Der Jetzt-Fanatiker. Zur Person Gerhard Rühm

In den 1950er Jahren haben er und seine Freunde von der „Wiener Gruppe“ das Land ganz schön aufgemischt. Als das Provozieren noch geholfen hat, schaffte es der 1930 geborene Künstler Gerhard Rühm auf die Chronikseiten der Zeitungen: mit Klavierzertrümmerungen und ungebührlichen Versen, die ihn zum Mordverdächtigen machten. Dabei würde man diesem stets korrekt gekleideten und frisierten Herrn die Lust am Verstören nicht ansehen – was die Wirkung wohl noch erhöht.

Gerhard Rühm ist ein Mehrfachbegabter, wenn man das große Wort „Universalkünstler“ für zu pathetisch hält – angebracht wäre es allemal. Als singender Literat, schreibender Künstler, zeichnender Musiker und das alles noch einmal durchgemischt, hat Rühm, prominentes Mitglied der „Wiener Gruppe“, ein kaum zu überblickendes Werk geschaffen. Immer im Visier: das Jetzt, das Gegenwartserlebnis, schwarzmakabren Humor und das lustvolle Spiel mit Wörtern, Linien, Noten. Darüber ist er 87 Jahre alt geworden und macht einfach weiter. Sein jüngstes Album „sprechtexte/melodramen/chansons“ hat er soeben erst aufgenommen.

Im Reich der Striche und Schatten. Zur Person William Kentridge.

 
William Kentridge, Jahrgang 1955, ist der bekannteste Künstler Südafrikas. Aber Schublade kann aus dieser Zuschreibung keine werden, denn Kentridges Engagement ist schlicht universell. Er übt sich in den verschiedensten Genres von Zeichnung, Animationsfilm, Performance, Theater bis Oper und setzt sich mit überzeitlichen, menschlichen, allzu menschlichen Themen auseinander: Zeit, Gewalt, Scham, oder wie wir ständig dabei sind, aus allem Sinn machen zu wollen: Spuren im Sand, Wolken am Himmel.

Das macht den Spross einer jüdisch-litauischen Familie, die nach Südafrika emigriert war, zum genussfreudigen Melancholiker und „vorsichtigen Pessimisten“. Seine Animationsfilme sind gezeichnet, Kohlestift auf Papier, und immer schwarz weiß. Der Radiergummi, der auslöscht, ist dabei gleich wichtig wie der Stift, der Dinge entstehen lässt. Menschen auf der Wanderschaft. Flucht? Vertreibung? Totentanz?

Trotz ihrer Schlichtheit fällt man schnell hinein in diese Welt. Präsent in den wichtigsten Museen, vertreten auf Kunstweltschauen wie der Documenta oder bei Festivals wie den Salzburger Festspielen in diesem Sommer, ist William Kentridge der Antikunst Dada verpflichtet und schätzt das schöne Scheitern. Denn hätte er es als Maler, Schauspieler, Filmemacher und Dirigent geschafft, wäre er heute nicht der Universalkünstler, der er ist …

Demokratie-Verständnis: Romeo Castellucci

„Democracy in America“ bei den Wr. Festwochen
In seinem jüngsten Stück untersucht der italienische Theaterberserker Romeo Castellucci die Regierungsform der Demokratie.

Speziell „Die Demokratie in Amerika“ frei nach dem Buch des französischen Denkers aus dem 19. Jahrhundert. Brennende Aktualität bekommt diese Arbeit durch die herrschenden Hang zum Populismus in demokratisch regierten Staaten wie den USA, aber auch in Europa. Warnte de Tocqueville doch bei aller Verneigung vor der Demokratie auch vor einer möglichen „Diktatur der Mehrheit“. Castellucci lässt sich auf gewohnt poetische Weise auf das Thema ein und lässt in seinen so drastischen wie schönen Bildern viel Gedankenspielraum.

Der kulturMontag spricht mit Romeo Castellucci über den Unterschied zwischen griechischer und US amerikanischer Demokratie, die Bedeutung der Kunst in der Politik, Religion und Frauen im Aufstand gegen das System.

Kunst-Fest: Die Biennale von Venedig

Kunst-Fest: Die Biennale von Venedig

Die Mutter aller Biennalen, jene von Venedig, geht heuer in die 57. Runde und verspricht ein Fest der Künste.
„Viva Arte Viva“, also „es lebe die Kunst“ ist das Motto, das Christine Macel, die französische Chefin der Weltkunstschau, ausgerufen hat. Doch reicht es, wenn sich die Kunst in Zeiten globaler Krisen selbst feiert?
Wären nicht explizit politische Positionen gefragt? Nein, gerade jetzt sei es wichtig, sich auf das Potential der Kunst zu konzentrieren, unterstreicht Macel. Denn anstatt das System, die Politik und den Kapitalismus zu kritisieren, sei es zielführender zu beobachten, wie Künstler_innen die Ärmel hochkrempeln und Probleme lösen.

Dafür hat sich die Chefkommissärin 120 Künstler_innen geholt, ein Großteil von ihnen präsentiert sich zum ersten Mal auf der Biennale. Zu der Handvoll „big names“ zählen der Island-Däne Olafur Eliasson und der Brasilianer Ernesto Neto. Mit einer zentralen Arbeit von Franz West ist nur ein einziger Österreicher in der Hauptausstellung repräsentiert.

Nachdenklicher als zuletzt, konzentriert auf das Essentielle und Zeitlose, hat Macel diese internationale Werkschau konzipiert. 86 nationale Pavillons in den Giardini und zahllose Kunstevents rund um die Biennale verwandeln Venedig – das gewöhnlich nicht mit Zeitgenossenschaft glänzt – temporär zur Welthauptstadt der Gegenwartskunst. Im Österreich-Pavillon stellt Erwin Wurm einmal mehr Sehgewohnheiten auf den Kopf.

Auch wenn die Biennale keine Verkaufsausstellung ist, findet hier doch so manches Werk einen neuen Besitzer, der Marktwert von Künstler_innen kann hier rasant in die Höhe schnellen. Über den Verkaufswert eines Kunstwerks wird dann am Pool des Luxushotels Cipriani oder in Edelboutiquen der Stadt diskutiert.
Mit Claudia Teissig.

Hot-Spot: Kunstmetropole L.A.

Über die Filmmetropole, die ihr erstes Kunstmuseum erst in den 1960er-Jahren aufgesperrt hat, ist der Kunsthype hereingebrochen. Kunstschaffende und Kunstinteressierte sind nach L.A. gekommen, um zu bleiben. Milliardäre bauen sich Ausstellungshäuser, fähige Museumsdirektoren erweitern Raum und Angebot, europäische Topgalerien haben sich an der Westküste angesiedelt, um ihren Künstlern und Käufern den Weg an die Ostküste oder nach Europa zu ersparen.
Die Kunstwelt in Los Angeles ist im Aufbruch. Der kultur.montag war in Los Angeles, dem neuen Berlin: attraktiv für Künstler, Sammler und hippes Volk wie die deutsche Hauptstadt in den 1990er-Jahren.

Buchstabenakrobat, Bildermacher, Glücksforscher. Zur Person Stefan Sagmeister.

Es gibt kein Material, das vor ihm sicher ist. Da werden 250.000 Eurocent-Münzen zu Schrift, oder aber auch gefüllte Kaffeebecher, Kakteen oder Schnittwunden am eigenen Körper. Stefan Sagmeister ist Grafikdesigner und Künstler – und immer im Totaleinsatz.
Das Guggenheim Museum beansprucht seine Dienste genauso wie der Fernsehsender HBO, Adobe, die Rolling Stones oder David Byrne und Brian Eno. Für die Gestaltung von Musikträgern hat Sagmeister schon zwei Grammys bekommen, alle anderen relevanten Designpreise sowieso. Seine Ausstellung im Wiener MAK über das Glück war eine der bestbesuchten in der Geschichte des Museums.
Sein Lebens- und Arbeitsmotto war auch auf großen Fotos im Museum zu lesen: „Having guts always works out for me“ – „mutig sein, bringt es für mich immer“. Natürlich Wort für Wort mit anderen Mitteln „geschrieben“: Stoffbahnen auf Bäumen oder riesige Holzbalken werden zu Buchstaben, das „me“ wurde aus zwei Kartenhäusern geformt.
Der von Kolleg/innen oft als „Popstar unter den Grafikdesignern“ Bezeichnete bringt sich gerne selbst ins Spiel und befriedigt damit Begehrlichkeiten von Auftraggebern genauso wie sein persönliches Bedürfnis, die Welt, Lebenserfahrungen oder Ergebnisse seiner Glücksforschung ins Bild zu setzen. So, dass man hinschauen muss. Sein Studio in New York kann sich längst aussuchen, mit welchen Kunden es zusammenarbeiten will. Und alle sieben Jahre ist es für ein Jahr geschlossen. Wenn ein Sabbatical ansteht, so wie jetzt wieder, kann da kommen, wer will – und sei es Barack Obama. Stefan Sagmeister macht dann vorerst einmal Pause – heuer in Mexico City, wir haben ihn dort besucht.

Interview harrt noch der Transkription / Interview is waiting to be transcribed.

Georgia O’Keeffe – Die Knochensammlerin

Vor genau 100 Jahren hatte sie ihre erste Ausstellung in New York und wuchs bald zum Superstar. Sehr ungewöhnlich für eine Frau und Amerikanerin.
Picasso, Matisse, Braque und bald Duchamp – lauter Männer aus Europa dominierten die Kunst. Heute ist ihr Gemälde „Stechapfelblüte/weiße Blume Nr. 1“ das teuerste Bild, das jemals von einer Künstlerin versteigert wurde (35,5 Millionen €) und ihre große Restrospektive in der Londoner Tate Modern diesen Sommer eine der erfolgreichsten der letzten Jahre. Georgia O’Keeffe ist längst eine Ikone, auch eine Kitschikone – ihre Blumenbilder haben schließlich in der sehr demokratischen Form des Posters Karriere gemacht. Aber diese Frau ließ sich schon immer schwer auf EIN Bild reduzieren.

Edmund de Waal

Edmund de Waal Festspiele im heurigen Herbst. Er veröffentlicht ein neues Buch, in dem er sich auf den Weg zu den Ursprüngen des Porzellans macht: „Die weisse Straße“ und er kuratiert eine Ausstellung über die Dunkelheit, Albträume und die Nacht im Kunsthistorischen Museum und zeigt seine Porzellanvitrinen im Kunsthaus in Graz.

Bei unserem Gespräch in London in seinem Studio und im Victoria & Albert Museum erzählt er von seinen Leidenschaften: Porzellan, die Farbe weiß, die Dunkelheit in der Arbeit von Albrecht Dürer, die seiner Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Inspiration war, Rhythmen, Wiederholungen, Passionen, Macht, Gedichte …

Stadtporträt Havanna – Warten auf den Wandel.

mit Johann Kneihs und Thomas Mießgang

Plötzlich wollen alle hin. Jahrzehntelang gab die kubanische Hauptstadt das Bild der verfallenden Schönen, unverdorben vom kapitalistischen Weltgeschehen, arm aber stolz, kultiviert und ach so musikalisch! Jetzt, nach ersten Schritten zur Lockerung des US-amerikanischen Handelsembargos, das die Insel seit Jahrzehnten im Schwitzkasten gehalten hat und der Möglichkeit für die Habaneros, eigene kleine Restaurants oder Läden zu eröffnen und damit an „richtiges“ Geld heranzukommen – jetzt bewegt sich langsam etwas unter der Staubdecke der immerwährenden Revolution. Ausländische Investor/innen stellen sich an, um die Segnungen der Zivilisation in Form von Hotelanlagen, Golfplätzen und Ferienressorts in die einstige „Perle der Karibik“ zu bringen. Viele Kubaner/innen dagegen hoffen auf wirtschaftlichen UND politischen Wandel. Denn nach wie vor sind Meinungsfreiheit und Menschenrechte ein heikles Thema, das öffentlich nur sehr zaghaft diskutiert wird. Trotzdem: Man riecht karibische Frühlingsluft in der kubanischen Hauptstadt, die Millionen Touristen bisher so geschätzt haben, weil sie eben mit keiner anderen Großstadt der Welt vergleichbar war: keine Logos, keine internationalen Ketten, dafür Schlitten aus einer Zeit, in der Automobile noch Charakter hatten. Koloniale Pracht und städtebaulicher Notstand Tür an Tür. Kommen jetzt zeitgenössische Glas-Beton-Wolkenkratzer dazu? Wohin entwickelt sich Havanna? Die Momentaufnahme einer Stadt am Beginn einer neuen Ära.