Almudena Grandes und die Elefanten

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Almudena Grandes

Die Schriftstellerin Almudena Grandes legt mit „Inés un die Freude“ einen Roman vor, der unterhalten und historische Lücken schliessen will. Über die Fähigkeit der Spanier ganze „Elefanten unter den Teppich zu kehren“, wenn ein Ereignis nicht ins gepflegte Geschichtsbild passt und andere Eigenschaften ihrer Mitbürger, erzählt die 54-jährige Madrilenerin mit der rauchigen Stimme darin genauso wie über die große Liebe der Pasionaria, der legendären Kommunistenführerin Dolores Ibárruri. Auch das ein „Elefant“, durfte diese „unbefleckte Jungfrau der Kommunisten“ doch unmöglich in die Tiefen einer banalen Liebesbeziehung hinabgezogen werden. Genau das aber ist Grandes Spezialität: die Geschichte mit dem großen G mit den vielen Geschichten der kleinen Menschen zusammenzubringen.

IM: Für mich war das Interessante an diesem Buch „Ines und ihre Freunde“, dass es von historischen Ereignissen erzählt, die gegen Ende des 2. Weltkrieges an der spanisch-französischen Grenze passiert sind, von denen aber kaum jemand weiss – wie kam es dazu?

AG: Ja, sogar in Spanien weiss kaum jemand davon. Ich habe von der Geschichte der Invasion im Arantal nahe der französischen Grenze erfahren, als ich ein Buch über die republikanischen Soldaten gelesen habe, die sich den Alliierten im Kampf gegen die Nazis in Südfrankreich angeschlossen haben. Und am Ende im Anhang las ich dann davon, dass am 19. Oktober 1944 4000 spanische Männer die Pyrenäen überquert und das Arantal okkupiert hätten. Ich habe dabei so richtig Herzklopfen bekommen. Erstens, weil tatsächlich jemand versucht hat, ins franquistische Spanien einzudringen und zweitens, dass man davon in Spanien bis heute nichts weiss. Wie war das möglich? Das war doch zu groß, um es einfach unter den Teppich kehren zu können. Und als ich dann ein wenig recherchiert hatte, habe ich herausgefunden, dass es in Spanien nur zwei Bücher gibt, die davon beiläufig erzählen. Nur zwei! Ich war so sicher, dass ich darüber etwas schreiben müßte, dass ich am Ende einen Mann gefunden habe, der bei dieser Invasion dabei gewesen war. Auf der Grundlage seiner Erzählungen habe ich dann dieses Buch geschrieben – ich finde die Geschichte bis heute faszinierend.

Als mein Buch dann erschienen war, haben mir in Spanien alle gesagt: hey, ich habe davon überhaupt nichts gewusst. Weil diese Invasion etwas Besonderes in der Hinsicht war, dass sich Feinde über etwas einig waren. Alle Mächtigen, die damit zu tun hatten, haben sich darauf geeinigt, dass man die Geschichte vergessen muss. Der Franquismus hat diese Invasion nie anerkannt, weil es im Grunde erniedrigend war, dass 4000 Republikaner einfach so die Pyrenäen überqueren konnten, und auf der anderen Seite hat die kommunistische Partei Spaniens, deren offizieller Sitz zu der Zeit in Moskau war, dem Ereignis auch keine Bedeutung beimessen wollen, weil es die Initiative eines Alleingängers war, auf die sie keinen Einfluss gehabt hatten. Da sie sich den Orden also nicht selbst anstecken konnten, wollten sie verhindern, dass ihn irgendjemand anderer bekommt. Und die Allierten haben auch nicht darüber geredet, weil sie die republikanischen Soldaten quasi im Stich gelassen haben. Das war also eines der seltenen Ereignisse in der Geschichte, bei dem sich alle verfeindeten Beteiligten einig waren, dass man es am besten begraben sollte. Für mich zeigt das aber von der unwahrscheinlichen Fähigkeit der Spanier, Elefanten verstecken zu können. In anderen Ländern kann man vielleicht Eichhörnchen verstecken, aber in Spanien gelingt es, solche großen Dinge quasi ungeschehen zu machen.

IM: Das war eine Schande für alle und deshalb haben sie geschwiegen.

AG: Ja, alle haben geschwiegen.

IM: Warum war es Ihnen so wichtig, diese Geschichte heute zu erzählen. All diese Geschichten über den Bürgerkrieg, den Weltkrieg, den Franquismus – sind die nicht alle schon erzählt? ein geschlossenes Kapitel der Geschichte?

AG: Ich mache es genau deshalb, weil ich eben glaube, dass dieses Kapitel noch längst nicht fertig erzählt ist. Erinnern ist die Obsession meiner Generation. Alle Spanier meiner Generation hatten den Eindruck, dass „erinnern“ unser großes anhängiges Thema war. Alle hatten wir als Kinder Fotos zu Hause herumstehen, von Menschen, über die wir nichts erzählt bekamen. Da gab es immer diese Fotos auf der Kommode oder in der Lade von einem jungen Menschen mit breitem Lächeln, und du hast gefragt, wer ist das und sie haben dir gesagt, der Onkel X. Und, was ist mit ihm passiert? Er ist gestorben! Und wann? Vor vielen Jahren! und wenn man gefragt hat: woran ist er gestorben, dann haben sie geantwortet: Man spricht nicht über unangenehme Dinge. Wir sind in Haushalten großgeworden, wo es Massen von versteckten Briefen gegeben hat, von denen man nicht wusste, wer sie geschrieben hatte. Ich würde sagen, alle Spanier meiner Generation haben diesen schweren Rucksack voller Stille, voller Geheimnisse mit sich herumzuschleppen. Das ist noch überhaupt nicht aufgearbeitet. Als die Diktatur zu Ende war, gab es in meinem Land eine Übergangsphase zur Demokratie, die praktisch wie ein Zaubertrick war. „Jetzt reichen wir einander alle die Hände, schließen die Augen, springen und schon wird alles anders sein.“ Die Idee war: wenn wir nicht vom Franquismus reden, wenn wir nicht daran denken, dann hat der Franquismus nie stattgefunden. Das ist einfach eine Lüge. Und all dieses Schweigen und diese Unentschlossenheiten, haben den Menschen meiner Generation zu schaffen gemacht. Als wir um die 40 Jahre alt waren, die Enkel des Bürgerkrieges, da waren wir die erste Generation, die sich getraut hat, Fragen zu stellen. Aber: wir haben keine Antworten bekommen. Nach so langer Zeit konnte man darüber noch immer nicht sprechen, und das konnten wir nicht tolerieren. Also haben wir, die wir schreiben, Romane geschrieben, die Filmemacher Filme gemacht, und alle anderen haben auf ihre Weise dieses Bedürfnis nach Wissen gestillt. In den sechs Romanen des Zyklus, an dem ich gerade arbeite, will ich über die 25 Jahre Franco Diktatur sprechen, also von 1939, dem Ende des Bürgerkrieges, bis 1974, und zwar aus der Perspektive der Widerständigen, der Leute, die „nein!“ gesagt haben; der Leute, die das Ergebnis des Bürgerkrieges nicht akzeptiert haben und gegen die Diktatur weitergekämpft haben, jeder mit seinen Waffen. Interessanterweise existiert diese Geschichte in Spanien nicht, die im restlichen Europa eine Heldengeschichte gewesenwäre, vor der man sich verneigt hätte. Die gab es einfach nicht. Man hat so getan, als hätte es die Resistencia nicht gegeben. Und weil die Demokratie so toll und so fein war und man ja nicht zurückschauen sollte, so ist diese Erzählung irgendwo im nirgendwo hängengeblieben. Und genau das ist die Geschichte, die ich erzählen will. Eine Geschichte, die uns zeitlich sehr nahe und trotzdem absolut unbekannt ist.

IM: Und jetzt? Sind die Menschen jetzt bereit, etwas zu erzählen?

AG: Ja, jetzt wird es besser – mir kommt vor, seit Beginn dieses Jahrhunderts, also des 21. – ich bin in den 1960er Jahren geboren, im Jahr 2000 40 geworden und da hat diese Bewegung eingesetzt. Erst da hat man angefangen, den Widerstand der Republikaner zu würdigen. Und diese alten Leute waren total verwundert und haben gesagt: „das ist mir noch nie passiert. Muss ich das jetzt bezahlen?“ Ich erinnere mich, Freunde von mir haben einen Republikaner angerufen, einen älteren Herren, um ihn zu einer Gedenkveranstaltung ihm zu Ehren einzuladen und er hat sie gefragt: „was muss ich zahlen?“ Und sie haben geantwortet: Sie müssen nichts zahlen, das machen alles wir. Und er hat gesagt: „Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht dafür zahlen muss, Republikaner zu sein. Das hat Anfang dieses Jahrhunderts stattgefunden und ist nicht mehr aufzuhalten. Es stimmt schon, es sind inzwischen viele Leute gestorben, aber die Überlebenden reden und ihre Kinder reden und diese Familiengeschichten kommen ans Licht, weil es normal ist, und weil die Zukunft meines Landes davon abhängt.

IM: Ich habe schon mit Rafael Chirbes über dieses Thema gesprochen und er sagt auch, dass es in der spanischen Gesellschaft noch immer diesen Abgrund gibt zwischen den Rechten und den Linken, den alten Feinden aus dem Bürgerkrieg. Sehen Sie das auch so?

AG: Ich weiss nicht, ob man da wirklich von Abgrund sprechen kann, aber die spanische Gesellschaft ist nach wie vor sehr stark ideologisiert. Es gibt tatsächlich einen Riss zwischen der Rechten und der Linken trotz dieser globalen Bewegung, die die Meinung vertritt, die Ideologien wären längst tot. In Spanien trifft das nicht zu. Es gibt die Rechten, die niemals links wählen würden, niemals, und die Linken, wie ich, die nie rechts wählen würden – ich werde sterben, ohne jemals rechts gewählt zu haben. Auch wenn die Linken alles falsch machen, dann würde ich vielleicht gar nicht wählen, aber die Rechten würde ich nie wählen. Das unterscheidet heute die Spanier vielleicht vom Rest Europas – der große Unterschied zwischen Spanien und den anderen Ländern Europas ist, dass es in Spanien 40 Jahre lang eine blutige Diktatur gegeben hat, und im Rest Europas nicht. Spanien hat eine unglückliche Eigenschaft im Vergleich zu anderen europäischen Ländern; es stimmt schon, dass es am ganzen Kontinent rund um die Jahrhundertmitte Kriege gegeben hat, in den 30er und 40er Jahren, aber normalerweise kommt nach dem Krieg der Frieden. Nach dem Krieg kommt zuerst der Sieg – das dauert wenige Monate, da kommt dann die Revanche, da muss man die Feinde aufhängen, aber das dauert nur einige Monate und danach kommt der Frieden. Und Frieden heisst Versöhnungspolitik, Integrationspolitik, Entschädigungen, damit alle zusammen weiter im Land bleiben können. In Spanien aber ist nach dem Krieg kein Frieden gekommen. Es gab nur den Sieg und der dauerte 37 Jahre. Während 37 Jahren also hat das Franco Regime nicht nur keinen Versuch unternommen, sich mit den Feinden aus dem Bürgerkrieg auszusöhnen, sondern sie haben den Besiegten auch keine Chance gegeben am Leben in diesem Land teilzuhaben. 37 Jahre lang hat man also gesagt, dass der Bürgerkrieg ein Kreuzzug war für Gott und Abendland und gegen den Atheismus und den barbarischen Osten. Und es gab keine Möglichkeit, dem zu widersprechen. Das prägt natürlich das Schicksal eines Landes. In den ersten 10 Jahren nach dem Bürgerkrieg hat man eine Art systematische Erniedrigung des Feindes betrieben, sodass einige Historiker von Vernichtungspolitik sprechen; weil man alles getan hat, damit die größtmögliche Zahl von möglichen Feinden an Hunger stirbt oder durch Epidemien. Der Sieg dauerte also 37 Jahre – es wäre also sehr ungewöhnlich, wenn es in Spanien diese sehr klare Trennungslinie zwischen links und rechts nicht geben würde.

IM: Kehren wir wieder kurz zu der Zeit zurück, die Sie in ihrem neuen Buch beschreiben, 1944. Warum unterstützen die Allierten damals nicht die Sache der spanischen Kommunisten gegen Franco?

AG: Um genau zu sein, war die Invasion des Arantales, von dem ich erzähle, von den spanischen Kommunisten ausgegangen, aber sie haben diese Invasion unter dem Dach einer Organisation durchgeführt, der Union Nacional Espagnola, weil die kommunistische Partei eine Plattform geschaffen hat, an der die gesamte Opposition teilhaben sollte, falls die Invasion gelingt. Diejenigen, die tatsächlich das Arantal besetzt hatten, waren Kommunisten, aber die kommunistische Partei vergab sozusagen die Garantie, dass falls die Übung gelingt, die Idee die war, zu einer parlamentarischen Demokratie zurückzukehren. Diese Invasion war aber nicht von Erfolg gekrönt, weil den Alliierten Franco besser in den Kram passte als die spanischen Demokraten. Spanien war während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ziemilch radikaler Flecken Erde gewesen. Die sozialistische Partei Spaniens war die linkste sozialistische Partei Europas, die kommunistische Partei Spaniens war die stärkste kommunistische Partei Europas. Und deshalb haben Churchill aber auch Truman in Franco eine Garantie gegen den Kommunismus gesehen. Sollte Franco stürzen, fürchteten sie, dass Stalin mit einem Territorium im Westen Europas rechnen würde. Was nicht gestimmt hat, weil Stalin die Invasion genauso wenig unterstützt hat. Spanien war für ihn weit weg und hat ihn nicht interessiert. Er war nur an dem Teil von Europa interessiert, der ihm geografisch näher lag. Das war die große Tragödie der spanischen Republikaner: dass alle dachten, dass am Ende des 2. Weltkrieges die Alliierten Franco verjagen würden, weil er ja ein Verbündeter der Achsenmächte gewesen war und dass sie auch Spanien die Demokratie wiedergeben würden. Aber in Spanien ist leider das Gegenteil dieser römischen Maxime eingetroffen, die besagt: der Freund meines Feindes ist mein Feind. Die Allierten sagten: der Freund meines Feindes ist mein Freund. Und so unterstützten sie weder diesen noch irgendeinen anderen Versuch, eine Demokratie in Spanien einzurichten.

Vielleicht, wenn Roosevelt nicht gestorben wäre, hätten wir eine Chance gehabt, weil Roosevelt sehr antifrankistisch eingestellt war. Churchill hingegen war vehement auf der Seite Francos. Sie dachten also: für uns ist es besser, dass Franco dort ist, weil der Feind heute ist das Dritte Reich, aber der Feind morgen wird die Sowjetunion sein, deshalb ist es besser, wenn Franco bleibt – das konnten die Republikaner nicht verstehen.

IM: Wie hat man eigentlich die Spanier im französischen Exil, im Süden Frankreichs – es haben sich ja viele in Toulouse niedergelassen – behandelt?

AG: Als der Bürgerkrieg vorbei war, hat man sie sehr schlecht behandelt. 1939 verfolgten England und Frankreich eine Beschwichtigungspolitik dem „Dritten Reich“ gegenüber. Wir wollen Hitler nicht belästigen, dann bleibt er ruhig – eine furchtbare Naivität! Wir lassen Spanien den Faschisten und er wird dann ruhig bleiben- daher haben sie in Spanien nicht eingegriffen, genauso wie sie in der Tschechoslovakei nicht eingegriffen haben – da haben sie sich schwer verkalkuliert. Als also der Bürgerkrieg zu Ende war, kam circa eine halbe Million Soldaten nach Frankreich. Frankreich war traditionellerweise ein Land, das die Flüchtlinge aufgenommen hatte, ein gastfreundliches Land – aber sie haben die Spanier sehr schlecht behandelt. Sie haben sie in Konzentrationslagern am Strand zusammengepfercht. Was dort schon funktioniert hat, war die Solidarität der Parteien miteinander. Also die kommunistische Partei Frankreichs, die sozialistische Partei, die sozialistischen Gewerkschaften haben getan, was sie konnten, um zu helfen, weil die französische Regierung rechts war, und nachdem sie das offizielle Spanien unterstützten, machte sie so ja auch Politik. Am Ende blieben auf alle Fälle 300.000 Spanier in Frankreich. Aber ganz am Anfang hat man sie sehr schlecht behandelt. Später ist es besser geworden.

IM: Und diese Leute sind dann zurückgegangen nach Spanien nach dem Tod von Franco und dem Ende der Diktatur?

AG: Viele Leute, ja, sind zurückgegangen. Die spanischen Republikaner im Exil lebten ganz einzigartige Bedingungen – es war natürlich sehr lang, fast vierzig Jahre – und im Unterschied zu anderen Exilanten im 20. Jahrhundert, den Russen etwa, oder den Polen, die bald einmal in ihrem neuen Land die Staatsbürgerschaft angenommen haben und sich integriert haben, blieben sie immer Spanier – auch als Frankreich ihnen die Staatsbürgerschaft anbot, wollte der Großteil sie nicht annehmen. Um, sobald wie möglich wieder nach Spanien zurückkehren zu können. Viele sind zurückgegangen. Aber natürlich gab es auch welche, die in Frankreich geblieben sind. Dann gab es wiederum viele, die nach 40 Jahren Heimweh zurückgekehrt sind, aber sich an das neue Spanien nicht gewöhnen konnten und wieder an ihren Ort im Exil zurückgekehrt sind.

IM: Wie war eigentlich die Rolle der Frauen im spanischen Widerstand? Schließlich ist in ihrem Buch ja viel von Frauenleben die Rede.

AG: Nun, über die Rolle der Frau im Widerstand ist auch nicht wirklich viel bekannt. Abgesehen davon, dass der Widerstand ein Thema ist, das ohnehin schon im Dunkeln liegt, ist das Bild der Kämpfer im Untergrund ein männlich bestimmtes Bild. Immer taucht da etwa Jorge Semprún auf mit seiner Mütze und seinem Staubmantel und so. Trotzdem waren die Frauen natürlich extrem wichtig. Sie waren es, die Netze der Solidarität geknüpft haben. Wann immer Untergrundkämpfer nach Spanien kamen, und das war während der 37 Jahre Diktatur immer der Fall, haben ihn Frauen aufgenommen, haben Frauen für ihn gekocht, und haben Frauen ihn versteckt. Diese ganzen Netzwerke der Unterstützung wurden von Frauen gepflegt. Wenn ein Inhaftierter aus dem Gefängnis gekommen ist, gab es eine Gruppe von Frauen, die dafür sorgten, dass er etwas zum Anziehen bekam, zum Essen, die ihm halfen, dorthin zu kommen, wo er hinwollte. Aber das ist für mich gar nicht so wichtig, wie dass es diese Frauen überhaupt gegeben hat. Nach dem Bürgerkrieg gab es zehntausende von spanischen Frauen, die nicht studiert haben, die keine Ausbildung hatten, die erzogen wurden, um wiederum die Kinder des Mannes aufzuziehen, der das Geld für die Familie nach Hause bringen wird. Und sie blieben dann ohne Mann. Weil ihre Männer entweder tot, im Gefängnis oder im Exil oder in den Bergen waren. Diese Frauen, die nichts hatten, um sich und die ihren weiterzubringen, haben es nicht nur geschafft, doch weiterzukommen, sondern haben es auch getan, ohne jemals ihre Ideologie zu verraten. Sie haben sie ihren Kindern weitergegeben und die Enkel dieser Frauen sind dann Minister geworden und Ingenieure, Rechtsanwälte und Architekten. Das macht für mich aus diesen Frauen echte Heldinnen. Wir können nicht sagen, wie sie das gemacht haben, aber sie haben es geschafft und das macht sie zu einem nationalen Schatz. Wir reden von Menschen, die sich täglich etwas einfallen lassen mussten, um Essen nach Hause zu tragen. Tag für Tag für Tag…. Und diese Mühe, einfach zu überleben und seine Kinder weiterzubringen und zu erziehen und es so weit zu schaffen, dass zumindest ihre Enkel zur Universität gehen konnten, hat für mich als Akt des Widerstands viel mehr Wert als vieles andere. Denn eigentlich haben sie damit gesagt: obwohl du mich umbringen wolltest, hast du es nicht geschafft. und das allein war schon ein politischer Akt.

IM: Aber zumindest eine legendäre Persönlichkeit gab es doch…

AG: Dolores Ibárruri

IM: oder „La Pasionaria“ die Chefin der spanischen Kommunisten. Was war so faszinierend an dieser Frau?

AG: Mich fasziniert Dolores absolut. Ich bin ein großer Fan von ihr. Es ist interessant, weil ich in diesem Roman davon erzähle – was stimmt – dass Dolores in der Zeit eine Liebesgeschichte hatte, sie war in einen Mann verliebt, der jünger war als sie, sehr fesch … Auch das ist eine Geschichte, die nicht erzählt worden ist. Weil Dolores für die kommunistische Partei Spaniens die Heilige Jungfrau war, eine kommunistische heilige Jungfrau. Aber mir schien, man müsse die Geschichte erzählen, zuerst weil ich von der Invasion des Arantales ohne diesen Aspekt nicht hätte erzählen können und zweitens, weil es eine Geschichte ist, die sie sympatisch macht. Weil sie sie menschlicher macht, weil es eine Schwäche zeigt und schlußendlich, weil eine große Liebe immer etwas Postives im Leben eines Menschen ist, ein Schatz, der an die Oberfläche muss. Die Leser meines Buches in Spanien waren fasziniert von dieser Geschichte, aber es gab natürlich auch alte Kommunisten, die mich dafür schimpften und sagten: das hättest du nicht erzählen sollen. Aber, warum nicht? Wenn sie sich in Wirklickeit nichts zu Schulden kommen lassen hat. Dolores ist so faszinierend, weil sie ein Symbol ist – für all die Frauen im Widerstand in Spanien. Sie ist in die Schule gegangen, aber nur in die Grundschule, hat einen Arbeiter geheiratet, hatte zwei Kinder und dann ist sie zu Versammlungen von politischen Parteien gegangen, Arbeitervereinigungen und das war ihre Ausbildung, jenseits jeder Uni, jenseits auch der Parteischulen. Sie hat es geschafft eine sehr mächtige und sehr charismatische Frau zu werden, eine bewundernswerte, anziehende Frau und sehr intelligent. Und sehr leidenschaftlich – sie konnte Leidenschaften wecken. Sie war eine aussergewöhnliche Rednerin, Erfinderin des Slogans „No pasarán“ – sie werden nicht durchkommen – sie hat viel erfunden und ihr Prestige hat die kommunistische Partei Spaniens zum Großteil ihr zu verdanken.

IM: Und sie war eine große Optimistin.

AG: Und eine große Freundin der Fröhlichkeit. Dieser Roman heisst wörtlich übersetzt ja: „Inés und die Freude“ und es ist das erste Buch einer Serie, und das ist bewußt gewählt. Weil es diese Freude war, die die Widerständigen auszeichnete. Nicht die Traurigkeit, die Fröhlichkeit, die Freude darüber, recht zu haben. Die Freude darüber, an die Zukunft glauben zu können. Die Freude darüber, auf der richtigen Seite zu sein. Das war eine Überzeugung, die Dolores ständig begleitete. Und sie hat den spanischen Kommunisten immer gesagt: Ihr müßt froh sein! Das müßt ihr ausstrahlen. Weil ja auch die Fröhlichkeit in einer harten Situation wie der ihren eine politische Waffe ist. Eine Form, dich immer wieder deiner Überzeugungen zu versichern. Deshalb lächelt sie auch auf allen Fotos. Sie war im Exil in Moskau, in Bukarest, ihr Sohn ist gestorben, sie hat alles erelbt, aber auf allen Fotos lächelt sie.

IM: Das ist das, was heute ein wenig fehlt in den politischen Bewegungen

AG: Aber, was heute noch mehr fehlt, ist: Überzeugung. Ich weiss ja nicht wie das in Österreich oder Deutschland ist, aber in meinem Land haben wir jede Hoffnung verloren. Das Schlimmste ist, dass es keinen Traum, keine Hoffnung gibt. Beziehungsweise bis vor kurzem nicht gegeben hat. Jetzt hat sich in Spanien doch auch etwas bewegt. Es gibt neue politische Bewegungen und eine Partei, „podemos“, die den Leuten genau das vermittelt: podemos – wir können!!

Was uns heute fehlt, ist ja nicht nur die Hoffnung sondern auch jede Art von Ideologie. Die Globalisierung, die uns alle hätte glücklich machen sollen, hat bis heute nur die Universalisierung der Armut gebracht: Arme bleiben arm und die, die ein wenig reicher waren, werden arm. Und der Tod der Ideologien am Ende der Geschichte – was hat er gebracht? Nur, dass die Wirtschaft die Oberhand über die Politik gewinnt, dass Medien nicht mehr frei und total kontrolliert sind. Was die Welt in diesem Moment braucht, sind Ideen. Und Ideen schaffen Hoffnung und Hoffnung schafft Freude.

IM: Mir kommt vor, es gibt schon Ideen, aber kleine, lokale – der ganz große Wurf fehlt, aber der ist vielleicht auch nicht mehr machbar.

AG: Ja, es gibt Ideen, aber auf kleine Bereiche beschränkt. Wenn sich allerdings all diese kleineren Initiativen einigen könnten, dann könnte doch eine große Bewegung daraus werden. Mal schauen. Auf jeden Fall ist alles besser, als sich nicht vom Fleck zu rühren. Langsam losgehen ist besser als stehen bleiben. So gesehen, geht es uns in Spanien besser als vor zwei Jahren. Wir müssen natürlich schauen, ob dieser Weg irgendwohin führt, aber alles ist besser, als irgendwo auf irgendetwas zu warten und zu jammern. Wir in Spanien haben schon aufgehört zu jammern und sind zu einem anderen Stadium übergegangen.

IM: Ja, jammern hilft echt nicht …. Vielen Dank, Almudena Grandes!