Miquel Barceló

Der derzeit wohl berühmteste lebende Künstler Spaniens Miquel Barceló ist vor allem für seine Porträts, Stillleben und Keramikarbeiten bekannt. Seine Werke verraten viel über seinen sinnlichen Zugang zur Welt und changieren zwischen Werden und Vergehen. Das Wiener Kunstforum auf der Freyung zeigt ab 12. Dezember die erste große Retrospektive Barcelós im deutschsprachigen Raum.
Ein Beitrag über den in Mallorca geborenen, ebenso in Paris und Mali lebenden, bodenständigen und direkten Künstler, der den Fisch in der Früh fängt, dann malt und anschließend isst oder seinen Verfall in üppigen Farbschichten auf Leinwand festhält.

 

? Vielleicht beginnen wir unser Gespräch mit deinen Anfängen in der Keramik. Wie bist du dazu gekommen?

Mit der Keramik habe ich in Afrika angefangen. Dort habe ich ein Haus seit dem Jahr 1990, aber seit 1988 fliege ich regelmäßig nach Mali. Im ersten Jahr war ich in Gao, in der Nähe von Timbuktu, dann bin ich nach Sanga gekommen, das ist im DogonLand und die Dogon haben mir den Umgang mit der Keramik beigebracht. Wenn es dort für das Malen zu windig war, – gerade im Februar gibt es dort richtige Sandstürme, in den Häusern war es dann zum Malen zu heiss und draussen zu windig, habe ich angefangen, den Lehm zu modellieren. Nicht anders als die Menschen im Neolithikum. Auch das Brennen dann war richtig archaisch – man hat den Lehm mit Kuh und Kameldung vermischt. Ich habe die Techniken gelernt, die die Dogon seit Jahrhunderten genauso anwenden. Das ist sehr ähnlich den Verfahren, die man ursprünglich auch auf der iberischen Halbinsel in den letzten Jahrhtausenden angewandt hat, wenn ich meine Arbeiten jetzt so anschaue. Als ich dann nach Europa zurückgekommen bin, habe ich in einer Töpferwerkstatt gearbeitet, die auch gewirkt hat, als wäre sie aus dem 19.Jahrhundert, die es auf Mallorca da noch gegeben hat. Das war wie ein Zeitsprung über Jahrtausende: mit einem richtigen Ofen zu arbeiten und mit einer Töpferscheibe. Ich habe da angefangen, Tonplatten zu machen, die immer größer geworden sind, bis sie so groß geworden sind wie die von der Kathedrale in Palma, die 300 Quadratmeter groß war. Alles in einem Stück. Ich habe immer gedacht, dass die angewandte Keramik wie Fliesen waren, Muster, die sich wiederholen, also wollte ich eine große Arbeit machen, ohne diese Einzelteile, die dann wie in einem Puzzle zusammengesetzt werden. Das habe ich dann gemacht. Dafür musste ich in ein Keramikatelier in der Nähe von Neapel, nach Vietri sul mare gehen und habe dann mit Vicenzo Santoriago, einem lokalen Keramikmeister gelernt, wie man das machen kann.

Und viel später kaufte ich dann vor 2 Jahren diese Werkstatt, eine alte Ziegelfabrik, wo man Fliesen, Ziegel, Baumaterial hergestellt hat. Sie ist fast 100 Jahre alt, hier haben sie Vasen hergestellt…nie mit Farbe gearbeitet, glaube ich…das war nur für Baumaterial. Mit dem Bauboom ist die Werkstatt immer größer geworden und mit dem Kollaps der Bauindustrie auch eingegangen. Mir hat die Idee gut gefallen, dass ich aus diesen jetzt so verpönten Materialien – Ziegel, Dachziegel, etwas Neues machen kann. Schliesslich steht dieses Material auch irgendwie für diese romanische Welt und hat eine große Symbolkraft für unsere Kultur. Bloss die Ziegel haben sich in unseren Augen jetzt in etwas Infames verwandelt durch diese wirtschaftliche Entwicklung. Als kulturelles Alphabet eignet sich das Material aber wunderbar. Mir gefiel also diese Idee der Verwandlung.

? Gehört das zum Traum eines Künstlers, so richtig mit den Händen arbeiten zu können?

Na ja, ich arbeite ja immer so: meine Bilder mache ich ja auch mit den Händen, mit beiden Händen! Mir bietet das eine gute Abwechslung zur Malerei. Mein Maleratelier ist derzeit sehr vollgeräumt. Hier kann ich mich befreien – das gibt mir ein Gegengewicht. Und es tut mir gut, in mehr als nur einem Bereich beschäftigt zu sein. Meine Keramik brauche ich, um meine Malerei zu verstehen, voraus zu denken. Die Beziehung ist merkwürdig…das läuft nicht immer parallel – macht schlangenförmige Bewegungen.

? Mit dieser Technik scheint es, als wolltest du an uralte Ideen anknüpfen wollen, gefällt dir auch diese Idee, etwas aus der tiefen Geschichte der Menschheit in unsere Zeiten heraufzubringen etwas, das uns ursächlich ausmacht?

Sicherlich versuche ich das. Eine bewußte Entscheidung zum Beispiel war, keine Farben zu verwenden ausser Mangan. Als ich da in Vietri gearbeitet habe, habe ich gedacht, dieser Ton kommt aus der selben Quelle, aus der sich die alten Griechen bedient haben, derselbe Ton, das selbe Mangan.. die Moderne liegt also im Denken, nicht im Material. Es ist dumm zu denken, dass ein Video modern ist, nur wegen der modernen Technologie – die Moderne liegt im Spirit. Ich versuche also das elementarste Material einzusetzen, uraltes Material. Ich leite die Keramik von der Malerei ab. Keramik ist wie ein Generic von der Malerei, wenn man dieses medizinische Vokabular verwenden will, Malerei enthält Keramik. Der erste Maler hat sicher auf einem Stück Ton gemalt. in diesem Sinn gefällt mir das, weil ich so den dunkelsten Teil untersuchen kann, wo alles angefangen hat. 39.27 Keramik dient auch in sehr avancierten technologischen Bereichen, für Knochentransplantationen, im Bereich des Satellitenbaus, Keramik ist also uralt und ganz modern gleichzeitig.

? nicht nur deine Materialien, auch deine Themen sind sehr fundamental, Tiere, Essen, verderbende Früchte…steckt da die gleiche Idee dahinter?

Ich glaube schon, ich male gerne das, was ich sehr gut kenne. Also oft gefällt mir die Idee, dass ich von einem Modell abmale; oft zum Beispiel habe ich sehr früh in der Früh einen Fisch gefangen, dann habe ich ihn um 11.00h gemalt und um eins gegessen. Das habe ich für den perfekten Zyklus gehalten. Und diese gleiche Geste haben viele Maler vor mir genau so ausgeführt. Also, einen Apfel nehmen, ihn malen und dann essen. Ich bin sicher, dass Cezanne den Apfel gegessen hat, den er gemalt hatte; und dazu denke ich auch, dass die Moderne im Zugang zu den Dingen liegt und nicht im Gegenstand. Ein Apfel ist immer modern! lacht

? Es gibt in deinen Arbeiten viele Hinweise auf die Flüchtigkeit des Lebens, auf die Vergänglichkeit – siehst du dich damit in dieser spanischen Tradition eines Goya, eines Velazquez?

Ja, das höre ich oft. Für mich ist die Zeit einfach das perfekte Thema für die Malerei Vor allem, wenn ein Maler einmal über 50 ist, dann malst du mit der Zeit, dann nimmst du dein Leben als Mass aller Dinge; dein Arbeitswerkzeug ist dein Körper. Ich setze auch die Zeit oft als Werkzeug ein, dass etwas rissig wird, zum Beispiel. Ich lasse es zu, dass die Zeit sich manifestiert – Erinnerungsspuren hinterläßt. Ob das jetzt ganz langsam vor sich geht, wie bei einem Riss, oder ganz schnell wie bei einer Zärtlichkeit, die Zeit ist Material, das wir einsetzten.

? Das habe ich mir noch nicht so vor Augen geführt: dass Zeit bei Filmen zum Beispiel eine große Rolle spielt, oder so, ist klar, aber in der Malerei….?

Eines der Hauptthemen der Malerei ist die Zeit. Der Körper des Künstlers ist sein Instrument und der Kopf gehört zu diesem Körper. Ein Bild, das ich vor Jahren einmal gemalt habe, hiess: der Maler ohne Kopf. Nicht ohne Kopf, weil er kopflos ist, sondern, weil man den Kopf nicht sieht. Weil man ihn quasi von hinten sieht und er auf dem Boden malt, hat er wegen der Perspektive keinen Kopf. Mir hat dabei aber die Vorstellung gefallen, dass da einer ohne Kopf, ohne Ideen malt, aber dabei etwas malt, das Ideen hervorbringt. Nicht die Ideen bringen Kunst hervor, sondern die Kunst bringt Ideen hervor. Und ich habe zum Scherz öfter gesagt: das Denken ist in der Malerei und in der Kunst im allgemeinen, was die Zigaretten beim Sex sind: man kann davor und danach rauchen, aber nicht währenddessen …..

? Wir sind jetzt nach Mallorca gekommen, um dich zu treffen, ist es für deine Arbeit eigentlich wichtig, dass du auch noch hier arbeitest?

Das ist der Ort, an dem ich geboren bin. 6 Kilometer von hier entfernt – da gegenüber, ich kenne die Gegend gut. Ich habe in den USA gelebt, in Afrika, in Italien und in Frankreich – aber ein Atelier auf Mallorca habe ich immer gehabt. Für diese Arbeit, die so mit der Erde verbunden ist, ist das wichtig. Ich sehe das auch politisch, weil ich ja diese verruchte Baumaterial verwende, das zu dieser katastrophlen wirtschaftlichen und ökologischen Situation geführt hat, die wir derzeit erleben.  Aber das Material an sich ist unschuldig. Deshalb kann ich das hier besser machen als sonstwo auf der Welt. Dieser Ort liegt ganz nahe bei meinen Wurzeln und ich entdecke immer mehr, dass ich das, was mich umgibt für die Arbeit brauche: die Tiere, die Pflanzen…die Erbsen wachsen zu sehen ist für mich aufregender, als zum Beispiel die neueste Ausstellung von Dalí im Centre Pompidou zu sehen.