Caetano Veloso und Brasilien wohin?

Brasilien wohin?
Das politische und musikalische Engagement des Caetano Veloso
Seit 1. Jänner regiert der Rechtspopulist Jair Bolsonaro das größte und wohl mächtigste Land Lateinamerikas.
Laut Umfragen erwarten sich rund zwei Drittel der Brasilianer mit seiner Wahl eine gute Präsidentschaft. Doch seit seiner Amtsübernahme klaffen die Wahrnehmungen auseinander.
Bolsonaro hetzt gegen Frauen, Homosexuelle und ethnische Minderheiten. Indigene Völker hat er mit „Zootieren“ verglichen. Ihre Schutzgebiete sind bedroht, seit der Ex-Militär an der Macht ist.
Künstler bezeichnet er als „vagabundos“, als Schmarotzer, die nur Fördergelder absahnen, um ihren Schund zu produzieren. Über sein Lieblingsmedium Twitter verkündete Bolsonaro: „Die Kulturförderung wird erhalten bleiben, aber für talentierte Künstler.“ Schon am zweiten Tag seiner Präsidentschaft schaffte er somit kurzer Hand das Kulturministerium ab. Ein symbolischer Akt, um Kulturschaffende mundtot zu machen?
Denn die meisten Künstler Brasiliens stellten sich schon im Wahlkampf gegen Bolsonaro, darunter die international bekanntesten Musiker des Landes, Gilberto Gil, Caetano Veloso und
Schon als junge Männer waren sie im Widerstand gegen Brasiliens Militärdiktatur, die von Bolsonaro bei jeder Gelegenheit verteidigt wird.
Gemeinsam mit 300 Künstlern, Intellektuellen und Wissenschaftlern unterzeichneten sie das Manifest „Demokratie, ja“. Bolsonaro sei eine „Gefahr für das zivilisatorische Erbe Brasiliens“, hieß es darin, man müsse die Toleranz verteidigen.
Einer der einflussreichsten Künstler ist der Sänger, Komponist und Liedermacher Caetano Veloso. Er revolutionierte die „Musica Popular Brasileira“ und kreierte gemeinsam mit Gilberto Gil den sogenannten „Tropicalismo“.
Im vergangenen Herbst warnte er eindringlich vor einer neuen Welle von Angst und Hass, die durch den neuen Rechtsruck in seiner Heimat entsteht.
Im Interview in Rio de Janeiro erzählt Caetano Veloso vom Kulturkampf in Brasilien und von seiner Europa-Tournee, die ihn gemeinsam mit seinen Söhnen Moreno, Zeca und Tom auch Ende Juni nach Wien ins Konzerthaus führen wird, um sein neues Album „Ao Vivo Ofertorio“ vorzustellen.

35 Jahre Diagonal

Ein glamouröser Betriebsausflug aus gegebenem Anlass hätte dem aktuellen Sendungsteam wohl gefallen. Vielleicht in die Avenida Diagonal in Buenos Aires. Lange Zeit schon hängt ein Plakat an unserer Redaktionstür im Funkhaus – darauf zu sehen: das Bild eines Supermarktes in dieser Straße. Darunter der Schriftzug: „Supermarché Diagonal“. Diagonal, der Radio-Bauchladen – wie passend.
Eine Sendung mit Peter Waldenberger, Johann Kneihs, Christian Scheib sowie Wolfgang Kos und Michael Schrott

HERstory. Die andere Geschichte der letzten 500 Jahre

Geschichte ist männlich. Ein Glück, wenn man auf Millionen Seiten (!) der Geschichtsschreibung auch Frauennamen findet – abgesehen von den paar Herrscherinnen, die herrschen durften, weil es keine männliche Alternative gab. Seltsam, waren doch schon immer an die 50% der Menschheit weiblich. Kann es sein, dass sie nichts beigetragen haben zu Wissenschaft, Kunst, Literatur, Gesellschaft, Politik, diese Frauen? Die Wahrheit ist freilich eine andere: man muss nur die weiblichen Spuren freilegen. Erst vor nicht langer Zeit hat man damit begonnen, jetzt ist es sogar eine Art Trend: Ausstellungen und Bucherscheinungen widmen sich den Errungenschaften des „anderen Geschlechts“. Diagonal widmet sich mit diesem ersten Teil einer losen Reihe den „Alternative Truths“ – jene nämlich, die da sind, aber nicht gesehen werden. Denn, gegen den Strich interpretierte Fakten können ein völlig neues Bild der Welt ergeben. Warum also nicht die Perspektive wechseln? Diagonal betrachtet die Neuzeit aus weiblicher Perspektive. Mit einem aus Fakten destillierbaren Blick, der abweicht, erweitert, sich von Tradiertem unterscheidet. Es lohnt etwa ein Fokus auf die umsturzgetriebenen Jahrzehnte zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert, zwischen Feudalismus und aufkeimendem Bürgertum, zwischen Barock und Klassik, Aufklärung und Revolution, zwischen den zu Lebzeiten berühmten Malerinnen Artemisia Gentileschi und Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun, den Wissenschafterinnen Emilie du Chatelet und Margaret Cavendish, den Komponistinnen von Maddalena Casulana Mezari über Barbara Strozzi zu Lili Boulanger und einigen Frauen mehr – alternative Wahrheiten, die wir schleunigst in unser konventionelles Geschichtsbild einbauen sollten.

Die dunklen Jahre sind vorbei. Stadtportrait Bogotá

Die dunklen Jahre sind vorbei. Diagonal-Stadtporträt Bogotá. Eine Sendung von Ines Mitterer und Johann Kneihs

Die Bombe, die in einer Polizeischule der kolumbianischen Hauptstadt am 17. Jänner 21 Menschen tötete, kam unerwartet. Denn seit dem historischen Friedensvertrag mit der Guerillabewegung FARC im Jahr 2016 war Bogotá aufgeblüht: mit neuem Leben auf Straßen und Plätzen, in den historischen Gassen, in den hippen Cafés, Parks und Grünräumen der Metropole hoch oben in den Anden auf 2.640 Metern Seehöhe. Anders als das benachbarte Venezuela, aus dem aufgrund der prekären politischen und wirtschaftlichen Lage, eine Million Menschen ins Land geflüchtet sind, entwickelt sich Kolumbien mit seiner Hauptstadt Bogotá deutlich in Richtung besseres Leben. Die neue Bombe, der Rebellengruppe ELN zugeschrieben (was deren Führung aber bestritt), war eine Erinnerung an eine düstere Vergangenheit: Ein halbes Jahrhundert lang hatte Bürgerkrieg geherrscht; Kämpfe um die Vorherrschaft im Drogenhandel und die Gewalt der Kartelle machten Kolumbien zusätzlich gefährlich. Inzwischen soll die Hauptstadt dagegen eine der sichereren des Kontinents sein, und inzwischen sogar ein attraktives Reiseziel.In anderem erscheint Bogotá aber als typische lateinamerikanische Metropole: Rasantes Wachstum innerhalb weniger Jahrzehnte, auf derzeit acht Millionen Einwohner in den Stadtgrenzen und elf Millionen im Großraum kennzeichnet sie ebenso wie ein enormes Verkehrsproblem, vorübergehend gelindert durch die Einführung des Expressbusses Transmilenio auf eigenen Spuren. Die sozialen Probleme der Stadt sind räumlich klar geordnet: im Norden die wohlhabenden Vierteln, im Süden die ärmlichen. Die Konflikte in den Regionen Kolumbiens haben Hunderttausende Menschen in städtische Elendsviertel getrieben. Emigranten und Emigrantinnen auch aus nicht-spanischsprachigen Ländern haben das kulturelle Leben in Bogotá mitgestaltet. Am bekanntesten wurde der litauischstämmige Bürgermeister Antanas Mockus, der in seinen Amtszeiten die gesellschaftliche Modernisierung mit unkonventionellen Methoden vorangetrieben hat. Unter ihnen sind aber auch der Architekt und Stadtplaner Karl Brunner so wie 526 weitere Österreicher/innen in der Zeit zwischen 1934 und 1942. Nach dem „Anschluss“ war Kolumbien eines von wenigen Ländern, die Flüchtlinge aus Österreich aufgenommen haben.

Der Maler Mark Rothko in Wien

Der Maler Mark Rothko in Wien
Sie ziehen alle Blicke von Ausstellungsbesuchern auf sich – die leuchtenden, farbintensiven und großformatigen Gemälde von Mark Rothko.
Nie waren seine Arbeiten in so geballter Form in Österreich zu sehen, jetzt zeigt das Kunsthistorische Museum vierzig seiner wichtigsten Werke und bietet einen Überblick über das gesamte Schaffen des 1970 verstorbenen Künstlers.
Mark Rothko, der in seiner Kindheit mit seinen Eltern aus Lettland in die USA emigriert war, hat sich zeitlebens mit der Kunst der Vergangenheit auseinandergesetzt, hat Europa bereist und die alten Meister von Michelangelo bis Rembrandt eingehend studiert.
Die Ausstellung im KHM macht die radikale Entwicklung Rothkos sichtbar – von frühen figurativen Arbeiten hin zu seinen großformatigen abstrakten Farbfeld-Bildern.
Unterstützt wurde Kurator Jasper Sharp von Christopher Rothko, dem Sohn des Malers, der wichtige Leihgeber auf der ganzen Welt für diese Schau gewinnen konnte.

Die große Leere (im Kopf) – Zum Thema Vergessen

Das Wort, der Name, die Zahl – weg, einfach weg. So, als wären sie nie da gewesen. Vergessen. Auch die menschliche Festplatte Gehirn ist eben einmal voll und ohne unser Zutun wird gelöscht. Durchaus auch unsere Erinnerung an Diagonal Sendungen. Hatten wir das Thema „Vergessen“ schon einmal? Grundsätzlich gilt: Was uns egal ist, wird nicht gespeichert. Je emotionaler desto weniger wahrscheinlich vergessen wir ein Erlebnis, und unser Gehirn speichert lieber Positives als Negatives. Daher werden „alte“ Zeiten gerne zu „guten alten Zeiten“.

Haben viele deshalb vergessen, welche Konsequenzen politisches Handeln haben kann, etwa die Begeisterung für starke Führer, fundamentalistischen Nationalismus, wildgewordene Finanzmärkte? Könnte uns ja an schlechte alte Zeiten erinnern. Aber: vergessen! Vergessen, erkannte der Soziologe Niklas Luhmann, ist jedenfalls ein ganz normaler sozialer Mechanismus, und sah darin sogar „die Hauptfunktion des Gedächtnisses“, damit sich ein System durch einmal gewonnene Erkenntnisse nicht selbst blockiert. Wir schauen, was, wer, warum vergisst und versuchen andererseits Menschen, Geschichten, Ereignisse dem Vergessen zu entreißen.
Ähmmmm, war da noch was?

Von Goethe bis Google – Zum Thema Übersetzen

Wir haben an dieser Stelle schon lange nicht mehr Goethe zitiert. Das ist ein guter Moment. „Denn was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr“. Heute mehr denn je. Trotz globaler Kommunikation in der einen, weltbeherrschenden Verkehrssprache Englisch. Google Translate, der größte automatische Übersetzungsanbieter, bekanntlich kein Verein zum Schutz der Artenvielfalt, vermittelt zwischen 103 Sprachen, wird heftig genutzt und dadurch auch immer besser. Babel Fish, eine der ersten Webanwendungen zur automatischen Übersetzung von Texten, hatte den hübscheren Namen, aber den kürzeren Atem, hatte jahrelang für ungefähre Übersetzungen und viel Erheiterung gesorgt und wurde dann eingestellt. Ein Werkzeug zum ungefähren Verstehen, aber immerhin. Auch wenn das Übersetzungsprogramm deepL sich soeben anschickt, neue Maßstäbe des automatisierten Übersetzens für zumindest einmal sieben Sprachen zu etablieren. Geht es um bestmögliches Verständnis, dann bedarf es komplexer Strukturen, und die finden sich noch immer im menschlichen Gehirn. Dem der Übersetzerin, dem des Übersetzers. Geht es doch nicht darum, Wörter oder Sätze von einer Sprache in eine andere zu tragen, sondern die ganze Kultur gleich mit. Und die muss man geschmeckt, gerochen, erlebt haben. Übersetzungen liefern wichtige Informationen, aber sie führen auch hinein in das Leben und Denken der anderen, zur Erweiterung des eigenen Horizonts. Ein wichtiges, würdiges und unter Umständen sogar sinnliches Geschäft. Wer wollte Goethe da nicht recht geben?

Noam Chomsky – Linguist. Anarchist. Popstar.

Er war über Jahre die meist zitierte lebende Person der Welt. Noam Chomsky, geboren 1928, selbst ernannter Anarchist, für die Linken genialer Querdenker, sprichwörtlich „rotes Tuch“ für alle anderen. Begründet hat er seinen Ruf noch als Revolutionär in seinem Fach, der Linguistik. Mit der Auffassung, dass wir Sprache lernen, indem wir angeborene Fähigkeiten entfalten. Sprache gehöre nach Chomsky zum genetischen Programm des Menschen. Und der Spracherwerb, egal welcher Sprache, folge einer Art Universalgrammatik. Das Herausdestillieren ihrer Gesetze, ihre mathematische Formalisierung machte ihn zum Vater der Computerlinguistik und Grundlagenlieferanten der maschinellen Sprachübersetzung. Aber damit wird keiner zum Superstar. Wesentlich wirkungsmächtiger in der großen Öffentlichkeit wurde Noam Chomsky als politischer Aktivist, als wortstarker Kritiker, der die Mächtigen mächtig zu nerven weiß. So nennt er derzeit die Republikaner unter Trump „the most dangerous organization in world history“. Von den Anti-Vietnamkrieg-Protesten in den 60er Jahren bis zu Occupy Wall Street – auf Chomskys kantige Begleitung der Kritik an Globalisierung, USA, Massenmedien ist Verlass. Manchmal greift er daneben, wenn er die Meinungsfreiheit von Holocaust – Gegnern verteidigt, oft aber trifft er den Kern der Sache. Zwei Stunden Diagonal reichen wohl gerade für eine Skizze.

Die Schönheit ist ein wildes Tier. Kunst und Ästhetik

Sie ist beglückend. Und gefährlich. Sie kann einen unvermutet anspringen und niederringen. Sie lässt sich nicht zähmen und in kein ideologisches Gehege sperren – jedenfalls nicht, wenn sie Wahrhaftigkeit für sich beansprucht: Die Schönheit, sie ist ein wildes Tier. Im Rahmen des Themenschwerpunkts Schönheit der ORF-Kultur nimmt Ines Mitterer diesen Gedanken auf.
Sie klärt, warum ausgerechnet die Schönheit so lange aus den Schönen Künsten gebannt worden war. Sie recherchiert, wie uns die Schönheit vor der Wirklichkeit retten und warum sie uns Herzrasen und Atemnot verursachen kann.
Und sie fragt nach, ob die Schönheit in der Kunst tatsächlich gerade eine so machtvolle Wiederkehr erlebt, wie das manche behaupten.
Die berühmten Uffizien in Florenz. Die Schönsten sind hier beheimatet – Meisterwerke von Michelangelo, Raffael und natürlich: Botticellis Venus.
Eike Schmidt, Direktor der Uffizien, der nächstes Jahr in die Chefetage des Kunsthistorischen Museums Wien übersiedeln wird, hat immer wieder erlebt, dass Leute angesichts so viel Schönheit in Ohnmacht gefallen sind. Vom Stendhal-Syndrom spricht in diesem Zusammenhang die Wissenschaft. Fehlt nur noch der Sicherheitsaufkleber an den ikonografischen Werken: Vorsicht, zu viel Schönheit kann Ihrer Gesundheit schaden…
Kunst, die so sehr strahlt, dass sie blendet, das Gehirn vernebelt, einem die Sinne raubt, war nach 1945, spätestens in den 1960er-Jahren tabu. Es galt, dem Kunst- und Schönheitsbegriff der Nazis mit ihrem mörderischen Rassenwahn und ihrem Hass auf die Moderne etwas entgegenzusetzen.
Dabei hatten die Wegbereiter der Moderne durchaus Schönes im Sinn – zumal in Wien. Josef Hoffmann, Koloman Moser und Mitstreiter wollten unter dem Dach ihrer Wiener Werkstätte in Schönheit baden – und Kunst und Alltag miteinander verschmelzen. Auch die Wiener Sezessionsbewegung sah in der Schönheit und in der Wirkkraft der Künste eine quasi-esoterische Heilkraft für die Gesellschaft.
Und heute? Die Schweizerin Pippilotti Rist will der Schönheit huldigen, Ólafur Elíasson fordert, die Schönheit zurückzuerobern. Und selbst die Mannen der durchaus provokanten Künstlertruppe Gelatin suchen ganz unironisch nach der Schönheit. Zu Wort kommen in dieser Dokumentation unter anderen auch noch Günter Brus, Konrad Paul Liessmann, die Kunsthistorikerin Bernadette Reinhold und der bereits erwähnte Eike Schmidt. Schauplätze sind Wien, Rom, Florenz und Berlin.
Ein Projekt von Ines Mitterer und Walter Reichl.
(Text: Michael Meister)