Diagonal Stadtporträt Addis Abeba – Afrikas Drehscheibe im Umbruch

SIGN.

PW: Wir würden Sie heute erst einmal gerne aussetzen und für eine Weile alleine lassen. Mitten in einer ostafrikanischen Großstadt, die auf knapp 2500 Metern Höhe, also in den Bergen liegt. Einwohner, alles in allem: 11 Millionen.

Der Hausberg heißt Entoto und ist 3000 Meter hoch. Wir schreiben den 25. März 2025. Es ist zwölf Uhr mittags.

Digas ATMO​​Meskel Square + orthodox church

Drüber

PW: So hört sich das über viele Tage an, auf dem ovalen, 50 Hektar großen Meskel Square. Wir sind in der äthiopischen Hauptstadt. Es istder bekannteste und meistfrequentierte Verkehrs– aber auch DER Energieknotenpunkt in Addis Abeba. Hier stoßen nicht nur die zwei fettesten Straßen der Stadt, die Bole und Menelik II zusammen, sondern auch alles, was Räder und Beine hat, Ideen und Talent. 24/7. Hier wird gehandelt, auf- und vorgeführt. Gestaunt, versammelt, fotografiert unddemonstriert. Eine riesige Agora. Ständig finden hier Festivals, Sportveranstaltungen, Autorennen, politische Events und Konzerte statt. Ringsum aufsteigendes Gelände: in Form von Bergausläufern, Hügeln, aber auch in Form von Hochhäusern.

kurz hoch​​​​​​​

Drüber

IM: Meskel, ein Wort aus der amharischen Sprache – ins Deutsche übersetzt heißt das nichts anderes als Kreuz. Und Sie haben richtig geraten. Der Sound stammt von der äthiopisch-orthodoxen Tewáhédo-Kirche am Rande des Platzes während der Fastenzeit. Die nehmen das ernst hier – und hatten das Christentum schon als Staatsreligion, als die Römer noch Jupiter gehuldigt haben. Rund um die vielen weiteren Kirchen in der Stadt klingt es während unseres Aufenthalts nicht anders.Tag und Nacht, stundenlang.

MK: Diagonal Stadtporträt Addis Abeba – die Drehscheibe Afrikas im Umbruch

Eine Sendung von Ines Mitterer und Peter Waldenberger

IM: Die Orthodoxen Christen feiern das Meskel-Fest (die Auffindung des wahren Kreuzes) Früher entzündeten Kaiser Menelik II. und Kaiserin Zewditu von Äthiopien, begleitet von Mitgliedern der Familie, dem Adel und hohen Beamten der orthodoxen Kirche und der Regierung das holiday-Freudenfeuer an der St. George´s Kathedrale. Kaiser Haile Selassie, der König aller Könige verlegte die Zeremonie dann auf dem speziell errichteten Meskel Square. Nur unweit von hier liegt er übrigens in der Trinity Cathedral in einem Sarg. „I and I“ – Rastafaris.

PW: Nach dem Sturz der Selassie-Monarchie im Jahr 1974 durch kommunistische Revolutionäre wurde dann aus dem MeskelSquare einRevolutionsplatz. Man erweiterte ihn, um Platz für die jährlichen Paradenzum Revolutionstag und zum Tag der Arbeit zu haben. Drei gigantische Porträts von Marx, Engels und Lenin wurden aufgestellt – die „neue Dreifaltigkeit“, witzelten die Menschen. Lustig war die Zeit des sozialistischen Regimes keineswegs. Das Gegenteil war der Fall. Das Museum des Roten Terrors, genau hier, erinnert an die düstere Zeit der sogenannten Derg Diktatur.

IM: An dieser Stelle aber stoppen wir die Erzählung zur Geschichte des Platzes, gleichwohl man an ihr noch mehr nationale Geschichte auffädeln könnte, zumindest der letzten 130 Jahre – die Stadt ist jung.

PW: Weil dieses Land nicht nur ein multiethnisches, sondern auch ein multireligiöses ist, wollen wir der Vollständigkeit halber auch noch diesen Sound spielen: denn auch das wird auf dem Platz gefeiert.

Digas​​ATMO Allah ​​​​

Drüber

PW: Das Ende des Ramadan. Jedes Jahr schwappt ein ganzes Menschenmeer dazu auf den Platz.

Die Fastenzeit der Orthodoxen und der Ramadandas fiel heuer zusammen und hat sich im Stadtsound dominant niedergeschlagen. Man merkte es den Menschen an, und auch den Speisekarten in den Restaurants, die viel Veganes anbieten in der Zeit. Und daran, dass wir nachts manchmal aufgeweckt wurden. Der deutsche Historiker Wolbert Smidt lebt seit mehr als 30 Jahren in Äthiopien und unterrichtet an der Universität Mekele äthiopische Geschichte. Er hat einen Battle of Sounds mitverfolgt.

OT Wolbert Religion ​​​​​​​​         1.38

Digas Teddy Afro Meskel Square Minilik

Drüber

IM: Zum Glück geht es aber auch weltlich zu in der Stadt. So klingt das,wenn Teddy Afro vor 300.000 Menschen auf dem Meskel Square auftritt.Er ist eine nationale Musikerlegende schon zu Lebzeiten. Dieser Song handelt von der Befreiung der italienischen Besatzer.

​​hoch​​​​​​​​circa 2.00

Teddy Afro – „Minilik“. Sie hören Diagonal Stadtporträt Addis Abeba. Eine Stadt, die erst einmal keine war, sondern nur ein paar zusammengewachsene Dörfer, Bauernland – bis Ende des 19. Jahrhunderts. Vorher waren Aksum und Lalibela die Hauptstädte – im mehr als 3000 Jahre bestehenden Kaiserreich Abessinien.

OT Berhanu no political center menelik II ​​VO machen

Äthiopien hatte nie ein politisches Zentrum. Das politische Zentrum der Stadt wechselte mit jedem neuen Machthaber. 1884 kam Kaiser Menelik auf den Entoto. Das ist der Berg im Norden der Stadt. Menelik er ließ dort seinen Palast bauen. Über die ersten paar Jahre merkte er, was diese schöne Landschaft sonst noch zu bieten hat. So kam es zur Idee der Gründung der Stadt hier.

PW: Den eigentlichen Grundstein hat des Kaisers Gattin Taytu gelegt, weil es ihr oben am Entoto zu kalt war. Und es zu seinen Füßen warme Quellen gab. Vielleicht hat die Stadt ja auch von ihr den poetischen Namen bekommen. Addis Abeba, die neue Blume.

Seitdem wird die Stadt immer wieder auf den Kopf gestellt. Von Herrschern, fremden Mächten, von Autokraten und Monarchen, die sich hier mit ihren Plänen verewigen wollen und die Spuren der Vorgänger auslöschen. Auch jetzt ist wieder einer an der Macht, der Pharaonisches vorhat.

Schon komplett umgebaut und nicht wiederzuerkennen, ist die berühmte Bole Road ….

Digas Bole und Berhanus Trauer / Mitterer​​​​9.14

Digas Köppel Strehlein Zeittafel​​​​​​1.23

PW: Noch einmal eine Musikerlegende. Alemayehu Eshete war ein äthiopischer Sänger, der wegen seiner dynamischen Auftritte und seiner Verschmelzung von traditioneller äthiopischer Musik mit westlichen Rock’n’Roll-Einflüssen als „abessinischer Elvis“ bekannt wurde. Hier dieNummer Addis Abèba bété“. Zuhause in Addis.

Digas Addis Abeba bete ​​​​​​​4.30

PW: „Addis Abèba bété“. Zuhause in Addis. Sie hören

DigasKöppel Sie hören: Zwischentitel

DigasATMO Bole Road night

PW: Wie immer sind wir im Auto unterwegs. Und staunen über ein riesiges blaues Hinweisschild. Karls Square steht drauf – und es sei 1 km bis dahin. Offenbar hat also auch Addis einen Karlsplatz – tatsächlich mit „K“ geschrieben. Wir lernen, der Karls Square ist nach Karl-Heinz-Böhm benannt. Und da steht er schon, in der Mitte des monumentalen Roundabouts. Eines der hässlichsten Denkmäler, das wir im Leben gesehen haben.

Aber immerhin, weithin sichtbar, eine hohe, güldene Büste des Schauspielers und Philanthropen, der mit seiner Initiative Menschen für Menschen in Äthiopien viel erreicht hatjeder kennt und verehrt ihn.

Umrahmt ist das Ganze von einem bepflanzten Gärtlein.

Digas Beton und die grüne Welle / Mitterer​​​​8.48

DigasRophnan – Shegiye​​​VL 19´´ ​​​

Drüber

PW: Und hier ist eine Liebeserklärung an Addis Abeba. Von Rophnan. Wozu nach Italien, Amerika, Europa oder Lagos, wozu nach Paris oder Mexico. Wir haben hier in Addis ja auch Viertel, die wir genauso nennen. Und dann noch den Merkato oder Bole. Wir sollten stolz drauf sein – „Shegiye“. [Sheh-GEE-yeh]

hoch​​​​​​​​​​3.30

IM: „Shegiye“. Rophnan ist stolz auf seine Stadt. Sie hören Diagonal Stadtporträt Addis Abeba.

Digas Mercato / Waldenberger​​​​​       13.30

Auf Band: Merkato Sefere / Abdu Kiar​​​​​1.30

IM: Drüber

Das ist eine blecherne Nummer über den Merkato, die genau so laut ist wie der Markt selbst. Abdu Kiár – „Merkato Sefére“. Reise insMarktviertel.

hoch​​​​​​​​​1.30

DigasATMO Menajeh Office Park Stadtatmo aussen

PW: Ein kurzes Treffen mit dem Architekten Maheder Gebremedhin im Menájeh Office Park – nur unweit des zentralen Meskel Platzes. Er hat dort mit seinem Büro YEMA Architecture einen Büroturm gebaut, mehrere internationale Unternehmen sind jetzt Mieter.

Wir stehen auf der Terrasse im letzten Stockwerk, dem 18. Maheder hat nicht zu viel versprochen. Die Sicht ist beeindruckend.

DigasMaheder 21 VO eklektisch​​​​​​0.36

DigasATMO Radio Kebet Eske ketema

PW: Drüber

Weil Maheder nicht nur gerne baut, sondern auch gerne diskutiert, hat er nicht nur das Urban Center, einen Ausstellungs- und Diskursraum gegründet, sondern auch noch in seinem Architekturbüro ein Radiostudio eingebaut. „Kebét éske Kétema – von zuhause bis in die Stadt.“ Auf Sheger FM 102.1

​​hoch​​​​​​

PW: Wöchentlich behandelt er dort Themen rundum Stadtentwicklung, Architektur, Bauwesen und das urbane Leben in Addis Abeba.

​​hoch​​mit Maheder​​​​

DigasMaheder 24 VO Digitalisierung​​​​​0.23

PW: Im Bauwesen scheint genügend Geld vorhanden zu sein, rundherum ist die finanzielle Lage aber durchaus dramatisch schlecht. Und wir bewegen uns mit dieser Einsicht aus den luftigen Höhen des Immobilienmarktes wieder hinunter aus dem 18. Stock, zurück in die Niederungen des Alltags.

Digas Daggem / Mitterer        ​​​​​        5.54

Digas Café Lilian / Waldenberger​​​​         4.15

DigasEthiopian music- Lij mic – Addis Ababa

IM: drüber

Hier ist ein junger Mann, der neben all den Schönheiten der Stadt auch auf soziale Spannungen eingeht. Lij-Mic (lidsch-Mike) mit der Nummer „Addis Abeba“.

hoch​​​​​​​nach Bedarf

DigasKöppel Sie hören: Zwischentitel

DigasDrehscheibe Afrikas + Afrikanische Union / Mitterer11.47

Digas African Union Anthem​​​​​​2.23

IM: Let us all unite and celebrate together.Die offizielle Hymne der afrikanischen Union. Text: Tsegaye Gabre-Medhin, Äthiopien. Musik: Arthur Mudogo Kemoli, Kenia.

Sie hören ein Stadtporträt Addis Abeba. Eine Stadt im Umbruch.

DigasStadtentwicklung / Waldenberger       ​​       18.30

DigasEthiopian Music Dan Admasu 4 kilo

IM: drüber

Das ist die Nummer „Arát Kilo“ [A-RAHT] [KEE-loh], oder vier Kilo. Gemeint sind die vier Kilometer, die das Stadtviertel vom Nullpunkt im Stadtzentrum entfernt liegt, der von den Italiener während der 5 jährigen Besatzungszeit definiert worden ist. Zwischen Parlament, Universität und Ministerien, ein Ort, an dem sich Geschichte, Macht, Bildung und ziviles Leben überschneiden. Bei Dan Admasu geht´s aber um eine Liebesbeziehung.

​​hoch​​​​​​​​​3-4´

IM: Diagonal Stadtporträt Addis Abeba.

Wenn etwas aus Äthiopien in die Welt gegangen ist, dann ist das wohl Ethio Jazz. Lange Zeit als randständiger Sound aus der Musik-Diasporagehandelt, war er spätestens Anfang der 2000er Jahre, seit dem Film Broken Flowers“ von Jim Jarmusch, plötzlich auf der Musiklandkarte.

Der Gründervater des Ethio Jazz, Mulatu Astátke, hatte dafür den Soundtrack geschrieben. Der lebte bereits seit den 1960er Jahren in den USA und infizierte sich im melting pot New York mit der latinifizierten Zeitmode der 60s. Fertig war das Gebräu, dass er bei seiner Rückkehr nach Äthiopien mitbrachte. Thomas Mießgang.

Digas Ethio Jazz / Miessgang​​​​​​6.00

IM: Thomas Mießgang war das über Mulatu Astatke, der sich in die Riege der kanonisierten Weltmusikstars Fela Kuti, Bob Marley oder Youssou N´Dour eingereiht hat. In Äthiopien ist Astátke jedenfalls DER musikalische Hero, auf den sich auch unser nächster Gesprächspartner gleich beziehen wird. Der Saxofonist und Keyboarder, eigentlich Multiinstrumentalist, Jorga Mesfin.

AA / ATMO Alliance Francaise !!!

AA / Eröffnung Alliance francaise + MUSIK

AA / ATMO MUSIK Alliance francaise

Drüber

PW: Wir haben Mesfin in der Alliance Francaise, dem französischen Kulturinstitut in Addis, am Rande eines Tribute-Tages getroffen. Die Konzerte waren einem Musiker gewidmet, der kurz davor, erst 53-jährig verstorben war – Taffari Asafar [Tah-FAH-ree] [Ah-SAH-fahr]. Ein Gipfeltreffen einiger aktueller Musikgrößen des Landes. Es wurde getrauert, aber auch gefeiert.

DigasMesfin / Waldenberger​​​​​​7.00

Mesfin auf Band​​​​​​​nach Bedarf

PW: Jorga Mesfin auf seinem Album „The kindest one“. Nach so langer Zeit in der Stadt fahren wir jetzt noch auf einen 3000er, den Hausberg Entoto, um herauszufinden, was das Geheimnis der weltbesten Marathonläufer ist.

Digas Läufer im Yaya / Mitterer​​​​​​4.56

SIGN.

PW: Das war unser Stadtporträt Addis Abeba – die Drehscheibe Afrikas ist im totalen Umbruch.

Informationen zur Sendung finden Sie wie immer auf oe1 orf at slash Diagonal.

IM: Studiotechnik: Gerald Domjan, Manuel Radinger, Othmar Habeler-Bergsmann und Fridolin Stolz.

Stimmen: Nina Strehlein, Eszter Hollosi, Karin Linortner, Alexander Rossi, Michael Köppel und Karl Menrad.

Für Beratung und Informationen bedanken wir uns bei der Architektin und Biodesignerin Petra Gruber und dem Künstler Michael Hailu. Und für diverse musikalische Ratschläge bei Bemnet bebo Demissie [Deh-MEE-see] vom Addis Urban Center.

Redaktion und Moderation: PW: Ines Mitterer und IM: Peter Waldenberger