Helmut Lang

I: Sie verwenden immer neue Materialien, sie experimentieren gerne mit neuen Materialien, kommen die auch aus Italien.

HL: Ja die größten Stofffirmen sind eigentlich aus Italien, Frankreich, England, Schweiz. Die Modernität ist ganz unterschiedlich. Ich benütze das gar nicht mehr so viel wie früher. Eigentlich verwende ich hauptsächlich klassische Materialien wieder. Es war so ein Zeitpunkt wo es einfach interessant war neue technische Materialien auf klassische Schnitte umzulegen und damit so einen ganz neuen Kontext zu erreichen. Jetzt verwenden wir die technischen Materialien eigentlich wo sie wirklich Funktion haben, wo sie eine schützende Funktion haben, Wärme, Flies im Winter, die würde ich sagen Italien und Schweiz sind da am Interessantesten. Es ist ja vieles, was wir im Alltagsleben verwenden, über die Weltraumforschung erfunden getestet wie auch immer geworden und dann in unser alltägliches Leben gekommen, Zahnpasta in der Tube, Alufolie, ganz alltägliche Dinge, wenn man mal die Liste sieht, was die Nasa entwickelt hat, was wir so einfach verwenden ohne jemals darüber nachzudenken, warum sich das in dem Zustand befindet, das ist interessant und mit manchen Materialien ist das eben so ähnlich.

I: Aber es ist nicht so, dass Seide nicht wieder dran kommt?

HL: Na ganz im Gegenteil, es ist jetzt eine Zeit, wo ganz klassische Materialien wichtig sind und wir kaufen eben auch viel in England, was die ganzen traditionellen Stoffe betrifft, weil die noch die ganzen alten Webstühle haben, die Italien eigentlich nicht mehr hat. Und Seide ist ein ganz wichtiges Material wieder und auch von den Industrien, die noch alte Webstühle haben, aber so aus Qualitätsgründen auch zum Teil aus Farbgründen ist jetzt eigentlich eine Zeit wo es um sehr wertvolle Qualitäten wieder geht.

I: Sie haben jetzt die Farben erwähnt. Es fällt auf, dass sie sehr sparsam mit Farben umgehen und meistens so – was ich halt beobachtet habe – so eine Farbe pro Saison neben dem Beige neben dem Schwarz, Weiss existiert. Jetzt ist es zum Beispiel Gelb, habe ich gesehen, nächste Saison ist es glaube ich Pink. Wie kommen sie dazu ihre Farben einzusetzen. Ist das auch Programm, dass es jeweils eine Farbe ist?

HL: Ich habe es gerne wenn man sich so ganz konkret widmen kann, wenn es eine sehr dominante Farbe ist, die neutralen Farben sind immer ganz wichtig, weil das einfach so eine Basis bildet, für alles und der Umgang mit Farbe muss dann sehr überlegt und subtil sein. Es ist so viel mit Farbe so gedankenlos verschönert worden, in jedem Bereich, in den letzten zwei Jahrzehnten, dass man eigentlich fast ein schlechtes Gewissen hat wenn man daran denkt Farbe zu nehmen. Deswegen behandle ich das sehr sorgfältig und meistens eben monochrom, und dann aber sehr genau und in Materialien wo ich das Gefühl habe, dass die Farbe die Intensität oder die Schwachheit erreicht, die wichtig ist und mir ist dann so die Hingabe zu einer Farbe wichtiger und sicherer wenn die soziale Wirklichkeit kommt, wenn sie ins tägliche Leben kommt als mal überall hineinzugreifen, weil dann die Möglichkeiten ziemlich schrecklich sein können.

I: Welche Konnotationen haben Sie zu Pink?

HL: Gar keine spezielle, man kann auch gar nicht genau sagen, warum welche Farbe in welcher Saison diese spezielle Aufmerksamkeit bekommt, das ist eine der unerklärlichen Dinge, die man sich selbst nicht erklären kann und auch nicht muss. Ein Satz den ich mal gehört hab: „Pink ist die netteste von allen Pastellfarben“ Das fand ich eigentlich komisch genug um sich näher damit auseinanderzusetzen und wir haben dann Rosatöne, das sind ja insgesamt 14 verschiedene Töne in dieser Farbserie, von leichtem französischen Rosa bis zu diesem Magenta, wobei ich fast lieber Magenta als Pink sage, weil Pink hat schon viele sehr hysterische Assoziationen, also sagen wir von ganz leichtem Rosa zu Magenta, es war immer eine sehr royale Farbe, eine Couture Farbe und hat immer etwas sehr weibliches und unterstützendes.

I: Sie nehmen es allerdings auch für Männermode in der nächsten Saison, wie ich gesehen habe. Sie haben gerade gesagt es hätte so feminine Assoziationen, da wollte ich Sie überhaupt fragen. Sie sind einer der Designer bei denen das Verhältnis von Männer und Frauenmode fast ausgeglichen ist. Ist es für Sie egal für wen Sie entwerfen, oder gibt es da einen Unterschied?

HL: Für Männer gibt es eigentlich nur farbige Hosen, das Wort Hosen klingt eigentlich eigenartig, wenn man es so isoliert ausspricht, das kommt mehr aus der englischen Tradition, die ja schon immer gewohnt waren eine ganz kräftige klassische Hosenfarbe zu tragen, aber dann mit einem altmodischen weißen Hemd oder T-Shirt und das funktioniert dann auch irgendwie, aber Farbe ist in Mitteleuropa schwieriger einzusetzen, als dort wo mehr Sonne herrscht, da schaut das dann immer anders aus, obwohl England hat zwar keine, aber irgendwie schaffen die es. Was Männer und Frauen betrifft, bei uns ist es ja ausgeglichen. Das hat einfach damit zu tun, glaub ich, weil sowohl das Männliche als auch das Weibliche Teil des Kosmos ist, ich hab mir das eigentlich nie überlegt. Wir machen einfach eine Herrenkollektion und eine Damenkollektion.

I: Aber es ist ganz egal ob sie jetzt gerade dabei sind eine Frauen- oder eine Männerkollektion zu entwerfen.

HL: Nein egal ist es nicht, weil das natürlich das Leben viel zu einfach machen würde. Es ist leichter bei der Männerkollektion egoistisch zu sein, weil man sich sehr im Hintergrund überlegen kann, ob man das selbst anziehen könnte. Was unsere Männerkollektionen dann glaube ich auch sehr bodenständig macht. Und bei den Damen ist es dann ganz anders, das Interessante liegt da ganz wo anders, es ist dann mehr abstrakter, mehr neutraler, man kann eigentlich viel mehr Subtilitäten modische Wahrheiten, so es so was überhaupt gibt, in der Damenkollektion umsetzen, was das interessante dort ist, auch im Materialbereich. Bei den Männern ist es mir lieber, wenn es solider ist, da spielt sich dann die Subtilität ganz wo anders im Schnitt, wob er das auch bei den Damen tut. Die Damen haben eine zusätzliche Dimension, die es eigentlich bei den Herren gar nicht gibt, zumindest so wie ich das sehe.

I: Sie haben gerade von modischen Wahrheiten geredet, da möchte ich schon wissen, was das sein könnte.

HL: Ich hab gesagt, falls es so was überhaupt gibt, weil das gibt es wahrscheinlich gar nicht. Weil das hat manchmal nur für einen Moment Gültigkeit und vergeht dann wieder, aber so über die Jahre verändern sich dann doch Sichtweisen und Grundgesetze und bilden sich so Wahrheiten auf Zeit heraus, was man auch manchmal vielleicht als guten Geschmack bezeichnen könnte.

I: Wenn man über Ihre Mode spricht, dann kommt man um zwei Begriffe mindestens nicht herum, da ist Minimalismus und Reduktion. Wie sind sie zu diesem ausgesprochenen langen Weg gekommen

HL: Das möchte ich auch gerne wissen. Ich war immer dagegen, dass man diese Worte verwendet, weil ich finde dass sie so einschränkend sind und zwar in jeder Richtung. Ich würde das selbst nie sagen, aber es war zu aufwendig das zu bekämpfen, weil irgendwann die Medien beschlossen haben, es gibt diesen Stil und es ja immer viel einfacher ist, wenn man das in eine Schublade verpackt und eben an mehrere verteilt. Ich finde so etwas gibt es überhaupt nicht, außer man ist eben ganz einfach. Es ist immer etwas, was minimal ist und aber entsprechend Gewicht, Inhalt oder Tiefe hat, muss einmal in der ersten Annäherung ganz kompliziert und vielfältig sein, es muss ein Reduktionssprozess stattfinden, der nicht nur der Reduktionswillen sondern weil es eben dann die einzige mögliche Definition ist, die man dafür finden kann und wenn das dann eine ganz einfache gute Lösung ist, dann weiß man ja, hat sich das seit Anfang der Geschichte, der Menschheitsgeschichte als gut erwiesen. Das man einfach das so gehandhabt hat, so ganz simpel, alles was Goldknöpfe hat ist reich und ornamental und alles was keine Goldknöpfe hat ist minimal, ich kann das jetzt so sagen, weil am Ende einer 10jahrelangen Diskussion über Minimlismus und Oppulenz, ich glaube das sind so die zwei Punkte, wie die meisten Leute das eigentlich sehen.

I: Man braucht einfach Begriffe um die Mode von Helmut Lang von der von John Galliano zu unterscheiden. Ich glaub das ist natürlich ein Ringen um den richtigen Ausdruck.

HL: Nach vielen Jahren, um zu versuchen das zu erklären, dass es eigentlich so gar nicht beschrieben werden kann, habe ich mich jetzt glaube ich damit abgefunden, dass die Sichtweise so ist, wie ich das gerade mit den Goldknöpfen erklärt habe, ich glaube es ist so simpel.

I: Probieren wir es mit einem anderen Begriff, der in der Mode immer wieder fällt, es ist der Begriff Luxus, Sie haben es mit den Goldknöpfen ein bisschen angesprochen, eben man begreift als Luxus etwas, das entweder so bisschen Ramschluxus, wie Gianni Versace mit den Goldknöpfen und so oder die unglaubliche Opulenz vom John Galliano für Dior, mit diesen wahnsinnig vielen Stoffen und verschiedenen Zeug, Sie müssen Luxus irgendwie anderes definieren, kann ich mir vorstellen.

HL: Ich glaube, das eine ist ein bisschen so ein altmodischer Luxus, wenn man das so sagen kann. Das ist so, das hat es immer gegeben, es hat immer so eine noble Haltung zum Luxus gegeben, der nicht so augenscheinlich war und dann hat es immer so eine opulente Haltung dazugeben, das gibt’s ja heute auch noch. Klar, für meinen Teil, wir haben eben jetzt sehr viele Produkte, die sehr luxuriös sind, die aber dann wirklich auf die Qualität des Materials, auf die Verarbeitung, auf den Schnitt, es sind viele Dinge jetzt auch halb handgefertigt, die eigentlich so wieder auf ein ganz traditionelles Schneiderhandwerk zurückgehen, soweit das im Rahmen machbar ist, wo doch mehrere Stücke produziert werden. Das empfinde ich natürlich als Luxus von der Qualitätseite und der wahre Luxus ist ja eigentlich das man heute die Freiheit hat sich selbst zu definieren, wie man gesehen werden will oder wie man sich selbst sehen möchte. Dass es diese Möglichkeit eigentlich für mehr Leute gibt als jemals zuvor erklärt vielleicht auch warum es so ein wichtiges Thema ist heute, aber dass für mich ist eigentlich der wichtigste Luxus.

I: Welche Bedeutung hat für Sie das traditionelle Schneiderhandwerk?

HL: Große Bedeutung, hab das zwar nicht schnell gelernt, also traditionell gelernt sondern learning by doing wie man auf Englisch sagt, hat sich über die Zeit Erfahrungen angesammelt. Mir war das ein Anliegen in den 80er Jahren, wo ich begonnen habe und es ist im Anfang bewusst war, dass die Dinge wieder eine Form bekommen. Die 80er waren so das erste Jahrzehnt wo das Prêt-à-porter sich hemmungslos ausleben konnte und dann einfach alles was möglich war etwas weitergemacht, damit mehr Leute einfacher in die Größen passen. Es hatte einen wirtschaftlichen Background auch und hat sich völlig entfernt davon, dass Kleidung ja sehr viel für einen tut, weil man sich damit einfach auch entsprechend beschäftigt und Leute die sich eigentlich sonst mit den Dingen des Lebens befassen, denen ist auch nicht egal was sie lesen, welchen Film sie sehen, die haben sich auch immer ganz speziell mit Kleidung beschäftigt und hatten dann einen speziellen Zustand dazu und die Maßschneiderei hat ja eigentlich so ein Kleidungsstück an jemanden angepasst, damit es so etwas von der Haltung desjenigen hatte, daran liegt auch die Faszination, dass eben so die Unterschiede sind ganz subtil, aber dann auch ganz groß, wenn sich in einem Kleidungsstück, das man länger trägt, die Haltung von jemandem abzeichnet, sowohl die innere als auch die körperliche Haltung. Und so dieser Kontext hat mich außer der Verarbeitung immer sehr interessiert.