EXPO 2015 Mailand – Jacques Herzog

INTERVIEW Jacques Herzog anlässlich der Weltausstellung in Mailand, Mai 2015

IMG_4616_BIM: Die Weltausstellung ist eine Idee des 19. Jahrhunderts. Wenn wir im 21. Jh eine Weltausstellung brauchen – wir leben in einer Informationsgesellschaft, können jeden Augenblick im Internet sehen, was am anderen Ende der Welt passiert, uns informieren, was sie zum Essen oder nicht zum Essen haben   – wenn wir also so ein Format brauchen, wie könnte eine Weltausstellung im 21. Jh ausschauen?

JH: Das ist tatsächlich eine gute Frage. Das ist ein veraltetes Modell, diese Weltausstellung. Aber es ist schon so, auch bei Messen, das ist ja etwas Alltäglicheres als eine Weltausstellung, aber auch dort gibt es sichtlich noch einen Bedarf sich tatsächlich zu treffen, die Ware zu sehen. Bei einer Weltausstellung ist das Interessante an sich, dass es übergeordnete Themen gibt und dieses Jahr in Mailand ist es ja ein drängendes Thema, weil es ja die ganze Welt angeht: wie ernähren wir uns, wie ist die Produktion von Nahrung, in Österreich oder Schweiz, im zentralen Europa oder in Afrika in trockenen Gegenden? Das war ja auch der Grund, weshalb wir uns da engagiert haben, weil das ein Thema ist, das ja wirklich alle betrifft. Und so gesehen, wenn es eine Ausstellung ist, wenn du also nicht selbst nachschauen gehst nach Österreich, wie es da ausschaut am Bauernhof, oder nach Burundi oder nach Kenia, dann müsste das hierherkommen. Und von daher war die Vision unseres Masterplans, diese Gärten, also diese landwirtschaftliche Welt hier präsent zu haben. Hier eine Erfahrung anzubieten, die man nicht im Internet findet, weil es dann hier einmal physisch würde. So einfach ist das eigentlich. Und offensichtlich so schwierig, weil niemand bringt das zustande, das erfolgreich umzusetzen.

IM: Woran scheitert dieser Versuch?

JH: Das ist die Frage. Dass wir in einer so fragmentierten Welt leben, dass das Fragmentierte nie überwunden werden kann. Es gibt nicht einmal beim Thema Nahrungsproduktion eine Vision, welche so verbindlich ist und so überzeugt, dass alle das Gleiche anstreben. Und das hat verschiedene Gründe. Es ist auch nicht so, dass eine böse Kraft das verhindert, sondern verschiedene Unfähigkeiten und mangelnde Durchsetzungskraft. Es ist vielleicht auch die Macht der Gewohnheit dabei bei solchen Veranstaltungen. Die verschiedenen Länder wie zum Beispiel die Schweiz oder auch Österreich – die freuen sich, da kann man wieder hingehen; da gibt es einen Wettbewerb, da kommen junge Architekten zum Zug und man kann einen Pavillon vorschlagen, da gehen wir hin, der Botschafter schüttelt die Hände, immer wie gehabt. Dieses langweilige Zeug sollte man längst beerdigen. Weil es ist rausgeschmissenes Geld. Steuergelder und es wäre so unglaublich spannend, dieses übergeordnete Thema runterzubrechen für alle Länder. Wobei ich sagen muss, dass Österreich hier der einzige Länderpavillon ist, der das gut umgesetzt hat, am nächsten dem, was unsere Vision war.

IM: Ich habe mir das jetzt so erklärt, diesen Wettlauf um den prächtigsten Pavillon, dass Architektur doch die Fähigkeit hat, zu emotionalisieren und über Emotionen kann man Informationen transportieren. So arbeiten ja wir im Fernsehen auch. Aber wenn der Inhalt dann nicht passt, ist das natürlich auch schade.

JH: Ja, das stimmt grundsätzlich schon. Aber welchen Inhalt willst du transportieren mit irgendwelchem Design hier? Ich bin jetzt durchgelaufen, ich kann mich an keinen mehr erinnern. Ich kann mich nur erinnern, dass das ein Wettlauf der Häßlichkeiten ist, der nicht zu überbieten ist. Da gibt es dann vielleicht einen, der ist gar nicht so wüst. Aber, was willst du – du kannst da gar nicht mehr auffallen, weil diese Verstrebung, diese Gitter und Verstrebungen, das geht doch da rein und da raus und man vergisst es. Erinnern Sie sich noch an Shanghai – gibt es irgendeinen Pavillon, den man in Erinnerung behält, oder das Thema? Ich weiss nicht einmal mehr, was das Thema war!

Das heisst, das sollte doch jedem klar sein: wenn ich da so herziehe über dieses Konzept, ist das nicht, weil ich das gerne tu, sondern weil es so obsolet ist. Es ist so öde und es ist so abgefuckt, dass das eigentlich schon offene Türen einrennen ist, was ich da sage. Und trotzdem gehen die Leute da hin, weil es ist Fun, es gibt Entertainment, aber da kannst du irgendetwas machen, da kannst du zum Prater hingehen und das ist nicht viel anders. Das ist eine Fressshow und da musst du immer anstehen und anstehen, damit du auf die Toilette kannst. Es ist nichts anders, als die Urinstinkte des Menschen bedienen: essen, verdauen und dann wieder abführen. Und ein bisschen was anschauen.

IM: Hier im Slow Food Pavillon auf der EXPO in Mailand haben Sie sich sicher mehr Gedanken gemacht – können Sie mir ein ein bisschen von den Grundideen erzählen, die zu diesem Pavillon geführt haben?

JH: Also ich muss zu unserer Entschuldigung sagen, wir waren ja gegen Pavillondesign und wir haben den entworfen, weil er wie ein Standard gedacht ist, wie eigentlich alle Pavillons sein sollten. Nicht weil wir das unbedingt machen wollen, sondern, wir wollten eigentlich dass sich die Pavillons alle ähneln und wieder abgebaut werden können und einen anderen Verwendungszweck haben. Dieser wird für Kindergärten verwendet – er reist in Italien herum und wird die Ideen und Konzepte von Slow Food an anderen Orten auch zeigen. Das heisst, das ist eigetnlich ein Pavillon – der ist sicher nicht hässlich, aber er hat keinen in dem Sinn architektonischen Anspruch. Es ist einfach eine Baracke – so ein hölzerndes Ding, das man eben auch wieder abbauen kann.

Slow Food selber ist natürlich eine interessante Bewegung – ich bin jetzt zwar ideologisch nicht für die Slow Food und gegen die Agro-Companies, aber es ist wichtig, dass diese EXPO benutzt wird, um unterschiedliche Konzepte von landwirtschaftlicher Produktion, Nachhaltigkeit und so weiter zu diskutieren. Das heisst, diesen Ort sollte man kennenlernen, also, was gibt es für Landwirtschaften, Landwirtschaftskulturen, was sind die Vorteile, Nachteile dieser oder jener Art von Landwirtschaft oder auch Landschaft. Das geht ja bis zur Gestaltung von Landschaft. Wir alle wissen da ein bisschen etwas, wir wissen, dass es da diese bösen Saatguthersteller gibt, vielleicht sind die aber gar nicht so böse? Vielleicht ist Terra Madre oder Slow Food auch nicht nur gut? Das sind Dinge, über die wir Genaueres erfahren möchten, und dazu wäre es das Beste, wenn die Länder ganz pragmatisch ihre eigenen Konzepte ausbreiten, sowohl die eher biologischen als auch die eher industriellen. Und dann hätte man eine Möglichkeit, das zu erfahren und zwar sinnlich zu erfahren, also nicht nur zu lesen und über Video zu sehen. Das können Sie auch zu Hause.

IM: Trotzdem sind von früheren Weltausstellungen natürlich tolle Beispiele von temporärer Architektur übrig geblieben. Von dieser EXPO wird wahrscheinlich nicht so viel übrig bleiben…

JH: Aber wann ist das letzte Mal so etwas entstanden. Ich finde das ja auch interessant und möchte das nicht nur schlecht machen. Weltausstellungen können das einfach nicht mehr leisten. Weltausstellungen, die frühen, Crystal Palace, Eiffelturm bis zu Montreal mit Habitat, das sind Dinge, die nur in einer Weltausstellung gemacht werden konnten, weil nur da war Innovation möglich. Während heute die privaten Firmen, auch die privaten Architekturfirmen können ständig an dieser Innovation, an diesen Produkten arbeiten; du siehst ausserhalb einer Weltausstellung heute einfach viel spannendere Konzepte. Einen Eiffelturm kannst du heute nicht mehr auf einer Weltausstellung machen. Das wird von privaten Developern gemacht. Das heisst, die Welt hat sich so verändert, wo das Kapital investiert wird, wo Innovation passiert, das ist nicht mehr national gebunden und vor allem braucht es nicht mehr das Konzept der Weltausstellung. Deshalb sind diese Pavillons absurd. Es gibt keine Neuigkeit mehr hier, wie man einen nachhaltigen, energieneutralen Entwurf machen kann – das machst du heute am privaten Haussektor, überall! Und wirkliche neue Strukturen, wie gesagt, Montreal war vielleicht eine der letzten, dann gibt es das Atomium in Brüssel, und dann ist schon bald vorbei. Das heisst, mit dem Ende der Moderne, wars das dann.

Es gibt auch nicht mehr die nationalen Pavillons, die quasi Identität stiften. Wir in der Schweiz haben ja auch die Landesausstellung im eigenen Land. Da wurde immer versucht, schweizerische Architektur zu zeigen – gibts das? Gibt es eine österreichische Architektur? Das gibt es vielleicht bis zu einem gewissen Grad, aber es ist schwierig einen Länderpavillon zu machen, bei dem es offensichtlich ist: das muss der österreichische sein, das muss der schweizerische sein (zeigt wild gestikulierend) der so Fensterläden hat. Du kannst heute diese nationale Identät über Architektur nicht mehr ausdrücken. Ein schöner Holzpavillon mit Holzlatten, wie man ihn da vorne sieht – ich glaube, das war Irland oder so – so etwas könnte genauso gut Schweden oder Dänemark oder sogar ein afrikanisches Land sein. Das heisst, es geht gar nicht mehr. Auch das spricht gegen die nationalen Pavillons im Sinn von „nationalem Design“, aber ja: nationale Pavillons als unterschiedliche Inhalte. Das finde ich schon interessant. Weil es ist klar, dass Österreich eine andere Kultur hat mit Landwirtschaft umzugehen, als Deutschland und die Schweiz oder auch Italien – obwohl das Nachbarländer sind, geschweige denn von Ungarn oder Rußland oder einem afrikanischen oder asiatischen Land. Diese Unterschiede zu zeigen wäre viel interessanter über Inhalte als über Architektur. Architektur kann vieles andere leisten.

Oder zum Beispiel hier eine nachhaltige städtebauliche Konzeption zu entwickeln – das ist die Aufgabe von Architektur. Das haben wir so ja auch angedacht, mit diesem Cardo und Decumanuskonzept und mit dem Wasser, den Teichen, die wollten wir ja mit der Stadt verbinden, diesem alten Wasserwegekonzept von Leonardo folgend, das wäre ein echter Beitrag, aber nichts von dem wurde realisiert. Und das ist natürlich schade, weil das ist Städtebau, wo Inhalte, konzeptionelle Gedanken im Vordergrund sind, und nicht dekorative.

IM: Weiss man eigentlich, was mit diesem Areal nach der EXPO passieren soll?

JH: Ja, das werden irgendwelche Developer übernehmen. Auch hier wollten wir mehr Gewissheit haben, dass diese Gärten, dass diese Weltgärten als Park erhalten bleiben. Das wäre ja auch für Mailand interessant, weil du dann etwas hast, das es so in keiner anderen Stadt hast. Das gibt wiederum Identität. Das heisst, paradoxerweise wenn wir Identität verweigern – nämlich dass da nationale Pavillons, Ungarn sich unterscheidet von dem von Italien – von aussen, schaffen wir Identität, indem sich der Inhalt, der Garten unterscheidet. Aber so, das sind natürlich einfache Gedanken, aber oft sind sie so schwierig zu verstehen, oder durchzusetzen.