ erzählt sie im Interview im Hotel Sacher, sei natürlich eine feministische Arbeit gewesen, die die Verletzlichkeit der Frau zum Thema hat, genauso wie Voyeurismus, Aggression aber auch Vertrauen, auch eine Form vpn Weisheit: „Brüll nicht herum und schrei nicht und sei beleidigt, steh es einfach durch! Du musst es überleben, laß‘ sie es tun.“ Yoko Onos Lebensphilosphie, die sie durch so manche Katastrophe getragen hat.

Die Anfeindungen, denen sie als „Hexe“ ausgesetzt war, die angeblich die Auflösung der berühmtesten Popband der Geschichte am Gewissen haben soll, waren da noch das Geringste. Der Verlust ihrer Tochter, entführt von Ehemann Nummer 2, der Mord an Lennon, Ehemann Nummer 3, die Verleumdungen, Enttäuschungen, Mißachtungen – von aussen gesehen haben sie keine Spur im Gemüt dieser großen, kleinen, zarten Frau hinterlassen.

Obwohl mit goldenem Löffel im Mund geboren, hat sich Yoko Ono selbst nie etwas erspart. Tochter einer der reichsten Familien Japans, mit den Kindern des Kaisers in die Schule gegangen, wirft Ono jegliche Konventionen über Bord, als sie beschließt im New York der späten 50er, frühen 60er Jahre Künstlerin zu werden. Als klassisch ausgebildete Musikerin, die schon im Vorschulalter – so will es die Legende – von 12 Ton Musik begeistert war, entwickelt sie sich im Dunstkreis von John Cale, der von Marcel Duchamp bis Peggy Guggenheim die Kunstelite der Stadt zu den von ihr organisierten Loftkonzerten mitbringt. Sie macht mit bei Fluxus, der Bewegung, die sich bemüht, die Kunst nicht mehr als schöne Ware zu rezipieren, sondern als Lebensphilosophie, oder Denkanleitung zu etablieren. Zwischen bildender Kunst und Musik macht sie keinen Unterschied. So sitzt sie etwa beim „Lightning Piece“ auf einer Bühne, auf einem Klavierschemel, davor der Flügel, zündet ein Streichholz an und wartet, bis es erlöscht. So schaut ein Memento Mori im 20. Jahrhundert aus – da braucht es keine Leinwand, keine Ölfarbe, keinen Totenkopf.

Ihre japanische Herkunft läßt sie lässig mit Konzepten spielen, die von der Avantgarde in Musik und bildender Kunst gerade erst entdeckt werden; vor allem Zen-Buddhismus. Kōans, die kurzen, absurden, paradoxen Denkaufgaben, die Zen Meister ihren Schülern aufgeben werden bei Yoko Ono zu Handlungsanleitungen:

Schattenstück: legt eure schatten zusammen bis sie eins werden oder:
Stimmstück für sopran: schrei.
1. gegen den wind
2. gegen die wand
3. gegen den himmel

Mit ihrer zur Opernsängerin ausgebildeten Stimme erzeugt Yoko Ono die ungewöhnlichsten Töne. Und sie schreit gerne – bis heute, zu sehen auf Youtube, beim Konzert, das sie heuer zu ihrem 80.(!) Geburtstag in Berlin gegeben hat. Sie schreit, weil man in ihrer Generation von ihr als Frau erwartet hätte, dass sie adrette Töne von sich gibt. Aber angepasst war diese Frau nie. Dann schon lieber zwischen allen Stühlen: dem Osten und dem Westen, Pop und Avantgarde, Musik und Kunst. Vor einigen Jahren hat die Wiederentdeckung und Neueinordnung von Yoko Ono als Künstlerin begonnen. Seitdem sind ihre Arbeiten auf Dauerreise durch die Museen dieser Welt, seitdem ist sie mit neuen Werken wieder im globalen Reigen der Biennalen vertreten.

Es macht ihr scheinbar nichts aus, dass sie viele Jahrzehnte ihres Lebens im Schatten eines Riesen wie John Lennon verbracht hat. Da ist keine Spur von Bitterkeit, dafür viel Empathie, Humor und Klugheit. Gemäß ihrer Lebenseinstellung: nicht brüllen, nicht schreien, nicht jammern – Schwierigkeiten sind dazu da, um an ihnen zu wachsen. So gesehen ist die zierliche Yoko Ono ziemlich groß.

 

Gespräch im Hotel Sacher
Oktober 2013

IM: Yoko Ono, die jüngste Arbeit, die ich von ihnen gesehen habe, war „Arising“ auf der Biennale in Venedig, es geht dabei um Gewalt gegen Frauen. Warum geht ihnen dieses Thema gerade so nahe, dass sie das Nachdenken darüber mit einer großen Gruppe von Menschen teilen wollten.

YO: In meiner Arbeit bitte ich die Menschen darum, mitzumachen. Manche machen dann auch mit, aber meistens nur auf einer konzeptionellen Ebene. Ich habe einfach bemerkt, dass es einigen Frauen auf dieser Gesellschaft schon recht gut geht. Ihnen geht es gut, mir geht es gut; aber es gibt so viele Frauen auf diesem Planeten, die extrem leiden, und darauf wollte ich hinweisen. Ich habe also diese Arbeit gemacht und habe die Frauen dieser Welt aufgerufen, mir doch von ihren Erfahrungen mit Gewalt zu berichten. Ich habe dann gedacht, dass mir vielleicht zehn, zwölf schreiben werden. Genug – ich hatte in Venedig ja auch nur einen kleinen Raum zur Verfügung. Aber egal, ob der Raum klein ist oder nicht, die Botschaft ist nicht klein. Ich wollte also die Antworten der Frauen dort herzeigen. Am ersten Tag sind aber gleich 87 Erzählungen eingetroffen. Das ist sehr erstaunlich und ich hatte das überhaupt nicht erwartet. Aber wenn man darüber nachdenkt, zeigt das natürlich, wie sehr Frauen leiden. Als wäre ich da auf eine Quelle des Leids gestoßen.

IM: Ihre vielleicht berühmteste Arbeit, das „Cutpiece“, bei dem sie sich die Wäsche vom Leib schneiden lassen, wurde auch als protofeministisches Werk interpretiert, war das ihr Ziel dabei?

YO: Was an „Cutpiece“ interessant ist, ist, dass es viele verschiedene Bezüge umfasst. Einer davon ist natürlich diese feministische Botschaft, aber in dem Werk geht es auch um eine Form von Weisheit: „Brüll nicht herum und schrei nicht und sei beleidigt, steh es einfach durch! Du musst es überleben, laß‘ sie es tun.

IM: Ist das eine Ihrer Lebensphilosophien?

YO: Ja, das war auf alle Fälle auch eine Aussage dieser Performance. Ich hatte viel Gelegenheit, das tun zu müssen. Mich zu ergeben, wobei ich mir sicher bin, dass viele Leute glauben, Yoko muss sich überhaupt nichts gefallen lassen.

IM: Sie haben diese Performance zum ersten Mal in Japan gezeigt und wir sind es gewohnt von der japanischen Kultur zu denken, dass die Gesellschaftsregeln noch viel strikter eingehalten werden müssen als in Europa oder in den USA. Wie war es für Sie diese Gesetze mit kühnen Performances zu brechen? Man weiss ja, Sie kommen aus einer sehr reichen, angesehenen Familie…

YO: Was Japan angeht, denken die meisten Menschen: oh, Japan ist so rückständig, Frauen müssen 10 Fuß hinter den Männern gehen, das stimmt nicht. Meine Mutter war eine sehr starke Frau. Sie war auch eine der reichsten Frauen in Japan. Alle Leute sind ihr hinterher gerannt, um einen Job zu bekommen oder so. Meine Großmutter war Teil der japanischen Emanzipationsbewegung – im 19. Jahrhundert. Das hängt alles davon ab, wer du bist, und weniger wie du denkst, aus welcher sozialen Schicht du kommst.

IM: Aber Sie haben nie das getan, was die Gesellschaft von ihnen erwartet hätte. Nicht nur in Japan, sondern auch im New York der 1950er und 60er Jahre.

YO: Es war ziemlich einschüchternd, die Tochter meiner Mutter und die Enkelin meiner Großmutter und überhaupt aus dieser Gesellschaftsschicht zu sein! Ich war so eine Rebellin. Ich wollte nicht dazu gehören.

IM: In den ersten Jahren, die Sie als Künstlerin in New York gelebt haben, hatten Sie dieses berühmte Loft, wo Sie Konzerte veranstalteten, welche Art von Musik hat sie damals interessiert?

YO: Ich machte einfach meine Musik. Ich glaube eigentlich nicht, dass es Avantgarde war, oder Jazz, oder Rock, es war die Art von musikalischer Erfahrung, die ich gesammelt hatte.
Ich kannte John Cage und wir waren befreundet. Es gab damals so viele Menschen, die gegen meine Arbeit waren, weil als Frau und Japanerin war es irgendwie leicht, mich nicht ernst zu nehmen, und „shut up, Yoko“ zu sagen. Cage war aber nicht so. Wir waren Freunde. Und am Abend des ersten Konzertes gab es dichten Schneefall und ich habe mir gedacht: da kommt niemand!! Aber: Hallo!!! alle sind gekommen!! John Cage hat alle mitgebracht: David Tudor, Peggy Guggenheim, oder später Marcel Duchamp und Max Ernst und ich war sehr aufgeregt darüber! Sehr glücklich. Weil die Leute dann gesagt haben: weisst du, wer bei Yoko war, der und der, und dann wollten viele zu den Konzerten kommen. Das Loft war nicht besonders groß im Vergleich zu den Lofts heute, aber so 100 Menschen haben da schon hinein gepasst.

IM: Hatten Sie das Gefühl, dass Ihr Zugang zur Musik mit dem von John Cage verwandt war?

YO: Johns Vorstellung von Musik war sehr faszinierend. Er war ein wirklich kreativer Mensch. Die Art, wie er an Musik herangegangen ist, war so anders als bei anderen Komponisten! Diese Gruppe von Leuten wie LaMonte Young und ich, die jüngere Generation in New York, wir nannten ihn JC – Jesus Christ. Er war ein sehr spezieller Freund. Aber wir hatten musikalisch unterschiedliche Ideen.

IM: Und wie haben zu dieser Zeit Ihre musikalischen Interessen ausgeschaut?

YO: Es hatte alles mit Intensität zu tun. Und das Interessante an der Avantgarde dieser Zeit für mich war, dass sie eben nicht wirklich an Intensität interessiert war. Sie wurde fast als schlechter Geschmack abgetan. „Das ist dramatisch, viel zu dramatisch“, habe ich oft gehört. Und ich war die Dramaqueen. Das hat mit Frausein zu tun. Wenn ich nur etwas ausgedrückt hätte, was damals die meisten Frauen vermittelt haben: Weiblichkeit, Frausein, charmant, süß, dann hätten sie mich geliebt, aber mir ging es darum zu zeigen, dass Frauen auch Macht haben können: Frauenpower.

IM: Nur noch eine Frage zu John Cage: wie haben Sein Interesse an Zen Buddhismus erlebt?

YO: Zen Buddhismus war damals, vor allem in New York City sehr präsent. Vor allem Komponisten waren davon sehr angetan. In Japan waren wir an dieses meditative Element vom Zen Buddhismus gewöhnt. Ich habe die Japaner beobachtet: sie meditieren bei der Arbeit, beim Essen, wenn sie sprechen, dort ist Meditation ein alltäglicher Faktor und das ist ziemlich anders als der westliche Zugang. Wir sind daran gewöhnt. Es gibt natürlich auch viele japanische Künstler und Musiker, die versuchen, dagegen anzugehen und zu agieren wie die Leute aus dem Westen. Das hat mich allerdings nicht interessiert.

IM: Dieser Humor, diese positive Einstellung zur Welt, ist doch ein Ausdruck von Zen Buddhismus oder?

YO: Das Einfachste ist doch, du selbst zu sein; ich wollte zeigen, was aus mir herausfällt und nicht etwas heraus pressen müssen.

IM: Was ich an ihrem „Ceiling Painting“ einem weiteren ihrer berühmten Werke so schätze, ist: du kletterst da eine Leiter hinauf, nimmst die Lupe und siehst dann ganz klein an die Decke geschrieben das Wort „Yes“.

YO: Ich mache Kunst, zumindest einen Teil davon, für mich selbst, um mich irgendwie vor einer Gefahr zu schützen. Zu dieser Zeit, Mitte der 60er Jahre verlief mein Leben nicht gerade gut. Im Privatleben bin ich nicht wirklich verstanden worden und meine Karriere, ja, war eigentlich ein Disaster…. So habe ich das zumindest empfunden. Die meisten Menschen haben sicher gedacht, es gehe mir gut… und so habe ich das Wort: „Ja“ gebraucht und habe es an die Decke geschrieben – es war sicher zum Teil für mich. Und es hat funktioniert!! Ich hätte nicht gedacht, dass es funktionieren würde!

IM: Sie haben gesagt, ihre Arbeit in den 60er Jahren sei gründlich mißverstanden worden, andererseits hat jemand wie John Lennon ihre Arbeit gesehen und sie verstanden, oder?

YO: Das war erstaunlich. Er war, yeah, yeah, yeah, und dann ist er auf meine Arbeit gestoßen und hat sie einfach aufgenommen, ohne jedes Zögern und er hat sie geliebt.
Ich war eine dieser arroganten Avantgarde-Künstlerinnen, die davon ausgegangen war, dass alle Menschen furchtbar dumm seien; aber dann habe ich John getroffen, beziehungsweise ich habe nicht John getroffen, ich habe gedacht, „noch einer von der Sorte“. Aber: John war anders, sehr intelligent und ich konnte es kaum fassen, dass es diese Form von Intelligenz bei einem Menschen geben könnte, der ein „Popstar“ war. Sehr seltsam, dachte ich. Unsere Kombination ist mir sehr komisch vorgekommen, aber ich habe es geliebt, er kam mit diesem Liverpool Akzent und allem drum herum, allem, was einem nicht koscher war.

IM: In ihren gemeinsamen Jahren haben Sie auch zusammengearbeitet. Für eine dieser Arbeiten, „bagism“ ist hier auch das Hotel Sacher bekannt, worum ging es dabei?? war es gegen Voyeurismus? die vielen Menschen, die Sie verfolgt haben?

YO: Es ging darum, ein fremdes Element in unser Leben zu bringen. Menschen krabbeln normalerweise nicht in Leintuchsäcke. Das ist so fremd und frisch und neu, wir wollten solche Aspekte ins Spiel bringen. Als ich auf der Bühne war, bin ich herumgekrochen; da haben sich die Leute echauffiert: sie krabbelt auf der Bühne!! was tust du da?? Auch heute noch: jede will eine Ballerina sein, da willst du doch nicht kriechen!! aber es ist gut, diese Aspekte des Körpers und des Lebens in deine Ausdrucksmöglichkeiten einzubeziehen. Das haben wir gemacht und zwar in Wien, absichtlich. Wien hat diesen Ruf, eine sehr elegante und feinsinnige, künstlerische Stadt zu sein – wir haben es nicht in Harlem gemacht. Wir waren uns dessen, was wir tun, sehr bewußt.

IM: Hatten Sie jemals das Gefühl – 98% der Aufmerksamkeit hat damals ja John Lennon auf sich gezogen – hatten Sie da jemals das Gefühl, in seinem riesengroßen Schatten zu verschwinden?

YO: Ich habe das eigentlich nicht so empfunden. Ich bin ja auf seinem Spielfeld aufgetaucht, seinem Zuhause. Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich hatte so ein großes Vertrauen in das, was ich getan habe, ich habe in meinem eigenen Traum gelebt.

IM: Sie waren eine Pionierin auf so vielen Gebieten, Kunst, Musik, Feminismus, und Sie haben dafür nie eine Anerkennung bekommen….

YO: Ja, ich habe keine Credits bekommen, und es gibt viele Künstler, die keine Anerkennung dafür bekommen haben, was sie geleistet haben, das ist nicht gut, aber ich hatte Glück: wenn ich die Anerkennung für ein Werk von mir bekommen hätte, sagen wir die Bed-ins, dann säßen wir immer noch da und hätten das unser ganzes Leben weiter gemacht; aber die Tatsache, dass nichts von mir irgendwie anerkannt wurde, hat mich dazu gebracht mich weiter zu entwickeln. Und so gab es da immer eine Menge Dinge, die wir tun konnten und nicht nur eines. Wir sind nie zum Establishment einer Idee geworden.

IM: Ich habe einmal eine Beschwerde von Ihnen gelesen, in der Sie gemeint haben: „die covern immer alle Songs von den Beatles, aber nie meine“, jetzt gibt es aber eine ganze Reihe von Coverversionen ihrer Songs und einige davon sind sehr erfolgreich…

YO: Ich habe das von John, glaube ich, weil John immer ein wenig traurig darüber war, dass alle immer Pauls Songs gecovert haben, seine aber zu schwierig waren, um en masse gecovered zu werden. Seine Sprache war so einzigartig! Die meisten Musiker konnten das nicht. Wenn ich ernsthaft darüber nachgedacht hätte, warum sie meine Songs nicht coverten, dann hätte ich gesagt, das ist ok! Für alles gibt es eine Zeit und dafür war sie dann eben noch nicht reif.

IM: Danke