Diagonal von Wien nach Triest: Die Triester Straße

Die „Triester Straße“ und ihre vielschichtige, aspektenreiche Charakteristik: Vom multiplen Industriestandort zu ebenso multiplen Luxushotels, eine Geschichte der Fuhrwerke und Kutschen, dann von Konzernen wie Steyr Daimler Puch ebenso wie von Ford und Opel, Gefährte der Urlauberinnen wie auch der Gastarbeiterfamilien. Mit viel Aufwand wurde über Jahrhunderte hinweg diese Verkehrsverbindung in den Süden gebaut, gepflegt und verändert.

Wie kam es zu all diesen forcierten Anstrengungen um eine vorgeblich schlichte Verkehrsverbindung? Im Jahr 1719 wird Triest von Kaiser Karl VI zum „Freihafen“, also quasi zu einer Zollfreizone erklärt und damit zum kommerziell wichtigsten Seehafen des Habsburgerreiches. Das klingt heute selbstverständlicher, als es 1719 war: Ausgebaute Häfen gab es in Fiume alias Rijeka und in Venedig, nicht aber im damals kleinen Triest, Aber vielleicht hat diese Entscheidung historische Gründe der Loyalität: Triest ist seit 1382, und damals auf eigenen Wunsch hin, um sich vor den Venezianern besser beschützt zu fühlen, in der einen oder anderen Form Teil des Habsburgerreiches. Das verbindet. Nach der Ernennung zum Freihafen beginnt die gezielte Planung und der Ausbau der Straßenverbindung zwischen Wien und Triest als Handelsroute, als „Reichsstraße“, also vom Staat zu erhaltende Straße. Auch beim Anlegen dieser Straße spielten Loyalitäten, beziehungsweise befürchtete Unverlässlichkeiten offenbar eine Rolle. Rein von der Landkarte und der Hafengröße her hätte die Landverbindung von Wien zum Meer wohl über das flache Westungarn in den ausgebauten Hafen von Venedig führen müssen. Aber die Habsburger-Administration wollte sich weder in die Hände der Venezianer noch der Ungarn begeben und entschied sich für den direkten, verkehrstechnisch viel schwierigeren Weg über Berg und Tal, von der steilen Semmeringauffahrt bei Schottwien und dem slowenischen Karst samt dem wilden Wind Bora und dann hinunter nach Triest.

Aber beginnen wir in Wien. Ins Blickfeld kommt am Wienerberg in Favoriten gleich ein bunter, klassizistischer Wasserturm aus 1899 linkerhand, rechterhand eine original gotische Votivsäule, die „Spinnerin am Kreuz“. Bald erinnert ein kleiner Obelisk und auch ein größeres Denkmal am Straßenrand an die erste reichsweite Landvermessung ab dem Jahr 1762, im anschließenden Tal sieht man wiederum linkerhand den als „75er“ bezeichneten, ebenso viele Meter hohen, alten Fabriksschlot. Historische, steinerne Meilensteine stehen immer wieder einmal am Straßenrand, und schließlich ragt dann, kurz vor Ende dieses Radio Road Movie, ein richtig hoher Obelisk am Abhang des Karstgebirges in den Himmel. Eine ebenfalls richtig hohe Kirche im besten Brutalismus-Stil der 60er Jahre erhebt sich als Monte Grisa am selben Hügel. Dahinter aber glitzert und glänzt jetzt plötzlich das Meer. Unten im Hafen ragt noch etwas gen Himmel: Der riesige, alte, schwimmende Kran „Ursus“ firmiert heutzutage fast als Wahrzeichen jener Stadt, der wir uns im Radio Road Movie genähert haben, der Stadt des alten Freihafens Triest.

All die erwähnten Säulen, Türme, Schlote und Obelisken stehen links und rechts der „Triester Straße“, die natürlich nicht überall so heißt, weil das beispielsweise  in Triest nicht viel Sinn ergeben würde. Dort kann man dreisprachig lesen: „Strada per Vienna, Dunajska Cesta, Wienerstrasse“. All das lässt erahnen, dass eine Straße und insbesondere diese legendäre Straße, die seit 1719 generalstabsmäßig konzipiert wurde, nicht einfach nur mit Verkehr zu tun hat.

Sie strotzt nur so vor industriellen, religiösen, versorgungstechnischen, künstlerischen, geographisch vermessungstechnischen Aspekten. Solchen Aspekten ist „Diagonal“ am Ö1 Thementag auf der Spur, um der Triester Straße facettenreich radiophone Bilder zu schenken. Und wenn wir nicht nur hochaufragende Monumente wie Türme und Obelisken in Betracht ziehen, erweitert sich das Spektrum gleich noch, und sei es in pures Freizeitvergnügen: Gleich noch in der Nähe von Wien fährt man auf der Triester Straße erstaunlicherweise an einem „Ozean“ vorbei, einem traditionellerweise so genannten Badeteich bei Guntramsdorf. Auf der „brettlebenen“ und schnurgeraden Neunkircher Allee wurden ebenso leidenschaftlich Autorennen und Motorradrennen gefahren, wie auf den Bergkurven den Semmering hinauf. Südlich von Frohnleiten findet man eines der verkehrstechnisch skurrilsten und leider verfallenden Baudenkmäler der historischen Triester Straße: Weil es im Tal zwischen der Mur und einer Felswand an einer längeren Stelle zu schmal für sowohl Eisenbahn als auch Straße war, ließ die „k. k. Südbahn“ 1844 die sogenannte „Badlwandgalerie“ errichten. Im Erdgeschoß der „Galerie“, eine Art serielle Bogenkonstruktion, dampften die Züge zwischen Triest und Wien hin und her, auf der Galerie, also direkt darüber, fuhren die Fuhrwerke und später Autos.

Insgesamt ergab sich generalstabsmäßig geplant folgende Route: Von der sogenannten Deliquentenkapelle in Wien über den Wiener Berg und den Semmering nach Bruck an der Mur, über Graz und Spielfeld nach Marburg alias später Maribor, dann Cilli alias Celje. An Laibach/Ljubljana führte die von Wien aus konzipierte Triester Straße übrigens ebenso knapp und schnurgerade neben dem Zentrum vorbei wie in Graz, um Zeitverlust durch barocken Stauverkehr in den historischen Stadtzentren zu vermeiden. Heute liegen natürlich in beiden Städten diese schnurgerade Straßenabschnitte recht nah am Zentrum. Weiter geht es durch ausgedehnte Sümpfe in Slowenien und schlussendlich über Adelsberg/Postojna und den finalen Karstabhang, der verkehrstechnisch besonders schwierig zu überwinden war, hinunter in die Hafenstadt Triest. Jahrhundertelang mussten diese circa 500 Kilometer auf unasphaltierten Schotterstraßen mit Pferdekutschen überwunden werden. In die Entwicklung von Triest investiert wurde von den Nachkommen Karls VI bruchlos: Unter Maria Teresia entstand das Borga Teresiano und zur Zeit von Joseph II das Borgo Giuseppino.

Natürlich gab es auch Ideen zu alternativen, zumindest bequemeren, wenn auch nicht schnelleren Reisemöglichkeiten. Schon kurz nach 1800 wird ein Kanalsystem eröffnet und für Jahrzehnte auch professionell benutzt, das von „Wien Landstraße“ aus über viele Schleusensysteme schwere Fracht mit der Unterstützung durch bloß ein einziges Pferd Richtung Süden und retour transportieren konnte. Heute heißt diese in weiten Teilen noch immer existierende Wasserstraße „Wiener Neustädter Kanal“, weil genau bis dorthin hat es dieser elegante, schmale Kanal geschafft, gebaut zu werden. Weiter nicht, weil da war dann bald die Eisenbahn übermächtiger Konkurrent. Durchgängig gebaut zu werden, hat es nämlich ein anderes Projekt geschafft. Der in Italien geborene Carlo Ghega, jener Ingenieur, der Mitte des 19. Jahrhunderts die über den Semmering führende Südstrecke der Eisenbahn konzipierte und umsetzte, schuf eine funktionierende Bahnverbindung zwischen Wien und Triest. Damit wurde schön langsam nicht nur für den Kanal, sondern auch für die historische Triester Straße als essenzieller Transportweg alles anders. Pferdewechselstellen, Poststationen und Postojnas, also Einkehrgasthöfe, wurden langsam überflüssig und verschwanden dutzendweise. Und die Gegenwart? Die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen fokussieren sich wiederum auf den Hafen. Aber nicht auf den alten Hafen in Triest, sondern auf den neuen Tiefwasserhafen westlich des alten Zentrums. Triest ist zu einer der weltweit zahllosen Hafenstädte geworden, die im Netzwerk der chinesischen, maritimen „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. Lieferungen von China nach Europa zu bringen, geht, wenn nicht gerade irgendwo am Weg Krieg herrscht, via Suezkanal, Triest und Eisenbahn um circa 10 Tage schneller, als auf anderen Routen. 33 statt 43 Tage braucht die Ware von Shanghai nach München oder Wien.

(Text: Christian Scheib)