Ins Netz gegangen – Diagonal zum Thema Spinnen
22.02.2025
Moderation: Ines Mitterer Regie: Nicole Dietrich
Anfang ist gemischt: Sign.: Musik (Rerendered – für einen Pianisten und zwei Assistenten) OT Spinnen Farben Formen Anfang rätsel JM: Es wird ja immer so geglaubt, dass es alles braune, große, haarige Tiere sind. Die gibt es auch, aber es gibt sie in allen möglichen Farben. Also braun ist eher die Ausnahme. Also sehr viel ist die Kombination schwarz orange. Ich habe sogar eine zu Hause, sie hat quasi blaue Zähne. Also das sind die, die fangen, klauen, schimmern in so einem Azurblau. Also es gibt alles mögliche an Farben dort und auch in den Formen, die sie haben, auch je nachdem wo sie leben, ob sie im Boden leben oder auf Bäumen leben. Da ist auch der Körperbau komplett, also nicht komplett anders. Aber man sieht schon große Unterschiede, ob die eher so plump sind oder so eine langgezogene Form haben da. Wenn man sich ein bisschen mit befasst, dann sieht man schon sehr große Unterschiede. Also so auch per Augenschein.
Musik:
Mod.: Worum es sich da wohl handeln könnte? 8 Beine, 8 Augen – das sind die Konstanten. Sonst gibt es unter den Spinnen so viele Erscheinungsformen wie Arten: 48.000. Gelb/schwarz gestreift, die Vespenspinne, ähnliche Farbgebung, aber behaart, die Zebra-Springspinne, groß, pelzig mit blitzblauem Visier rund um die 4 Augenpaare – schaut aus wie ein niedliches Plüschtier – die Springspinne Maratus Personatus und so weiter und so weiter.
Autor Jan Mohnhaupt, der zuvor zu hören war, hat dem großen Krabbeln und Stelzen und Springen und Saugen ein neues Buch gewidmet: „Von Spinnen und Menschen – eine verwobene Beziehung“ heisst es.
Wenige Lebewesen haben ja, –ausser der Schlange vielleicht – die Fantasie der Menschen, im Guten wie im Angsterfüllten so angeregt wie die „Arachnida“, die Spinnentiere. So mancher erschreckte Schrei wird in dieser Sendung zu hören sein, aber auch viel Erstaunliches über Netze, Fäden, widerspenstige Frauen, kunstvolle Weberinnen, Sex und Mütter, Eros und Thanatos. Das ganze bunte Leben eben.
MK: Ins Netz gegangen. Diagonal zum Thema Spinnen. Den elastischen Faden durch die Sendung zieht Ines Mitterer.
Mod.: Wenn das zoologische Interesse für die eigentümlichen Tiere und ihre Lebensweise eher jüngeren Datums ist, also vielleicht 150 Jahre alt, ist die Spinne als Bild und Symbol in Mythologien und Fiktionen ein Renner seit der Antike. Meist steht sie für „das Andere“ – auch das „andere Geschlecht“ – und wird so gleich zum bedrohlichen Wesen. Spinnenforscher und -filmer Horst Stern:
Zitat Horst Stern »Weder kann der Mensch Spinnen vermenschlichen, wie er es oft mit höher organisierten Tieren tut, noch kann, umgekehrt, eine Spinne den Menschen vertierlichen, ihn zum sozialen Kumpan machen, wie dies bei vielen Säugetieren im Umgang mit uns zu beobachten ist. Spinnen sind exklusiv, von uraltem erdgeschichtlichen Adel.«‚
Mod.: Und: sie lassen sich weder zähmen noch für menschliche Projekte einspannen wie die Bienen. Vor hundert Millionen Jahren gab es auf der Erde schon Spinnentiere, die mehr oder weniger so ausgeschaut haben, wie heute. Sie sind also lange ohne den lästigen Menschen ausgekommen, der jetzt oft so viel Angst hat vor den eleganten Jägerinnen mit den acht Beinen. Oder zumindest Gefühle des Ekels oder des Grauens. Das ist wohl rein kulturell bedingt: anderswo verehrt man die Spinne als göttliche Botschafterin zwischen Himmel und Erde, oder verspeist sie als Snack am Markt. Und: gerade in unseren Breiten bräuchte man sich nicht zu fürchten, weil es doch kaum Vertreterinnen ihrer Art gibt, die gefährlich sind. Insgesamt sind es nicht einmal ein Dutzend, deren Biss für den Menschen Folgen haben kann. In Europa kommen sie so gut wie gar nicht vor. Abneigung und Grauen sind aber da – bis zur Phobie, Arachnophobie, die zu den häufigsten Phobien zählt. Frauen sind davon übrigens fünfmal häufiger betroffen als Männer.
Die fürchten sich wiederum mehr vor dem, was die Spinne symbolisiert: nämlich ein selbstbestimmtes und mächtiges weibliches Wesen, das auch nicht davor zurückschreckt, ihren Partner nach dem Sex zu frühstücken. Das Inhaltsverzeichnis:
MK: Spinnenfrauen, Spiderman und die monströse Tarantula
Mod.: Die Filmindustrie bedient sich genüsslich an der Symbolkraft der Spinne: als bedrohliches Monster, ungezähmte Femme Fatal oder heimtückische Jägerin ziert sie so manchen Horrorfilm. Hannah Balber hat sich mit dem Kulturphilosophen Thomas Ballhausen Spinnen-Filme angeschaut.
MK: Acht Beine und zwei Boxhandschuhe
Mod.: Wie sieht man mit 8 Augen? Wie steht es wirklich um den Spinnensex?
Zitat aussaugen IHVZ
Mod.: …. und was steht bei diesen Tierchen eigentlich so auf dem Speiseplan? Lothar Bodingbauer hat die Spinne gemeinsam mit Christoph Hörwig, dem Kurator der Spinnensammlung am Naturhistorischen Museum, biologisch unter die Lupe genommen.
MK: Mutter und Kannibalin. Nachtangst und Schauerromantik
Mod.: Nicole Dietrich folgt den seidenen Fäden und elaborierten Gespinsten der Spinne in Kunst und Literatur, fährt etwa mit Sybilla Merian nach Surinam oder steht unter der riesenhaften Spinnenskulptur „Maman“ von Louise Bourgeois in Bilbao.
MK: Geheime Netzwerke und all die „Spinner“, die daran glauben
Mod.: In seiner Geschichte über das Spinnennetz als Metapher für geheime, verschwörerische Erzählungen, zitiert Kaspar Arens auch Jan Mohnhaupt:
OT Spinnen Verschwörung für IHVZ. Wenn man sich den Aufbau anschaut, dieses wenn man gerade vom Kreuz Spinnennetz ausgeht von diesem Radnetz. Das hat vor allem zu diesem Aspekt der Verschwörung und des Ränkespiel geführt, dass man sagt, die Mächtigen sitzen auch irgendwie im Netz und haben alles unter Kontrolle. Und die Untertanen oder die die Opfer. Wir wissen gar nicht, wie ihnen geschieht.
Mod.: Da werden frisch, fröhlich Intrigen gesponnen – und der unschuldigen hinterrücks Spinne angedichtet.
MK: Kleinmöbel und Musik
Ein Gespräch mit Jan Mohnhaupt mäandert durch die Sendung und der argentinische Architekt und Künstler Tomás Saraceno erzählt von seiner Zusammenarbeit mit Spinnen als Künstlerinnen und Öko-Botschafterinnen im Ausstellungsraum. Er ist ausserderm fasziniert von ihrer Wahrnehmung der Welt über die Schwingungen ihres Netzes …. Die musikalischen Schwingungen erzählen heute mehr über den faszinierenden Aspekt der Arachniden als dem menschlichen Grauen davor. Und in Diagonals Feinem Musiksalon gegen dreiviertel 7, präsentiert Kaspar Arens das jüngste Album von „_BY.Alexander“ „Memories for Sale —AT—> 66 Greene St Soho NY“. Das sind unverkennbar The Cure mit einem Wiegenlied, das dann doch wieder ziemlich unheimlich ist …. Lullaby!
MUSIK: The Cure – Lullaby (Remastered)Vorl: 1.01ab 3.10 kann man problemlos aussteigen
Mod.: Der immer hungrige Spiderman aus der Sicht von The Cure. In Kambodscha sollen wiederum die Menschen hungrig sein nach Spinnenfleisch: da werden in manchen Gegenden Vogelspinnen gesammelt und nach dem Entfernen der Kieferklauen frittiert. „So zubereitet, gelten gebratene Spinnen am Straßenrand oder auf Märkten als Leckerbissen und Snack“, lese ich im Netz…..
Diagonal heute zum Thema Spinnen.
OT Mohnhaupt schlechter ruf und freaks IM: Herr Mohnhaupt, Sie haben eine verwobene Beziehung von Spinnen und Menschen geschrieben, ein Buch über eine sehr lange Geschichte, die über weite Strecken doch eine Geschichte der Abneigung, des Grauens, des Schmähens und des Diffamieren ist. Warum hat dieses arme Tier so einen schlechten Ruf? … bei dieser Annahme, dass man sagt, gerade Menschen, die ein bisschen sonderbar sind, dass die dann eben solche Tiere auch halten, das ist ja dann eher eher auf Männer zugeschnitten.
SPIN Spinfluencer Psychologie agressive Spinne
Das ist der junge Deutsche Deniz Soruklu, auf Tictoc und Youtube besser bekannt als Codadrea – ein „Spinnfluencer“ mit Millionenpublikum. Es folgt ihm gebannt, wie er in seiner Kellerwohnung mit den vielen Terrarien mit doch eher respekteinflössenden Tieren hantiert: münzgroßen Springspinnen mit riesigen Glupschaugen, hellbraunen Kamelspinnen mit erschreckenden Beißzangen, der prachtvollen pelzigen Blauen Ornamentvogelspinne…
SPIN Spinnfluencer Vogelspinne rausnehmen
Mod.: Deniz Soruklu lebt mit insgesamt 200 Spinnen zusammen, … er weiß viel darüber und gibt das gerne weiter. Sein Ziel: aufklären, die Angst nehmen – man kann sich bei ihm auch von Arachnophobie heilen lassen – und: die Spinnen vor der Verfolgung durch den Menschen schützen.
SPIN Spinfluencer spinne aus mexico weibchen lebt länger warmes klima
SPIN Spinfluencer Geheimnis Lola zurück ins Terrarium
Mod.: Nachdem Lola jetzt wieder sicher verstaut ist, wenden wir uns kurz der Heteropoda davidbowie zu und lassen ihren Namensgeber gleich Musik machen. Die Heteropoda davidbowie ist eine Webspinne aus der Familie der Riesenkrabbenspinnen, lebt in den Regenwäldern von Malaysia bis Sumatra und ist tatsächlich nach David Bowie benannt, weil das gelb-schwarze Farbkleid der Männchen ihren Entdecker und Erforscher, Peter Jäger, an Bowies Alter Ego „Ziggy Stardust“ erinnert hat…..
MUSIK Ziggy Stardust – David Bowie
Mod.: Ziggy Stardust and the Spiders from Mars. Der deutsche Arachnologe Peter Jäger hat seinen Spinnentdeckungen auch andere Popstarnamen gegeben um über die berühmten NamensgeberInnen und -geber vielleicht etwas mehr positives Interesse für die Tiere zu generieren: so finden sich auf dieser Welt, wenn man genau schaut, auch noch eine Aphonopelma johnnycashi, die Männchen sind ganz schwarz, eine Heteropoda ninahagen oder Heteropoda udolindenberg ist eine rötlich-braune Spinne aus Bukittinggi auf Sumatra. Das zeigt, dass immer noch neue Arten entdeckt werden – besonders eifrig von deutschen Arachnologen. Zurück zur Heteropoda davidbowie, wie es sich gehört, die Spinne unter den genannten, die am exzentrischsten ausschaut, weil Ziggy Stardust dafür Pate gestanden ist.
Damals 1972 hat David Bowie dieses Alter Ego angelegt als ausserirdische Retterfigur in einer Atmosphäre der Präapokalypse auf der Erde …. Bis ein Spiderman oder eine Spiderwoman sich jetzt um unsere aktuelle Rettung bemüht, müssen wir noch einige Abenteuer bestehen.
Zitat Simone de Beauvoir
»Die Frau, die auf eigene Hand ihre Reize nutzt als Abenteuerin, als Vamp oder als ›femme fatales, bleibt ein beunruhigender Menschentyp. In der Intrigantin der Hollywood-Filme lebt noch die Gestalt der Circe fort. Frauen sind als Hexen verbrannt worden, einfach weil sie schön waren, und in der prüden Verkrampfung der Provinztugendwächterinnen leichtlebigen Frauen gegenüber schwingt noch ein uraltes Grauen mit. […] Das hegende, ergebene, geduldige Weibchen hat sich in ein gieriges, reißendes Tier verwandelt. […] An die Stelle des Mythos von der fleißigen Ameise, der mütterlichen Glucke tritt nun der von dem alles verzehrenden Insekt, der Gottesanbeterin, der Spinne.«
Gefährliche Frauen – respektive bedrohliche Spinnen. Ein Höllenritt! Hannah Balber begleitet uns dabei.
Spinnen im Film / Balber9.00
MUSIK: Nightwish – Spider SilkVorl: 01.02langsam raus bei 3.30
Mod. drüber: Hannah Balber war ausführlich im Kino unter anderem mit dem Kulturphilosophen Thomas Ballhausen. Und die finnische Symphonic Metal Band „Nightwish“ spinnt diesen Faden jetzt fort: Spider Silk.
MUSIK: hoch
Mod.: Ins Netz gegangen – Diagonal heute zum Thema Spinnen. Und, was Sie immer schon über Spinnen wissen wollten und nicht zu fragen wagten, erfährt jetzt Lothar Bodingbauer von Christoph Hörweg mitten unter hübschen Präparaten im Naturhistorischen Museum in Wien.
Beitrag: Die Spinne zoologisch /Bodingbauer11.42
Mod.: Lothar Bodingbauer war zu Besuch im Naturhistorischen Museum und mit Spinnenwissen geht es weiter – musikalisch. Ramm Tamm Tilda „Lied der Spinne“
MUSIK: Lied der Spinnen – Ramm Tamm TildaVorl. 0.37bei 3.44 spätestens raus
Mod.: Lied der Spinnen…. Es ist eine Spezialität des christlichen Abendlands, in der Spinne den Teufel auf Erden zu sehen, ein hinterhältiges gemeines Biest, häßlich und weiblich! – andere Kulturen sehen in der Spinne auch Mittlerinnen zwischen Himmel und Erde und Weberinnen….. Jan Mohnhaupt, unser kundiger Gesprächspartner heute, läßt die Spinne in seinem jüngsten Buch manchmal für sich selbst sprechen.
Zitat Indien:
So gilt in vielen Kulturen die Webkunst als weibliches Können. Und wer hat sie ihnen beigebracht? Ich natürlich. So erzählen es sich etwa die Menschen hinduistischen Glaubens. Ich brachte ihnen das Weben von Kleidung bei, schützte sie vor Mücken sowie Fliegen und bin ihnen Mittlerin zwischen Himmel und Erde. In den Upanishaden, den philosophischen Schriften des Hinduismus, die Menschen vor mehr als 2500 Jahren in Indien schufen, stehe ich für das Kommen und Gehen, indem ich morgens den Weltenschleier Maya webe, um ihn nachts wieder in mich aufzunehmen. Maya ist die Welt, wie sie den Menschen erscheint. Mein Netz steht für die kosmische Ordnung, symbolisiert in der geometrischen Form des Mandala.
Mohnhaupt positiv + Zitate Südamerika und Afrika
Zitat Hopi:
Die Hopi im Südwesten der USA nennen mich die Spinnen-Frau, sie verehren mich als ihre weise, weibliche Helferin in der Not. Zudem glauben sie, dass ich »die große Weberin allen Lebens« sei. Vor langer Zeit, so sagen sie, erschuf ich aus dem Nichts die vier Himmelsrichtungen, indem ich feine Silber-fäden wob, mit denen ich erst Osten und Westen, dann Norden und Süden miteinander verband. Anschließend setzte ich mich selbst ins Zentrum. Dort stimmte ich den großen Schöpfungsgesang an und gebar zwei Töchter. Diese wiederum erschufen aus Muscheln und Steinen Sonne und Mond; und ich formte aus Ton die ersten Menschen. Diese waren noch durch einen dünnen Faden am Scheitel mit mir verbunden. So schickte ich sie hinaus in die Welt, damit sie dort in Frieden lebten.
MUSIK: Tarantella di San Michele / Neapolis Ensemble Vorl. 0.49 ab 3.50 kann man aussteigen
Mod.drüber: Ach hätte doch auch weiterhin die gute Spinnenfrau das Sagen gehabt und nicht der strenge Rächergott – die Welt würde vielleicht anders ausschauen…..
Die Besessenheit mancher neapoletanischer Tänzerinnen und Tänzer hat man sich lange als Wirkung eines Tarantelbisses erklärt – andererseits soll die Tarantella auch von Tarantelgift heilen – wie man es braucht!! Tarantella di San Michele ….
MUSIK: Tarantella di San Michele hoch
Mod.: Die Tarantel ist eine Großspinne, etwas kleiner als die Vogelspinne, sie lebt auch nur halb so lang, hat aber größere Augen und sieht so nachts besser. Die Apulische Tarantel zählt den Echten Webspinnen und verdankt ihren Namen dem Ort Tarent/Taranto imsüditalienischen Apulien. „Getauft“ wurde sie von dem schwedischen Naturforscher Carl von Linné höchstpersönlich.
Johann Gottfried Herder, wenige Generationen später, romantischer Dichter und Philosoph, schwärmt:
Zitat Johann Gottfried Herder »Welche feine Elastizität hat der Faden einer Spinne! Und die Künstlerin zog ihn aus sich selbst, zum offenbaren Erweise, daß sie auch in ihren Trieben und Kunstwerken eine wahre Künstlerin sei, eine kleine Weltseele.«
Mod.: Jan Mohnhaupt sitzt noch bei uns im Studio, er hat vor kurzem ein Buch über die verwobene Beziehung von Spinnen und Menschen veröffentlicht und liest daraus auch am 10. März im Haus des Meeres in Wien. Herr Mohnhaupt, die Menschen waren ja immer fasziniert von diesem Produkt der Spinne, dieser Spinnenseide, die sie auch immer wieder versucht haben für menschliche Zwecke einzuspannen, was sind denn die Eigenschaften dieses Fadens, welche Ideen, ihn zu nützen gibt es und was ist das Geheimnis dahinter, dass wir bis jetzt noch immer nicht herausgefunden haben, was diese Spinnseide so widerstandsfähig, so elastisch, so besonders macht??
SPIN Gespräch Mohnhaupt seidener Faden (….besser verdauen können)
Mod.: Ein paar Fakten noch dazu: Der Faden einer Spinne ist 50 bis 100 mal dünner als ein menschliches Haar, aber viel elastischer; er ließe sich auf eine Länge von 80 Kilometern !!! dehnen, bevor er zerreisst. Stärker als Stahl und doch so zart. Die multifunktionale Spinnseide – auch sie findet ins Reich der Metaphern, wenn etwa das Leben am seidenen Faden hängt, das Wesen, das sich abseilt, nichts als Leere vor sich sieht. Sören Kierkegaard kennt sich damit aus:
ZITAT Sören Kierkegaard – Spinnengleichnis (Versionen Wanka/Tschernek) S.21
Was wird kommen? Was wir die Zukunft bringen? Ich weiß es nicht, ich ahne nichts. Wenn eine Spinne von einem festen Punkt sich in ihre Konsequenzen hinabstürzt, so sieht sie stets einen leeren Raum vor sich, in dem sie nirgends Fuß fassen kann, wie sehr sie auch zappelt. So geht es mir; vor mir stets ein leerer Raum; was mich vorwärtstreibt, ist eine Konsequenz, die hinter mir liegt. Dieses Leben ist verkehrt und grauenhaft, nicht auszuhalten.
Mod.: In der bildenden Kunst und der Dichtung besetzen die wendigen Gliederfüßer und ihre Netze einige prominente Plätze, inspirieren Vorstellungen von sowohl Unbehagen als auch Schutz, Unberechenbarkeit und Elastizität. Angeregt von – unter anderem – Lothar Müllers schmalem, launig zu lesenden Naturkunden-Band über „Spinnen“ hat Nicole Dietrich ein paar Fäden aufgegriffen aus dem verworrenen, weit aufgespannten Netz von kulturellen Deutungen und künstlerischen Darstellungen.
Beitrag: Die Spinne als Symbol in Mythos, Philosophie, Kunst und Literatur / Dietrich14.30
Mod.: Nicole Dietrich hat dieses kunstvolle akustische Netz gewoben. Louise Bourgeois stand am Anfang ihrer Erkundungen und sie, die Künstlerin mit der Mutterspinne hat den Briten Jowe Head zu dieser Hommage inspiriert – inklusive Spinnenmotiv natürlich: A Song for Louise Bourgeois
MUSIK: Jowe Head – A Song for Louise Bourgeois
Gespräch Mohnhaupt Verschwörung
Mod.: Die böse Spinne, die intrigant ihre Netze spinnt und dann auf arme Opfer wartet, um sie auszusaugen, ist ein Motiv, das sich durch so manche Verschwörungserzählung zieht. Kaspar Arens hat sich durch das klebrige Gespinst gewühlt.
Beitrag: Verschwörungstheorien / Arens12.26
Mod.: Über Menschen, die spinnen – nämlich Lügengeschichten – hat Kaspar Arens nachgedacht.
O süße Mutter / Ich kann nicht spinnen / Ich kann nicht sitzen / Im Stüblein innen / Im engen Haus; / Es stockt das Rädchen / Es reißt das Fädchen / O süße Mutter / Ich muß hinaus …
Hugo Wolf, Die Spinnerin. Elisabeth Schwarzkopf leiht ihr die Stimme:
MUSIK: Hugo Wolf – Die Spinnerin
Mod.: Hugo Wolf, die Spinnerin – diejenige, die Garn produziert, Erzählungen spinnt, umgarnt. Der zeitgenössische Künstler, der sich wohl am meisten mit Spinnen beschäftigt, ist der in Deutschland lebende Künstler und Architekt Tomás Saraceno. Er bringt Spinnen in Terrarien in die Ausstellungsräume der Londoner Serpentine Gallery, dem Museo de Arte Moderno in Buenos Aires oder dem Palais de Tokyo in Paris und läßt sie Kunstwerke spinnen, die faszinierend anzuschauen sind. Bei einer Ausstellung, der im Palais de Tokyo,hat er einfach den Spinnen, die schon da waren, weiter Raum gegeben und den Putzleuten verboten, die Spinnweben zu entfernen. Er ist fasziniert davon, wie Spinnen, die trotz ihrer 8 Augen nicht so prächtig sehen, zu Informationen kommen. Da spürt die Spinne ja ganz viel über ihr Netz, wie darf man sich das denn vorstellen, Herr Mohnhaupt?
Gespräch Mohnhaupt Saraceno: Ja, ganz genau. Also gerade die Spinnen, die große Netze bauen oder überhaupt auch ihre ihre Umwelt über über den Tastsinn und über Erschütterungen wahrnehmen. … Das kommt dann wahrscheinlich schon eher unserem Sehvermögen nahe, wobei wir auch nicht wissen, wie das ist, mit acht Augen zu sehen.
Mod.: Tomás Saracenos Spinnwebenkästen sind sehr schön anzuschauen, aber die Ästhetik steht dabei nicht im Mittelpunkt – er rät dazu, sich von den Spinnen, die so viel mehr an Welterfahrung haben als die Menschen etwas abzuschauen, in unserer aktuell so prekären ökologischen Situation.
OT Saraceno – ask the spiders and their webs
VO Köppel Oft bekomme ich die Hilfe von den Spinnen und ihren Netze. So wie in der Kosmologie, dieversucht, über den Ursprung des Universums nachzudenken und Analogien in diesem dreidimensionalen Spinnennetz findet, wie sich das Universum direkt nach dem Urknall gebildet hat. Also, viele Dinge, die ich nicht weiß, frag ich die Spinnen und ihre Netze
MOD: Erzählt Tomás Saraceno in einem BBC Interview anläßlich seiner großen Ausstellung in der Serpentine Gallery in London. Um so viel wie möglich von den Spinnen zu lernen, scannt Saraceno deren Netze, versucht sie nachzubauen und so den Ausstellungsbesuchern ein Gefühl zu geben, wie das wohl wäre, wenn man im Netz hängt. All das gemeinsam mit der interdisziplinären Recherche-Gemeinschaft Arachnophilia, deren Arbeit man unter diesem Namen auch im digitalen Netz findet – eine Zusammenarbeit mit vielen Akteuren, mit afrikanischen Spinnenorakel Interpreten, dem deutschen Arachnologen Peter Jäger, genauso wie mit dem MIT in Boston oder der TU Darmstadt. Ein weltumspannendes Netz.
OT Saraceno – think within the web
VO Köppel Wie könnte man über das Spinnennetz nachdenken, wenn es keine Spinne gäbe? So wie über Henne oder Ei. Es ist auch ein bisschen modisch heute, darüber nachzudenken, ob das Gehirn des Tieres auf seinen Kopf beschränkt ist oder wie sehr sich das Gehirn in Beziehungsnetzen erweitert. Und in diesem Fall argumentieren viele und das ist auch Teil meiner Studien, wie man ihre Fähigkeit, innerhalb des Netzes zu denken, überhaupt erkennen kann. Und die Parallele dazu wäre die Frage: Wie sehr kann sich der Mensch vom Planeten abtrennen? Sier wissen, wir denken ja immer, dass wir unabhängig sind. Und heute, mit dem Klimawandel und den Umweltkatastrophen, mit denen wir konfrontiert sind, kann man die Dinge nicht mehr trennen. Wir müssen immer in einer Art größerem Ökosystem denken.
OT Saraceno – 300 Mio Jahre MOD: Wenn Saraceno Spinnennetze rekonstruiert, digitalisiert, visualisiert, ausstellt, akustisch inszeniert oder die Netze als Instrument (im Kunstraum) darstellt – wer ist eigentlich der/die Künstlerin? Fragt der BBC Journalist.
VO Köppel Wer ist schon ein Künstler und wer ist keiner? Wir müssen bedenken: Spinnen besiedeln diesen Planeten seit 300 Millionen Jahren. Homo sapiens aber lebt hier erst seit 300.000 Jahren. Manche Biologensagen, dass es mindestens 5 Millionen Jahre dauert, bis eine Spezies weiß, wie sie an einem Ort leben kann. Ich meine, wie groß ist das Wissen einer Spinne auf diesem Planeten! Und ich glaube, es besteht eine Chance, dass die Spinnen hier viel länger überleben als wir Menschen.
atmosphärische Musik drunter !!
OT Saraceno (The Shed) 1
VO Köppel Hinter mir befindet sich eine Reihe von Spinnennetzen, die von vielen verschiedenen Spinnen gewebt wurden.
… Es sind ganz gewöhnliche Spinnen, die schon seit langer Zeit in diesem Gebäude leben.
Und manchmal wurden sie auch zu Kunstwerken.
… Diese Vorstellung, die Gegenwart von Tieren oder anderer Wesen anzuerkennen
… die die Ressourcen, die Räume der Welt auf unterschiedliche Weise teilen.
…. In unserem Zeitalter wurde der Mensch zu einer Art vorherrschender Kraft, die viele andere Ökosysteme zerstört hat
… Was der Mensch für mich produziert, sind Schuld und Trägheit
… Im Studio versuchen wir, andere Art der Existenz zu finden.
OT Saraceno (The Shed) 2 (Mit Musik drunter !!)
VO Köppel In andere Welten einzutauchen. In die Welt der Sensibilität einer Spinne einzutauchen
… diese wortlose Art, wie Spinnen miteinander kommunizieren, indem sie Signale durch ihr Netz senden und ihre Umwelt durch Vibration wahrnehmen
(… Meine Ausstellung versucht, all diese Empfindungen und Reize anderer Menschen zu erkunden ? )… Wie anders wäre diese Welt, wenn wir uns in diesen Netzen bewegen könnten. Schwindel erleben. Kunst erleben.
… Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven betrachten und überlegen, wie wir uns in ein viel größeres Ökosystem einbinden (einfinden) könnten.
Mod.: …. Sagt Tomás Saraceno, der argentinische Künstler, Architekt und Umweltaktivist, der sich den Spinnen verschrieben hat.
Sign.: Das war „Ins Netz gegangen – Diagonal zum Thema Spinnen“. Weiterführende Hinweise, Lektüreempfehlungen und die Musikliste finden Sie im Netz: oe1.orf.at/diagonal und das Gespräch mit Jan Mohnhaupt kann man in einem Stück anhören im Diagonal gefragt Podcast, auf orf sound oder einer anderen Plattform ihrer Wahl. Jetzt ist dann gleich Kaspar Arens dran mit „Diagonals Feinem Musiksalon“ – auf dem digitalen Plattenteller: das jüngste Album von „_BY.Alexander“ „Memories for Sale —AT—> 66 Greene St Soho NY“
Sign hoch
Mod.: Studiotechnik: Dietmar Nührig, Lukas Linschinger und Alexander Schenold; gesprochen haben: Eszter Hollosi, Rafael Sas und Irina Wanka. Mit Beiträgen von Kaspar Arens, Hannah Balber, Lothar Bodingbauer und Nicole Dietrich, die auch für die Regie verantwortlich war. Redaktion und Moderation: Ines Mitterer.