EXPO 2015 Mailand – Stefano Boeri


Gespräch mit Stefano Boeri anlässlich Expo 2015 Mailand

Bildschirmfoto 2015-06-02 um 22.00.06IM: Wir haben uns diese Woche schon auf der EXPO getroffen. Sie waren ja einer der Ideengeber, einer der Weisen, die ursprünglich die EXPO vorbereitet haben. Auch wenn die EXPO jetzt nicht so geworden ist, wie ihr euch das vorgestellt habt, bleibt die Weltausstellung trotzdem eine große Chance für Mailand, hat sie die Stadt weitergebracht, oder ist es eher eine verpasste Chance?

Stefano Boeri: Es ist auf jeden Fall eine Chance für Mailand, weil die Welt in die Stadt kommt. Ausserdem ist es eine Ausstellung, bei der es um Ernährung geht und da steht Mailand einfach für herausragende Esskultur . Aus Sicht der Welt ist diese EXPO also ein sehr wichtiges Event.

Was uns betrifft, wir hätten gerne eine andere Expo gehabt. Eine EXPO, die weniger kommerzielle Produkte ins Blickfeld rückt und den Architekturwettstreit der Pavillons, sondern sich mehr auf das Thema konzentriert, also die Welternährung. Eine Ausstellung, die erzählt, wie aus landwirtschaftlichen Produkten Essen wird, und den Umgang mit Lebensmitteln auf der ganzen Welt, eine EXPO, die viel mehr mit einer direkten Erfahrung der Landschaft zu tun gehabt hätte. Aus dieser Perspektive glaube ich, dass der österreichische Pavillon ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie unsere EXPO hätte aussehen können.

IM: Man hat sehr viel öffentliches Geld in deise EXPO investiert, mehr als eine Milliarde Euro, dient dieses Geld auch ein wenig zumindest dazu, das städtische Leben in Mailand zu verbessern, oder hat man das einfach in diesen Weltjahrmarkt gesteckt und nach sechs Monaten ist dann alles vorbei?

SF: Ein großes städtebauliches Projekt hat man im Zuge der EXPO realisiert: das war die Wiedergewinnung des Hafenbeckens im Navigli Viertel, eine Art Binnenhafen in Mailand; diese Gegend war 10 – 15 Jahre dem Verfall preisgegeben und jetzt dank der Gelder, die über die EXPO geflossen sind, konnte man dieses Areal wieder aufwerten. Dann, schauen wir einmal. Für mich ist ausschlaggebend, was gleich nach der EXPO mit diesem Areal passieren wird.

Das macht uns Kopfzerbrechen, weil wir gesehen haben, was mit den EXPO Gegenden in Hannover, Zaragoza oder Sevilla passiert ist. Weltausstellungen hinterlassen oft Ruinenlandschaften. Die wirklich große Herausforderung der kommenden Monate für Mailand wird sein, zu verhindern, dass ab 1. November da nur mehr Ruinen zurückbleiben.

IM: Gibt es dafür schon Ideen, wie man das vermeiden kann?

SB: Wir hatten eine sehr genaue Vorstellung davon bei unserem Projekt. Wir wollten das Areal zum Teil als botanischen Garten erhalten. Es sollte zu einem großen Park mit Nutzpflanzen werdenIch glaube, was man jetzt noch machen kann, ist ein Mix: diese Idee eines Parks so weit wie möglich erhalten mit dem, was von den EXPO Pflanzungen übrig bleibt, dann gibt es eine Anfrage der Uni Mailand, ob sie einen Campus dorthin verlagern können, und man könnte einen Park der Biodiversität dort anlegen. Diese drei Komponenten könnten schon ein sinnvolles Projekt ergeben.

IM: Gibt es dafür nicht schon zu viel Beton auf dem Areal?

SB: Na ja, ich wünsche mir, dass man dieses Stück Boden, der ja einmal auch landwirtschaftlich genutzt wurde, respektiert. Und dass man das Thema berücksichtigt, das ja Landwirtschaft heisst.

IM: Was bräuchte Mailand städtebaulich gesehen vielleicht eher als eine Weltausstellung?

SB: Man muss die Periferien aufwerten. Wir haben ein sehr reiches Zentrum mit einer enormen Dichte an aussergewöhnlichen Werten, sowohl architektonischen als auch kulturellen, als auch historischen. Rundherum aber git es die Periferie, die nicht einmal weit weg ist, weil Mailand eine kleine Metropole ist – und in diesen Periferien gibt es viel Armut, es gibt Gegenden, die vernachlässigt werden und verfallen, ohne Infrastruktur; die wirkliche Herausforderung der nächsten Jahre ist, diese Gegenden aufzuwerten und das Leben der abertausenden Menschen, die dort leben, zu verbessern. Dann gibt es andere große Themen: Verkehr und Grünräume. Ich glaube, dass Grün in der Stadt nicht nur zur Verschönerung dient! Pflanzen schonen die Ressourcen, grüne Dächer etwa speichern Wasser, reduzieren die Temperatur, garantieren das Überleben diverser Tierarten. Das alles liefern Parks und Gärten aber auch Bauten wie diese zwei Türme. Hier schaffen wir auf einer sehr sehr kleinen Oberfläche, die positiven Auswirkungen von ganzen Wäldern. Hier haben wir das Äquivalent von 2 Hektar Wald auf einer Grundfläche von 1.500 Quadratmetern.

IM: Diese Frage wollte ich gerade stellen, ob das nur ein schönes Statement hier in der Stadt ist, gut für die Augen, bei all dem Glas und Stahl, den man in der Umgebung sieht, oder ob dieser „vertikale Wald“ auch positive Auswirkungen auf die Umwelt hat.

SB: Die Bewertung, die von der Jury in Frankfurt gemacht wurde, die dieses Gebäude dann als besonders innovativ aus einer Reihe von 800 Hochhäusern ausgezeichnet hat, bezog sich genau auf diesen Punkt: der Pionierleistung, die dieses Gebäude darstellt, eine neue Beziehung zwischen Natur und Gebautem, zwischen Natur und Stadt hergestellt zu haben. Die Erklärung ist sehr einfach: in den kommenden Jahren werden wir es uns nicht mehr erlauben können, in die Breite zu wachsen. Die Städte wachsen, aber wir werden es uns nicht mehr leisten können, dabei wertvollen landwirtschaftlichen Boden oder Natur zu zerstören. Das gilt auch nicht nur für Europa, sondern auch für die großen Stadträume in Asien oder Lateinamerika, wir müssen uns also überlegen, wie wir innerhalb der existierenden Stadtgrenzen wachsen können. Das bedeutet in vielen Fällen, wir müssen in die Höhe wachsen. Aber in die Höhe wachsen, heisst nicht unbedingt nur, Riesenkubaturen aus Beton und Glas zu bauen, die die Sonne reflektieren, die anderen Lebenwesen keinen Raum geben, die die Luftqualität nicht verbessern. Das hier ist ein Experiment. Wir versuchen dabei in die Höhe zu wachsen, aber damit auch gleichzeitig ein Stück Natur ins Zentrum einer großen Stadt wie Mailand zu bringen.

IM: Das wirklich große neue städtebauliche Projekt in Mailand war genau diese Gegend hier, Porta Nuova, gab es da noch eine andere Idee dahinter, als nur ein weiteres Luxusquartier zu bauen?

SB: Die Ursprungsidee der Stadt war, hier einen Park anzulegen. 2004 gab es hier einen Wettbewerb für einen öffentlichen Park. Ich war damals Präsident der Jury. Gewonnen hat ein Team von Architekten und Landschaftsarchitekten unter Petra Blaze „inside/outside“, Holländer und ich hoffe, dass dieser Park hier bald realisiert wird! Rundherum hat der US amerikanische Developer Hines eine Reihe von Bauten in Auftrag gegeben, mit der Idee, die Stadtgeschichte Mailands weiterzuschreiben. Dieses Stück Land hätte nach dem 2. Weltkrieg das Verwaltungszentrum Mailands werden sollen, also mit Hochhäusern. Begonnen hat Gió Ponti mit dem Pirelli Turm da hinter mir, dann gab es weitere. Was wir jetzt gemacht haben, mit dem Unicredit Tower, dem höchsten Gebäude Italiens derzeit den Hochhäusern da drüben und diesem Vertikalen Wald“ ist, eine Geschichte weiterzuschreiben, die unterbrochen worden war. Diese Wolkenkratzer bieten Wohnungen, Büros, Geschäftsräume udn ich glaube, der Wert dieses neuen Viertels besteht darin, Stadtteile miteinander zu verbinden, die seit Jahrzehnten voneinander getrennt waren.)

IM: Mailand macht den Eindruck, eine sehr moderne Stadt zu sein, offen für die jeweils zeitgenössische Architektur – ist es einfacher hier in Mailand zu bauen, als in anderen italienischen Städten?

SB: Nein, ich würde sagen, nein! Mailand ist eine sehr spezielle Stadt, die Neues immer mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Auch wenn – ich denke öfter an die Torre Velasca, dieser Turm war in den 50er Jahren ein gewagtes Experiment: ein Gebäude, das auf sehr engem Raum hinaufwächst und sich dann oben erweitert. Es gab also Innovationen in Mailand, aber man muss sagen, auch Mailand hat nicht viel zeitgenössische Architektur. Porta Nuova, dieses Viertel hier, ist eine Ausnahme. Allerdings stimmt auch, dass jetzt in einer Zeit der großen Krise, Mailand vielleicht die italienische Stadt ist, die heutiger Architektur am offensten gegenübersteht. Wenn wir nur an die Namen der Architekten denken, die gerade hier beschäftigt sind von Rem Koolhaas über Cesar Pelli, von Arata Isozaki bis Zaha Hadid, Daniel Libeskind, David Chipperfield, Kazuyo Sechima, Renzo Piano – dann haben wir die Weltarchitektur jetzt in Mailand.

IM: Sie haben einmal für das Bürgermeistermeisteramt in Mailand kandidiert, können Architekten eventuell die besseren Bürgermeister sein?

SB: Ich glaube, dass Politik heute immer mit der Verwaltung von Räumen zu tun hat. Jede Art von Politik, auch die Finanzpolitik der Regionen zum Beispiel, Kulturpolitik, Integrationspolitik – all das hat mit der Verteilung von Raum zu tun: Mauern, Plätze, Bauten – ob man sie errichtet, abreisst, renoviert … ihnen eine Verwendung gibt. Es gibt also eine Kompetenz, die die Architektur der Politik anbieten kann. Das habe ich damals verstanden, als ich Kulturstadtrat in Mailand war.

IM: Das Motto der EXPO, um noch einmal kurz zurückzugehen, ist: die Welt nähren. In gewisser Weise kann auch die Architektur die Welt „nähren“. Welche Rolle kann die Architektur da spielen, wenn sie nicht nur grundlegende Bedürfnisse erfüllen soll – man lebt schliesslich ja auch nicht nur von Brot alleine.

SB: Architektur muss Symbole schaffen, muss die kollektive Fantasie einer Stadt beflügeln. Hier zum Beispiel sind wir in einem Gebäude, das der Kulturgeschichte viel verdankt. Hundertwasser zum Beispiel, er war 1972 hier in Mailand, um hier sein Manifest über das Zusammenleben von Bäumen und Menschen zu vorzustellen, Josef Beuys hat 1982 in Kassel 7000 Steine gegen 7000 Eichen eingetauscht, wir haben in der itailenischen Architektur der 70er Jahre die Suche nach einer neuen Beziehung von Stadt und Natur. All das hat Entwürfe wie diesen hier symbolisch „genährt“. Die Architektur nährt sich aus Fragmenten der Kultur, der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Auseinandersetzung, der Traditionen, produziert Formen, die bleiben und die dann selbst wieder Ausgangspunkte für neue Projekte werden. Wir sind in diesem Sinne „Allesfresser“ und sehr neugierig. Das ist die Grundvoraussetzung, um gute Architektur zu machen.

IM: Sie leben und arbeiten seit langem in Mailand – was gefällt ihnen an der Stadt?

SB: Mir gefällt, dass sie klein ist, aber viel bietet: großartige Universitäten, eine grandiose Modelandschaft und Designwelt, ein funktionierendes Gesundheitswesen, die beste Verlagsszene in Italien …. aber die Stadt ist kleine und man ist schnell irgendwo. Dann gefällt mir, dass es eine diskrete Stadt ist, eine Stadt, die ausserordentliche Qualitäten hat, ein wunderbares kulturelles Erbe, aber sie hat deshalb keinen Hang zum Exhibitionismus. Man muss sie entdecken wollen und das braucht ein bisschen Zeit. Das hält vielleicht den schnellen Toursimus auf Abstand, zieht aber neugierige Besucher an, die sich einlassen wollen. Es geht dabei mehr ums Erforschen, denn um den schnellen Konsum.